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Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen früher in die Rente gehen, sollen künftig besser abgesichert sein. Das betonten am Donnerstag, 16. Januar 2014, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag. Ob dabei auch die bislang bestehenden Abschläge entfallen sollen, bleibt umstritten. Einen entsprechenden Antrag der Linksfraktion (18/9) überwiesen die Abgeordneten zur Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Für die Oppositionsfraktionen ist ganz klar: Die Abschläge müssen weg. Das betonte für Die Linke Matthias W. Birkwald. Krankheit dürfe "niemals zum sozialen Abstieg führen". Tatsächlich drohe aber vielen Versicherten, die einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellten, nach "der Antragstortur" ein Schock: Eine große Mehrheit von 96 Prozent der Erwerbsgeminderten werde mit "der Höchststrafe von 10,8 Prozent" Abschlägen bestraft.
Schon jetzt hätten es in Deutschland 1,7 Millionen Menschen in Deutschland aus gesundheitlichen Gründen nicht geschafft, bis 65 zu arbeiten, jährlich kämen 180.00 hinzu. Grund seien oftmals "katastrophale Arbeitsbedingungen", die immer öfter auch psychisch so belastend seien, dass die Arbeit nicht mehr auszuhalten sei.
In der letzten Legislatur sei sich die Opposition einig in ihrer Forderung gewesen, die Abschläge abzuschaffen. Die Große Koalition sei auf diesem Ohr allerdings taub und plane mit ihrem Vorhaben, die Zurechnungszeiten zu erhöhen, nur "kleine Fortschritte".
Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, nannte es "absolut besorgniserregend", dass die Zahl derer, die aufgrund psychischer Erkrankungen in Erwerbsminderungsrente gingen, immer weiter ansteige. Zudem beklagte er, dass die Höhe der Renten weiter sinke: Sie habe für Männer im Westen im Jahr 2000 bei 836 Euro gelegen; 2010 seien es 679 Euro gewesen. Das Armutsrisiko Erwerbsgeminderter liege bei 36 Prozent.
Wer aus gesundheitlichen Gründen in Rente gehe, dürfe nicht unter Abschlägen leiden, so Kurth, denn niemand tue dies freiwillig. Der Referentenentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium sehe verbesserte Zurechungszeiten nur für Neuzugänge in die Erwerbsminderungsrente vor, nicht aber für Bestandsrentner. Offenbar könne die Koalition statt der geplanten Pakete nur Päckchen schnüren, "denn die Milliarden für Mütterrente und Rente mit 63 müssen bezahlt werden".
In der SPD stößt die Forderung, die Abschläge abzuschaffen, auf Zustimmung. So sagte Michael Gerdes, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK habe klargemacht, Erwerbsminderungsrentner dürften nicht mit 10,8-prozentigen Abschlägen bestraft werden: Diese Aussage sei "richtig".
Es mache einen Unterschied, ob Menschen aus gesundheitlichen Gründen in die Rente gingen oder aufgrund ihrer "persönlichen Lebensplanung". Die Koalition habe das "Problem erkannt": Aktuell könne man mit dem Schutz von Erwerbsgeminderten in Deutschland "nicht zufrieden" sein.
Für die Unionsfraktion lobte Peter Weiß die Pläne der Koalition: Mit der Erhöhung der Zurechnungszeiten von 60 auf 62 Lebensjahre gelinge eine "bemerkenswerte Verbesserung". Gleichzeitig solle neu geregelt werden, dass für die Berechnung der Rente "der beste Verdienst" herangezogen werde und nicht die letzten vier Jahre vor Renteneintritt, wenn Betroffene in dieser Zeit schon schlecht verdient hätten. Die Abschläge sollen aber beibehalten werden.
Handeln sei notwendig, denn während nur 2,5 Prozent der Rentner von Grundsicherung im Alter abhängig seien, seien es bei den Erwerbsgeminderten zwölf Prozent. Zum guten Erwerbsminderungsschutz gehöre nicht nur die Absicherung der Betroffenen, so Weiß. Nötig sei auch dafür zu sorgen, etwa psychische Erkrankungen zu vermeiden. Er erhoffe sich einen "zweiten Schub" zur "Humanisierung der Arbeitswelt". (suk/16.01.2014)