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Die Mitgliedstaaten sollten sich in der NSA-Affäre für einen besseren Schutz der Bürger vor der Überwachung im Internet einsetzen – diese Forderung richtet Christoph Strässer (SPD) an die Parlamentarische Versammlung des Europarates. Die Abgeordneten aus den 47 Mitgliedstaaten des Europarates tagen vom 30. September bis 4. Oktober 2013 in Straßburg. Der Europarat müsse die nationalen Regierungen bei diesem Thema "massiv unter Druck setzen" und entschieden auftreten, sagt der Abgeordnete, der stellvertretender Leiter der deutschen Delegation ist. Im Interview äußert er sich auch zu dem immer noch nicht vollzogenen Beitritt der EU zur Menschenrechtskonvention des Staatenbundes. Das Interview im Wortlaut:
Herr Strässer, seit Jahren debattieren die Europaratsabgeordneten über den geplanten Beitritt der EU zur Menschenrechtscharta des Europarates, womit sich Brüssel der Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshofs unterwerfen würde. Warum hat es immer noch nicht geklappt?
Die Parlamentarische Versammlung hat häufig gemahnt, diesen Schritt endlich zu vollziehen. Auch haben wir uns mehrfach Zwischenberichte über die schwierigen Verhandlungen vorlegen lassen. Es gab etwa Einsprüche aus Frankreich und Großbritannien, denen der mit der Unterschrift der EU unter die Charta verbundene Machtzuwachs des Menschenrechtsgerichtshofs nicht gefiel. Letztlich muten die Verzögerungen indes seltsam an, da der Lissabon-Vertrag den Beitritt Brüssels zum Rechtssystem des Europarates ausdrücklich vorsieht.
Inzwischen haben sich die EU und der Straßburger Staatenbund immerhin auf Arbeitsebene auf einen Vertragsentwurf geeinigt. Ist damit die Kuh inhaltlich vom Eis?
Ich denke, im Prinzip ist das so, man hat einen Durchbruch erzielt. Sicher ist es nicht einfach, die Zuständigkeiten zwischen dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg als der EU-Instanz und den nationalen Verfassungsgerichten präzise abzugrenzen, aber der Vertragsentwurf weist einen gangbaren Weg. Zudem prüft das Luxemburger EU-Gericht, ob der Beitritt Brüssels zur Menschenrechtskonvention in der geplanten Form mit den EU-Verträgen vereinbar ist. Aber da bin ich optimistisch.
Das Abkommen zwischen Straßburg und Brüssel muss von allen nationalen Parlamenten der 47 Europaratstaaten gebilligt werden. Sind Widerstände in einigen Ländern zu erwarten?
Dieser Ratifizierungsprozess dürfte nicht einfach werden, da sind noch hohe Hürden zu überwinden. Vorbehalte gibt es beispielsweise in Großbritannien, Russland und der Türkei. In London wird die Konstruktion des Menschenrechtsgerichtshofs in Frage gestellt. In Moskau wird diskutiert, in welchem Maße man sich dem Rechtssystem des Europarates unterwerfen soll. Auch in der Türkei kommt immer mal wieder Kritik am Straßburger Gerichtshof auf.
In welchem Jahr wird denn der Beitritt der EU zur Menschenrechtskonvention besiegelt werden?
Ich hoffe, dass ich dies noch in der neuen Legislaturperiode des Bundestages erleben werde, also bis 2017.
In Straßburg wollen die Abgeordneten über den Konflikt zwischen Informationsfreiheit und staatlicher Geheimhaltung debattieren, Letzteres wird oft mit den Erfordernissen der Terrorbekämpfung begründet. Wird bei dieser lange geplanten Diskussion jetzt auch der Streit über die NSA-Affäre und Edward Snowden eine Rolle spielen?
Da bin ich mir ganz sicher, die umfassende und in ihren Dimensionen bislang unvorstellbare Überwachung des Internets ist schließlich ein originäres Thema für den Europarat. Wir haben mehrfach einen besseren Schutz von Whistleblowern verlangt. Bei diesem Thema kann sich das Europaratsparlament positiv profilieren, zumal die NSA-Affäre im Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat.
Was kann der Europarat tun, um die Überwachung der Bürger einzudämmen?
Das Europaratsparlament muss die nationalen Regierungen massiv unter Druck setzen. Ich hoffe, dass während der Herbstsitzung internationale Verträge zum Schutz der Bürger vor einer derart weitreichenden Überwachung der Bürger gefordert werden. Die Europaratsabgeordneten sollten an die Mitgliedsländer appellieren, auf nationaler Ebene die nötigen rechtlichen Instrumentarien zu entwickeln, um die Übermittlung von Daten in die USA effektiv zu kontrollieren. Der Europarat muss bei diesem Thema sehr entschieden auftreten.
Der zur Debatte stehende Bericht des Rechtsausschusses verlangt einen besseren Schutz von Leuten wie Edward Snowden, die Missstände in Geheimdiensten aufdecken. Wie soll das bewerkstelligt werden?
Der Europarat selbst vermag da nicht viel zu tun. Wir sollten jedoch gegenüber den Parlamenten der Mitgliedsländer darauf dringen, auf nationaler Ebene Whistleblowern einen ausreichenden Rechtsschutz zu gewähren, etwa im Arbeitsrecht. Da ist bisher noch nicht viel geschehen, auch im Bundestag sind solche Vorstöße bislang gescheitert. (kos/27.09.2013)