Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Beim Versuch, eine Bilanz des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zu ziehen, kommen die Fraktionen des Bundestages zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das wurde im Verlauf der Debatte über einen letztmalige Verlängerung des Afghanistan-Mandats am Donnerstag, 13. Februar 2014,deutlich. Während der Vorsitzende der Linksfraktion Dr. Gregor Gysi von einem "Desaster" sprach, da keines der bei dem Einsatz verfolgten Ziele erreicht worden sei, kam Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) zu einem "paradoxen Befund". So sei es richtig gewesen, das Taliban-Regime zu stürzen. Dennoch sei der Einsatz gleichzeitig auch gescheitert, urteilte er. Redner der Koalitionsfraktionen bewerteten dies anders. Niels Annen (SPD) kam ebenso wie Philipp Mißfelder (CDU/CSU) zu der Einschätzung, dass man die Ziele zu hoch gesteckt habe. Gleichzeitig verwiesen sie darauf, dass sich die Lebensverhältnisse der Menschen in Afghanistan verbessert hätten.
Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) rief dazu auf, auch mit Blick auf die Situation in Afrika, Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz zu ziehen. "Wir brauchen eine Stärkung der Krisenprävention vor Interventionen", sagte Müller. Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einer gemischten Bilanz. Es stimme, dass viele Ziele nicht erreicht worden seien. Dennoch müsse das, was geschaffen wurde, auch nach dem Abzug der Nato-Truppen verteidigt werden, forderte er.
Afghanistan sei nicht mehr die Ausbildungszentrale des islamistischen Terrors, sagte Steinmeier und urteilte: "Damit ist schon viel erreicht." Gleichzeitig warnte der Außenminister vor geschönten Bilanzen, die nicht weiterhelfen würden. Man müsse schließlich konstatieren, dass selbst das, was erreicht wurde, nicht unbedingt für die nächsten Jahre gesichert sei.
Steinmeier verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung, dem Zugang zur Bildung, der Stromversorgung und der Infrastruktur. "Das mag für viele von uns zu wenig sein. Für die Afghanen ist es aber sehr viel", betonte er. Dies zu verteidigen sei vor allem Aufgabe der Afghanen selbst. Deutschland sei bereit, den zivilen Aufbau zu unterstützen, machte der Außenminister deutlich. "Wir brauchen dafür aber Sicherheitsrahmenbedingungen", sagte er. Der Schlüssel dafür sei das bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen Afghanistan und den USA, das jedoch durch die afghanische Seite noch nicht unterzeichnet sei.
Gregor Gysi griff dies auf und sagte an die Bundesregierung gewandt: "Und was passiert, wenn der Vertrag nicht zustande kommt?" Einen Plan B, so kritisierte Gysi, habe die Regierung nicht zur Hand. Ohnehin sei der "Nato-Krieg" in Afghanistan gescheitert. "Es war die falsche Antwort auf die Anschläge auf das World Trade Center", sagte der Vorsitzende der Linksfraktion. Neben vielen Zivilisten in Afghanistan hätten auch 54 Bundeswehr-Soldaten dafür mit den Leben zahlen müssen.
Seiner Ansicht nach ist keines der Ziele des Einsatzes erreicht worden. Auch dass Afghanistan nun kein Ausbildungsgebiet mehr für Terroristen sei, wie von Steinmeier erwähnt, ließ Gysi nicht gelten. Diese Ausbildungszentren gebe es nun in Pakistan oder dem Jemen. Statt Erfolge habe es gerade 2013 eine weitere Verschlechterung der Lage gegeben. Das beträfe sowohl die Gewalt im Lande als auch die Bildungssituation und die Gewalt gegen Frauen. "Den Afghanen", so Gysi, "geht es schlechter als je zuvor."
Es habe im Jahr 2001 keine Alternative zu dem Einsatz gegeben, sagte Bundesentwicklungsminister Müller und kritisierte das "Wegducken" der Linksfraktion. Es sei völlig klar, dass militärische Einsätze allein keinen Frieden schaffen. "Ein friedliches Afghanistan hat nur mit einer nachdrücklichen und international abgestimmten Entwicklungszusammenarbeit eine Chance", sagte Müller.
Dafür sei jedoch auch ein klares Signal der afghanischen Regierung nötig. Deutschland, so der Entwicklungsminister weiter, sei bereit 430 Millionen Euro jährlich in das Land zu investieren. Ziel sei der Aufbau einer leistungsfähigen rechtsstaatlichen Gesellschaft. Wichtig dabei sei: "Unser Geld muss bei den Menschen ankommen."
Dass der Isaf-Einsatz in Afghanistan teils gescheitert sei, habe auch mit dem zeitgleichen "Enduring-Freedom"-Einsatz der Amerikaner zu tun, sagte Jürgen Trittin. "Man kann keinen Rechtsstaat aufbauen, wenn man jede Nacht Drohnen zu extralegalen Tötungen losschickt", sagte der Grünen-Abgeordnete. Das zerstöre die Glaubwürdigkeit des zivil-militärischen Isaf-Einsatzes. In Zukunft dürften nie wieder in einem Gebiet zwei sich ausschließende militärische Operationen stattfinden, forderte er.
Im Übrigen habe man sich viel zu lange der Einsicht widersetzt, dass es am Ende eines solchen Konfliktes wie in Afghanistan eine Verständigung zwischen den Parteien geben müsse. "Uns schlug Empörung entgegen, als wir Gespräche mit den Taliban vorgeschlagen haben", sagte Trittin in Richtung der Unionsfraktion. Heute sei man froh, dass es Gesprächskanäle mit den Taliban gibt und gleichzeitig von der Sorge umtrieben, dass diese "wegen der Fortsetzung des Drohnenkrieges" wieder zum Erliegen kommen könnten.
Ob der Einsatz gescheitert sei, entscheide sich erst nach 2014, sagte Niels Annen (SPD). "Wir sollten alles tun, damit die Erfolge für die Menschen in Afghanistan erhalten bleiben", forderte er. Die negative Einschätzung durch die Linksfraktion ist aus seiner Sicht unverständlich. "Sie nehmen als Bezugspunkt ganz offensichtlich nicht die Zeit der Taliban-Herrschaft. Sonst könnten Sie zu solchen Ergebnissen gar nicht kommen", urteilte er.
Seine Partei sei bereit, eine kritische Debatte "auch über Fehler" zu führen. "Aber wir dürfen darüber hinaus nicht vergessen, dass wir in den letzten zwölf Jahren der afghanischen Gesellschaft eine Chance gegeben haben." Man müsse den Menschen nun helfen, diese Chance auch weiterhin wahrzunehmen.
Auch wenn nicht alle Ziele erreicht wurden, sei nicht alles schlecht gewesen, sagte auch der Unionsabgeordnete Philipp Mißfelder. Nun stehe man vor der Herausforderung der Präsidentschaftswahlen oder auch den Wahlen der Provinzräte. Für Mißfelder ein Anlass festzustellen: "Selbst wenn uns nicht jeder Kandidat, der sich bewirbt, in den Kram passt: Es wäre unter der Herrschaft der Taliban unvorstellbar gewesen, dass es eine Auswahl gibt, dass sich Frauen zur Wahl stellen und dass es eine Diskussion um die Ausrichtung des Landes gibt." Um diese und andere Erfolge nicht zu gefährden, setze man im Anschlussmandat auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, sagte Mißfelder.
Der Bundestag überwies den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Isaf-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan bis Ende 2014 (18/436) zusammen mit dem Fortschrittsbericht der Bundesreierung zur Lage in Afghanistan 2014 (18/466) zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss. (hau/13.02.2014)