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Egal ob Landes- oder Bundespolizei: Im Bundestag können sie nicht ohne Weiteres polizeilich tätig werden wie in anderen öffentliche Gebäuden, sei es auch ein Ministerium oder sogar das Kanzleramt. Im Parlament gelten andere Regeln. Der Grund: Der Bundestag ist wie ein eigener Polizeibezirk. Oberster Dienstherr und „Polizeipräsident im Sprengel Bundestagsgebäude“, wie der Staatsrechtler Walter Jellinek es einmal formulierte, ist hier der Bundestagspräsident. So will es das Grundgesetz: „Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages aus. Ohne seine Genehmigung darf in den Räumen keine Durchsuchung oder Beschlagnahmung stattfinden“, heißt es in Artikel 40, Absatz 2.
Diese Regelung hat historische Gründe: Durch seine Polizeigewalt schützt der Bundestagspräsident das Parlament, die Legislative, vor der Einflussnahme durch Exekutive und Judikative. So bleibt eines der zentralen Prinzipien der Demokratie, die Gewaltenteilung, gewahrt.
In der Zeit des Nationalsozialismus war das völlig anders: Die demokratischen Regeln wurden außer Kraft gesetzt, die Polizeigewalt des Reichstagspräsidenten fand keine Beachtung. Als Lehre aus dieser Vergangenheit standen nach der Gründung der Bundesrepublik die Väter und Mütter des Grundgesetzes dem Bundestagspräsidenten eigenes Sicherheits- und Ordnungspersonal zu, das nur ihm unterstellt ist.
Dabei hat die Polizeigewalt des Parlamentspräsidenten durchaus eine längere Geschichte: Bereits die Verfassungen des Deutschen Reichs und der Weimarer Republik kannten ähnliche Regelungen. Vorbilder waren damals die Parlamente in Frankreich und Belgien. Dennoch dauerte es nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland mehr als zehn Jahre, bis der Bundestag tatsächlich eine eigenständige Polizei bekam.
Als sich der Bundestag am 7. September 1949 erstmals konstituierte, übernahmen auf Anforderung des damaligen Bundestagspräsidenten Erich Köhler Beamte der Kriminalpolizei die Ordnungs- und Sicherungsaufgaben im Bundeshaus. Der Organisationsausschuss des Parlaments empfahl aber bald, „dass das Haus sich bemühen müsse, einen eigenen Sicherheitsdienst einzuführen“.
Im April 1950 richtete dann Köhler eine „Hausinspektion“ ein, die wenige Monate später in „Hausordnungsdienst“ (HOD) umbenannt wurde. Die Mitarbeiter trugen fortan eine grüne Armbinde mit der Aufschrift „Haus-Ordnungsdienst“ und übernahmen auch Aufgaben der Saaldiener im Plenum.
Mit den polizeilichen Aufgaben waren in dieser Zeit Beamte des Bundeskriminalamtes betraut. Der HOD hingegen war rechtlich gesehen keine Polizei, die über Exekutivgewalt verfügte, sondern eine reine „Hauspolizei“ – ähnlich wie in der Weimarer Republik. Zu dieser Zeit verfügte der Reichstag ebenfalls „nur“ über eine Hauspolizei mit rein hausrechtlichen Befugnissen.
Das änderte sich erst zehn Jahre später grundsätzlich: Zum 31. Dezember 1960 wurde der HOD in das Polizeibeamtengesetz aufgenommen. Doch die 1966 von Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier erlassenen Richtlinien über die Hausinspektion übertrugen den Vollzugsbeamten nur zögerlich exekutivpolizeiliche Aufgaben. Erst unter dem Eindruck des RAF-Terrors in den 1970er-Jahren wurde der HOD – seit der von Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel vorangetriebenen „Kleinen Parlamentsreform“ 1969 Hausinspektion genannt – zu einer polizeilichen Vollzugdienstelle ausgebaut.
Um die Sicherheit im Bundeshaus zu gewährleisten, stockte die Bundestagsverwaltung 1975 den Polizeivollzugdienst mit Bundesgrenzschutzbeamten auf. Erstmals bekamen die Polizisten der Hausinspektion nun auch die Befugnis, im Rahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Personen festzunehmen, zu durchsuchen oder Beweismittel zu beschlagnahmen.
Einen weiterer wichtiger Schritt war die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die Hausinspektion 1989 in „Polizei- und Sicherungsdienst“ beim Deutschen Bundestag umzubenennen.
Von da an sei der Tätigkeit der de facto längst bestehenden Bundestagspolizei auch von den Polizeibehörden der Länder und des Bundes der „angemessene Respekt“ entgegengebracht worden, schreibt Ralph Igel, Beamter der Bundestagspolizei, in einem 2013 zusammen mit dem Historiker Michael F. Feldkamp in der Zeitschrift für Parlamentsfragen veröffentlichten Beitrag über die „Polizei des Bundestagspräsidenten in parlamentsgeschichtlicher Perspektive“. „Oft wurden zuvor die Zuständigkeiten sowie der Status der Polizeibehörde angezweifelt oder sogar negiert.“
Die Umbenennung jedoch verbesserte die Akzeptanz nachhaltig und schaffte die Basis für die heute eng verzahnte Zusammenarbeit mit anderen Polizeibehörden wie Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Landespolizei. Schon allein angesichts der häufigen Staatsbesuche im Bundestag ist diese dringend erforderlich. Wie Bundestagspolizei und Berliner Landespolizei tagtäglich kooperieren, lässt sich zum Beispiel am Westportal des Reichstagsgebäudes beobachten, wo die Touristen für den Besuch auf der Reichstagskuppel anstehen.
Aufgrund der anhaltenden Terrorismusbedrohung finden seit 2010 die Sicherheitskontrollen nicht mehr im Reichstagsgebäude, sondern in Containern statt, die in einer abgesperrten Zone auf dem Platz der Republik stehen. Davor wacht der Zentrale Objektschutzes der Landespolizei in blauer Uniform, dahinter die Bundestagspolizei. In zivil, aber erkennbar an einer schwarzen Windjacke mit weißer Polizeiaufschrift auf dem Rücken, haben die Beamten das Geschehen vor dem Parlament stets im Blick. (sas/05.08.2014)