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Die Nummernschilder unserer Autos ziert ein "D" für Deutschland, in der Tagesschau dominieren Nachrichten aus der Bundespolitik, von Nord nach Süd, Ost nach West zahlen die Bürger einheitliche Steuersätze. Und doch: Ob Nordseeküste, Schwäbische Alb oder Erzgebirge – es sind vor allem die Regionen und Länder, die mit ihren unterschiedlichen sprachlichen oder kulturellen Traditionen den Alltag der Menschen in Deutschland prägen. Dazu kommen eigene Institutionen: Länderparlamente, Länderregierungen, Verwaltung und Gerichte. Diese gesellschaftliche und auch politische Vielfalt spiegelt sich in der föderalen Ordnung unseres Landes wider.
Festgeschrieben ist sie in Artikel 20 Absatz 1: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Hier haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes den Föderalismus als Staatsprinzip klipp und klar verankert – und zudem in Artikel 79 Absatz 3 mit einer "Ewigkeitsklausel" versehen. Selbst eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat könnte das Bundesstaatsprinzip, die Gliederung in Länder und die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung, nicht abschaffen.
Der Bund erscheint mit seiner Gesetzgebungskompetenz heute übermächtig. Im Grundsatz jedoch geht unsere Verfassung vom Gegenteil aus. Nämlich: Dass es die Länder sind, die für Gesetzgebung und Verwaltung zuständig sind. Aufschluss über die Rolle der Länder und ihre Hoheitsrechte gibt vor allem Artikel 30 des Grundgesetzes. Hier heißt es: "Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt."
Damit betont Artikel 30 nicht nur die Eigenstaatlichkeit der Länder, es kommt auch ein fundamentales Gebot des Föderalismus zum Ausdruck: das der Subsidiarität. Es bedeutet, dass die gesamtstaatliche Ebene nur jene Aufgaben übernehmen sollte, die auf der teilstaatlichen nicht erfüllt werden können oder die Interessen aller Mitglieder des Bundes betreffen. Deshalb enthalte Artikel 30, so Dieter Hesselberger in seinem Grundgesetz-Kommentar, die "Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder".
Der Bund übernimmt nur dann das Zepter, wenn es wirklich notwendig ist. Artikel 70 Absatz 1 des Grundgesetzes, der die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern regelt, untermauert dies – allerdings mit einer Einschränkung: "Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungskompetenzen verleiht."
Legt die Politik also das Grundgesetz falsch aus? Hat der Bund zu viel Macht? Müssten nicht die Länder viel mehr Gesetzgebungskompetenzen besitzen? Nicht ganz, denn es gilt ein zweites Verfassungsprinzip, das Gebot der Solidarität. Es bedeutet, dass sich die Bundespartner, Bund und Länder, gegenseitig helfen.
"Hauptziel" des Bundes sei die Solidarität, schreibt Albert Funk, Autor des Buches "Föderalismus in Deutschland". Aber sie sei durch das Autonomieprinzip begrenzt: Die Eigenständigkeit der Länder solle nicht beschnitten werden. Soweit das Grundgesetz. Tatsächlich hat die Auslegung dieser Prinzipien bei der Verteilung der Kompetenzen immer wieder zu Streit zwischen Bund und Ländern geführt – ebenso wie zwischen denen, die sich für mehr Föderalismus einsetzten, und solchen, die den Bundesstaat unitarischer gestalten wollten.
Solche Konflikte gab es bereits im Parlamentarischen Rat. Wenig umstritten war zwar, dass der Bund bei der Verteilung der Zuständigkeiten den Vorrang bekam – im Hinblick auf das bis 1994 geltende Verfassungspostulat von der "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" schien dies in der Nachkriegszeit, in der von Region zu Region sehr unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Verhältnisse herrschten, sinnvoll.
Doch der Grundsatz, wonach die Länder zunächst das Recht der Gesetzgebung haben, sei später durch etliche Einschränkungen ins Gegenteil verkehrt worden, urteilt der Föderalismus-Experte Funk. Als Kernstück der Eigenstaatlichkeit sei den Ländern vor allem die Kultur- und Bildungspolitik geblieben. Diese sogenannte Kulturhoheit umfasst die primäre Zuständigkeit für Schul- und Hochschulwesen, Bildung, Rundfunk, Fernsehen und Kunst.
Doch auch hier agierten die Länder bald nicht mehr autonom. Seit 1949 hat der Bund seine Machtbefugnisse sukzessive ausgebaut. Doch: Je mehr der Bund in der konkurrierenden Gesetzgebung Kompetenzen an sich zog, desto größer wurde der bundespolitische Einfluss der Länder über den Bundesrat. Was Funk einen "föderalistischen Clou" nennt, entwickelte sich seit Mitte der 1960er-Jahre zum "kooperativen Föderalismus", der von einem hohen Maß der Zusammenarbeit von Bund und Ländern geprägt ist.
Diese hatte aber auch Nachteile: In Politik und Wissenschaft wuchs ab Mitte der 1980er-Jahren die Diskussion über die von dem Politikwissenschaftler Fritz Scharpf konstatierte "Politikverflechtungsfalle", in der die Bundesrepublik gefangen sei. Der kooperative Föderalismus stoße an seine Grenzen, sei ineffizient und unflexibel. Kurz: Es bestehe dringender Reformbedarf, so die Kritik.
Doch erst im Oktober 2003 machte sich die von Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) geleitete Föderalismuskommission I an eine Entflechtung: Die "Mutter aller Reformen", wie Stoiber diese nannte, sollte die umfangreichste Neuordnung des Föderalismus seit 1949 angehen. Das große Ziel: Bund und Länder handlungsfähiger, den Föderalismus durchschaubarer machen.
Gemessen daran enttäuschten die Ergebnisse manche. Andere bescheinigten der Kommission jedoch, den Trend zum Unitarismus gebremst und umgekehrt zu haben. Aus Sicht der Länder der wichtigste Erfolg: Mit der Abschaffung der Rahmengesetzgebung wurden sie in der Bildungspolitik wieder autonom. Die Länder könnten nun als Bildungsstaaten agieren", lobte Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) damals.
Trotzdem: Die Reform des Föderalismus bleibt Daueraufgabe der Politik. Nach der Föderalismuskommission II, die sich darauf einigte, eine Schuldenbremse zur Bekämpfung der Staatsverschuldung im Grundgesetz zu verankern, wird sich eine Föderalismuskommission III vor allem mit dem bislang ausgesparten Thema Finanzföderalismus beschäftigen müssen.
2019 laufen die gegenwärtigen Regeln für den Länderfinanzausgleich und den Solidarpakt II aus. (sas/06.01.2013)