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Das Abschneiden der deutschen Schüler in der Pisa-Studie 2012 wird im Bundestag unterschiedlich bewertet: Während die Große Koalition das Erreichte als großen Erfolg lobt, sieht die Opposition das deutsche Bildungssystem weiterhin als kritikwürdig an. Das wurde deutlich in der Debatte am Donnerstag, 16. Januar 2014.
So betonte Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU), der "Pisa-Schock" des Jahres 2000 habe "enorm viel bewirkt": Seitdem stehe Bildung auf der Agenda "ganz weit oben". Es sei richtig, dass Bund und Kultusministerkonferenz sich damals auf gemeinsame Ziele und Standards verständigt hätten. Dass deutsche Schüler im Bereich der Naturwissenschaften inzwischen der Spitzengruppe angehörten und in Mathematik und Lesen über dem Durchschnitt der OECD-Staaten lägen, sei "ein großer Erfolg".
Gleiches gelte für die Tatsache, dass die Zahl der Schüler mit niedrigeren Kompetenzen zurückgegangen sei und sich gleichzeitig deren Ergebnisse verbessert hätten. Das "Schlimmste" sei 2000 die Erkenntnis gewesen, dass in Deutschland Bildungserfolg und soziale Herkunft stärker als in anderen Ländern miteinander verknüpft gewesen seien.
Wanka sagte, ihr sei bewusst, dass auch in diesem Bereich "noch viel zu tun" bleibe, der Zusammenhang aber habe abgenommen; es gebe "eindeutig Bewegung". Deutschland könne stolz sein, dass Schüler mit Migrationshintergrund sich seither um fast anderthalb Schuljahre verbessert hätten. Das gute Abschneiden jetzt sei jedoch kein Garant für die Zukunft, so Wanka.
Die Ministerin kündigte an, man wolle in Zukunft etwa stärker darauf achten, auch leistungsstarke Schüler zu unterstützen. Dass von den 23 Milliarden Euro, die die Koalition in dieser Legislatur zusätzlich ausgebe, neun Milliarden Euro in den Bereich von Bildung und Wissenschaft gingen, zeige, dass das Bildungsthema "eindeutig Priorität" habe.
Auch die Redner der Großen Koalition zeigten sich über Pisa 2012 erfreut. Die Ergebnisse seien aus deutscher Sicht "höchst erfreulich", betonte der CSU-Abgeordnete Albert Rupprecht. Deutschland liege "signifikant über dem OECD-Schnitt" und habe sich "vier Mal hintereinander" verbessert; dies sei keinem anderen Land gelungen.
Die Gründe dafür, dass deutsche Schulen heute "wieder vorn mit dabei" seien, lägen nicht in den Schulstrukturen, sondern daran, dass im Jahr 2000 alle Beteiligten "wachgerüttelt" worden seien und "insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort" sich ihren Aufgaben gestellt und die Qualität der Bildung verbessert hätten. Die Politik habe dies massiv unterstützt.
Die Sozialdemokraten teilen diese Einschätzung, mahnen aber weitere Schritte an. So sagte der SPD-Bildungspolitiker Ernst Dieter Rossmann, man müsse weiterhin die Armut von Kindern, sowohl materielle als auch Bildungsarmut, bekämpfen. Dazu gehöre auch die Einsicht, dass die Bildungsbiografie bereits in der frühen Kindheit beginne. Es sei nötig, die Priorität frühkindlicher Bildung in den Kitas und die Leistungen der Erzieher durch eine verbesserte Ausbildung zu verbessern.
Wenn es nicht möglich sei, ein zweites Ganztagsschulprogramm aufzulegen, müsse der Bund die Qualitätsentwicklung in den Schulen mit begleiten und zudem die Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer unterstützen. Es sei gut, dass es Fortschritte in den Kompetenzen gebe. Man habe aber einen "anderen Anspruch": Deutschland solle "nicht Kompetenzrepublik" sein, sondern "Bildungsrepublik".
Deutlich fiel dagegen die Kritik der Oppositionsfraktionen aus. Für Die Linke betonte Dr. Rosemarie Hein, Sprecherin ihrer Partei für allgemeine Bildung, Deutschland nehme nur Platz 16 unter den 65 teilnehmenden Staaten ein; damit sei kein "Grund zum Jubeln" gegeben. Die Hälfte der Hauptschüler und zehn Prozent der Realschüler erreichten lediglich die unterste Kompetenzstufe; damit hätten sie keine Chancen auf einen Ausbildungsplatz.
Noch immer habe die Herkunft einen "viel zu großen Einfluss" auf Abschluss und Lernergebnisse. Deutschland lerne zwar, so Hein, "aber es lernt zu langsam". Behalte man das bisherige Tempo bei, könne man etwa im Bereich der Mathe-Leistungen erst in 20 Jahren zum Kreis der Besten gehören: "Diese Zeit haben wir nicht". Die Bildungsproblematik müsse "grundsätzlich angepackt" werden. Die "Programme und Progrämmchen, die wir am laufenden Band erfinden", reichten nicht aus. Der Bund müsse "bildungsstärker mitfinanzieren".
Dieser Ansicht sind auch Bündnis 90/Die Grünen. Für sie sagte Özcan Mutlu, es habe zwar Fortschritte gegeben, das deutsche Schulsystem befinde sich aber dennoch "in Schieflage". 18 Prozent der Schüler gehörten zur Risikogruppe, die überproportional gefährdet sei. Bildung sei auch heute "noch entscheidend vom Geldbeutel der Eltern abhängig": Das "war, ist und bleibt ein Skandal".
Mit dem grundgesetzlichen Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildungspolitik sei die "Kleinstaaterei" im Bildungssystem manifestiert worden – er frage, wie es damit weitergehen solle, so Mutlu. Er wolle auch wissen, wie der Bund die Länder bei "Mammutaufgabe Inklusion" unterstützen wolle und wo die Reform der "chaotischen" Lehrerbildung bleibe. Der Koalitionsvertrag gebe darauf keine Antworten. (suk/16.01.2014)