Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Vertreter aller Fraktionen im Bundestag haben die Entführung von mindestens 200 Mädchen und jungen Frauen durch die islamistische Gruppierung Boko Haram in Nigeria auf das Schärfste verurteilt. In einer Aktuellen Stunde auf Verlangen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD am Mittwoch, 21. Mai 2014, waren sich die Abgeordneten einig, dass die Entführung und Zurschaustellung der Opfer und die Ankündigung Boko Harams, die entführten Mädchen und jungen Frauen als Sklavinnen zu verkaufen oder zwangszuverheiraten ein schwerwiegendes Verbrechen ist. Zu unterschiedlichen Schlüssen kamen die Redner jedoch in der Bewertung der Ursachen für die zunehmende Ausbreitung des Terrors im Norden Nigerias.
Unionsfraktionschef Volker Kauder machte darauf aufmerksam, dass Boko Haram kein Hehl daraus mache, im Norden des Landes eine islamistische Republik errichten zu wollen, in der die Scharia herrscht und in der Christen nichts zu suchen hätten. Der Konflikt sei im Kern weniger ein ethnischer denn ein religiöser Konflikt, der sich auch deshalb ausbreiten konnte, weil der nigerianische Staat nicht stark genug sei.
„Wir müssen alles daran setzen, dass staatliche Gewalt ihre Aufgabe auch wahrnehmen kann“, sagte Kauder. Zur bitteren Wahrheit gehöre, dass das Christentum die weltweit am meisten verfolgte Religion sei, insbesondere durch radikale Islamisten in muslimischen Ländern.
Annette Groth (Die Linke) nannte Boko Haram eine „kriminelle Bande“, die für „furchtbarste Menschenrechtsverletzungen“ und Massakern an Tausenden Menschen stehe. Es gelte, „mit allen Mitteln der Diplomatie auf eine Freilassung der Mädchen“ hinzuwirken. Militärische Gewalt sei nicht die Lösung - das zeige die „massive Kampagne“ der nigerianischen Armee, der Zivilisten zum Opfer fielen und die auch nicht die Ursachen des Konflikts beseitigen könne.
Zu den Ursachen gehörten Armut, Perspektivlosigkeit und soziales Gefälle, aber auch der Mangel an fruchtbaren Land infolge des Klimawandels. Groth erinnerte zudem daran, dass nach den Kriegen im Irak und in Libyen riesige Mengen an Waffen die Region gekommen seien: „Es gibt dort mehr Waffen als Brot.“
Edelgard Bulmahn (SPD) wertete die Entführung auch als ein „gezieltes Statement gegen die Bildung und damit auch bessere Lebenschancen von Mädchen und jungen Frauen“. Wer wie Boko Haram handle, der gebe nicht nur die eigene Menschlichkeit auf, sondern verabschiede sich „bewusst von den Werten, die allen Religionen und Kulturen gemeinsam sind“. Wenn die Terroristen den Islam als Rechtfertigung heranziehen, dann „verhöhnen“ sie den Islam.
Die nigerianische Regierung müsse den Terror bekämpfen, sagte Bulmahn. „Sie darf dabei aber nicht stehen bleiben“ und müsse Armut bekämpfen und Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen. Darin und bei der Bekämpfung von Hunger und Armut stünden auch Europa und Deutschland entwicklungspolitisch in der Pflicht.
Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen) warnte davor, Boko Haram als ein religiöses Problem zu interpretieren. „Nigeria ist aus rein ökonomischer Sicht sehr erfolgreich“, es zeige aber, dass ein „unreguliertes Wachstum den Kern staatlicher Zerstörung in sich trägt“, weil weite Teile der Bevölkerung nicht daran teilhaben könnten.
Kekeritz erinnerte daran, dass westliche Staaten und Konzerne lange Zeit mit den korrupten Eliten Nigerias zusammengearbeitet hätten. Zur westlichen Verantwortung gehöre auch, dass man von Konzernen „zwingend verlangt“, Umwelt- und Sozialstandards vor Ort einzuhalten.
Bereits am Mittwochmorgen, 21. Mai, hatten alle vier Fraktionen im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einer gemeinsamen Erklärung das brutale Vorgehen Boko Harams auf das Schärfste verurteilt sowie unter anderem an die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft appelliert, „durch Investitionen in die Bereiche Arbeitsplätze, Bildung sowie Bekämpfung der Energiearmut Perspektiven für die vor allem jugendliche Bevölkerung im Norden Nigerias zu schaffen und damit die tiefer liegenden Konfliktursachen zu vermindern“. (ahe/21.05.2014)