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Singapur. Wenn er etwas nicht mochte an seiner Arbeit als CDU/CSU-Außenpolitiker, dann Langstreckenflüge – aber nach Singapur will er unbedingt, sobald er im Herbst aus dem Bundestag ausgeschieden ist. 19 Jahre wird Ruprecht Polenz dann dem Hohen Haus angehört haben. Und seinem Wunschausschuss, dem Auswärtigen. Dabei musste man früher "normalerweise ein paar Legislaturperioden Vorlauf haben, um da reinzukommen", erzählt Polenz. Aber er hatte Glück: Zwei Ausschussmitglieder von der CDU aus Nordrhein-Westfalen waren 1994 aus dem Bundestag ausgeschieden, und so kam der Neuling aus Münster zum Zug.
Der Auswärtige Ausschuss ist prestigeträchtig. Er ist einer von nur vier Ausschüssen, die im Grundgesetz ausdrücklich vorgeschrieben sind. Andererseits hat er wenig konkrete Gestaltungsmacht. Außenpolitik ist das klassische Betätigungsfeld der Regierung, hier macht das Parlament keine Gesetze. Aber, sagt Ruprecht Polenz: "In meiner politischen Arbeit habe ich schnell gelernt, und nicht erst im Bundestag, dass informelle Prozesse, Diskussion und Gedankenaustausch oft ein viel wirksameres Instrument der Beeinflussung sind."
In jeder Ausschusssitzung muss die Bundesregierung auf Antrag der Fraktionen zur Lage in bestimmten Teilen der Welt und ihrer eigenen Außenpolitik berichten. Daraus, erläutert Polenz, entsteht "ein sehr intensiver Gedankenaustausch, der auch das Regierungshandeln beeinflusst."
Eine weitere Besonderheit im Auswärtigen Ausschuss: "Wir haben in der Sache einen für Deutschland guten, breiten Konsens zwischen meistens vier, manchmal sogar allen fünf Fraktionen." Für die Bundeskanzlerin und den Außenminister erleichtere diese Rückendeckung das Handeln nach außen, erläutert Polenz, "und deshalb bemühen sie sich auch um diese Rückendeckung".
Ruprecht Polenz hat immer wieder von der Regierungs- und Parteilinie abweichende Standpunkte eingenommen, etwa zur doppelten Staatsbürgerschaft oder dem EU-Beitritt der Türkei. Damit hat er sich manche Anfeindung aus den eigenen Reihen eingehandelt – aber, sagt Polenz, "keine Probleme". So sei er nach Erscheinen seines Türkei-Buches sowohl in den Fraktionsvorstand wiedergewählt worden als auch in den Landesvorstand der NRW-CDU. "Das macht auch, glaube ich, den Charakter einer Volkspartei aus, dass sie nicht so stromlinienförmig ist."
Er habe stets seine Meinung gesagt, aber bis auf einmal immer mit der Fraktion gestimmt, betont Polenz. Die Ansicht, Fraktionszwang sei etwas ganz Schlimmes, teile er nicht. Denn der Wähler treffe eine Richtungsentscheidung und "verlässt sich dann auch darauf, dass ein Abgeordneter, den man für die CDU ins Parlament wählt, im Grundsatz jedenfalls auch mit der CDU und deren Richtung im Parlament abstimmt".
Als im Frühjahr 2000 die frischgebackene Parteivorsitzende Dr. Angela Merkel diesen eigenwilligen Politiker zum CDU-Generalsekretär machte, waren alle überrascht. Auch er selbst habe weder damit gerechnet noch das Amt angestrebt, sagt Polenz. Aber die CDU war mit der Parteispendenaffäre in größten Turbulenzen, und so habe er gesagt: "Okay, ich helfe." Er glaube, dass er mit seiner Art dazu beigetragen habe, verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen.
Mit der Zeit erwartete die Partei jedoch von ihrem Generalsekretär mehr politische Attacke, und die liegt nicht in seinem Naturell. Er sei, sagt Polenz über sich selbst, eben mehr ein Brückenbauer. "Mit diesem Begriff würde ich mich definieren." Gegen Ende des Jahres beendeten Merkel und Polenz einvernehmlich das Experiment. "Und ich konnte wieder zurück in die Außenpolitik", bemerkt Polenz.
Den Auswärtigen Ausschuss verlassen hatte Polenz nie. Nun aber konnte er sich wieder voll hineinknien, und nach der Bundestagswahl 2005 wurde sein Einsatz mit dem Ausschussvorsitz gekrönt, in dem er 2009 bestätigt wurde. Zu diesem Amt gehört es, Gespräche mit hochrangigen Gästen zu leiten.
"Wenn man dann über eine Stunde direkt neben ihm sitzt," berichtet Polenz vom Besuch des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi im Ausschuss, "kriegt man noch ein bisschen mehr von seiner Körpersprache mit und kann sich schon einen ersten Eindruck machen." Und der solle ja meist der richtige sein. Besonders tief beeindruckt haben Polenz die beiden UN-Generalsekretäre Boutros Boutros-Ghali und Kofi Annan, der Dalai Lama sowie der jordanische König Abdullah.
Daneben leitet Ruprecht Polenz noch ein Gremium, das ist so geheim, dass es sogar im Bundestag kaum jemand kennt. Es ist das "Gremium nach § 23c Absatz acht des Zollfahndungsdienstgesetzes". Ein Bote bringe immer den "vertraulich" gestempelten Umschlag mit der Einladung, schmunzelt Polenz, "und dann steht da immer als Tagesordnungspunkt eins: Bericht des Zollkriminalamts über die Ermittlungen seit der letzten Sitzung, und als Punkt zwei: Verschiedenes". In den Sitzungen im abhörsicheren Saal des Bundestages geht es dann tatsächlich um Brisantes, nämlich mögliche Verstöße gegen Ausfuhrbestimmungen für Kriegswaffen und Ähnliches.
Ab Herbst soll mit all dem Schluss sein. Er habe sich einen Satz von Hans-Dietrich Genscher gemerkt, sagt Polenz: "Lieber hundert Tage zu früh als einen zu spät." Er werde dieses Jahr 67 und wolle in der Zeit, die "hoffentlich noch vor mir liegt, ausprobieren, ob mir auch noch andere Dinge Spaß machen". Vor allem freue er sich auf mehr Zeit für seine Frau, die vier Kinder und vier Enkel. "Es ist schon der große Nachteil unseres Berufs, dass wir die Hälfte des Jahres nicht zuhause sein können". Für Außenpolitiker kämen zu den Sitzungswochen noch ein bis zwei Auslandsreisen im Monat.
Einer seiner Söhne lebt mit Frau und Kind in Singapur. Deshalb will Polenz so bald wie möglich dort hin. Und vielleicht mietet er mit seiner Frau ein Wohnmobil und fährt rund um die Ostsee. Für die erfahrenen Camper eine reizvolle Vorstellung.
Aber nur privatisieren will Polenz nicht. Über die Mercator-Stiftung wurde ihm ein Senior Fellowship an einer Universität in Istanbul angeboten, die Politikwissenschaftler der Universität Münster wollen ihn für einen Lehrauftrag gewinnen. Und die renommierte Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde hat ihn vor Kurzem zum Vorsitzenden gewählt. Das freut ihn besonders. Denn sonst zehre man als Ex-Abgeordneter von seinen politischen Erfahrungen, und da gebe es "so eine abflachende Kurve, je länger man dem Parlament nicht mehr angehört". Über diese Tätigkeit aber gebe es "noch mal richtig Input".
Neugierig ist Polenz nicht zuletzt auf sich selbst. Das Selbstbild eines Menschen hänge sehr davon ab, wie einen andere sehen. Wenn man eine Funktion, wie er sie ausübt, nicht mehr habe, werde man "von jetzt auf gleich von ganz vielen Menschen ganz anders gesehen. Was das mit dem Selbstbild macht, das finde ich eine spannende Frage." (pst/29.04.2013)