Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der Bundestag hat die Verantwortlichen in der Ukraine zu einem sofortigen Ende der Gewalt und einer friedlichen Beilegung des Konflikts aufgefordert. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert betonte zu Beginn der einstündigen vereinbarten Debatte am Donnerstag, 20. Februar 2014, "alle Beteiligten in den Behörden wie auf den Straßen, auf beiden Seiten der Barrikaden, müssen einsehen, dass sich gewünschte Veränderungen weder durch Gewalt erzwingen noch notwendige Veränderungen dauerhaft mit Gewalt verhindern lassen". Die ukrainische Regierung forderte er auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, weiteren Schaden vom eigenen Land und den eigenen Bürgern abzuwenden und "endlich eine offene Debatte über die seit Langem geforderte Verfassungsreform" zuzulassen. Den Opfern der Gewalt in der Ukraine und ihren Angehörigen sprach Lammert sein tiefes Mitgefühl aus.
Niels Annen (SPD) sagte, bei einer weiteren Eskalation des Konflikts werden die EU-Außenminister in Brüssel nicht umhinkommen, Sanktionen zu beschließen, auch wenn diese allein nicht die Lösung des Problems sein könnten. Die Europäische Union müsse zudem ihre Politik der östlichen Partnerschaft überdenken. Die Europäische Union dürfe in der Ukraine "nicht wieder den Eindruck erwecken, das Land müsse sich zwischen Russland und der EU entscheiden", betonte Annen.
Mit dieser Nullsummenlogik müsse Schluss sein. Den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch forderte er auf, Schluss zu machen mit "seiner Politik des Hinhaltens und Täuschens". Er müsse endlich handeln wie ein Präsident des ganzen Landes. Dem Gewaltverzicht müssten eine Rückkehr zur Verfassung von 2004 und vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Jahr folgen. "Setzen Sie eine Verfassungskommission ein und bilden Sie unverzüglich eine repräsentative Übergangsregierung", appellierte Annen an Janukowitsch.
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) fand gegenüber Russland deutliche Worte: Aus seiner Sicht habe Moskau durch "offene Erpressung" vor der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU zur Eskalation der politischen Krise beigetragen. Dennoch pflichtete er Niels Annen bei: Europa dürfe sich keine Nullsummenlogik aufzwingen lassen.
Russland gewinne nicht, wenn die Ukraine die Zusammenarbeit mit der EU aufgebe, und die EU gewinne nicht, wenn sie nicht mehr mit Russland zusammenarbeite. "Wir gewinnen entweder alle durch zunehmende Kooperation und Integration in Europa oder wir verlieren alle durch Instabilität und Unsicherheit in Europa", warnte Schockenhoff. Von der Regierung in Kiew forderte er einen anhaltenden Waffenstillstand, eine sofortige Umsetzung der Amnestie, die Rückkehr zur Verfassung von 2004 und die Bildung einer nationalen Übergangsregierung.
Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, das Regime Janukowitsch habe verhindert, dass im ukrainischen Parlament über eine Verfassungsänderung, über mehr demokratische Rechte und die Möglichkeit des Machtwechsels debattiert werden könne. Dies sei der Auslöser für die Eskalation gewesen. Sie forderte angesichts der Lage in der Ukraine ein deutliches Signal der EU-Außenminister und klare Worte der deutschen Regierung in Richtung der ukrainischen Machthaber.
Dazu gehöre auch, den Verantwortlichen die kriminellen Geldflüsse abzudrehen, deren Auslandskonten zu sperren und Visasperren für einzelne Beteiligte auszusprechen. Sie kritisierte, dass die deutsche Regierung nicht schon früher in dieser Woche deutlich gemacht habe, dass Sanktionen sehr bald ausgesprochen werden könnten.
Andrej Hunko (Die Linke) warf Bundesregierung und EU in der Debatte vor, sich von "faschistischen Kräften auf dem Maidan" nicht genügend zu distanzieren und etwa die Swoboda-Partei einfach als Teil des Oppositionsbündnisses zu akzeptieren. Diese Partei sei zusammen mit dem rechten Block derzeit die organisatorisch und ideologisch dominante Kraft auf dem Maidan, so Hunko. Sie werde vom jüdischen Weltkongress als "neonazistisch" eingestuft und kooperiere in Europa mit Parteien wie Jobbik in Ungarn und der British National Party in Großbritannien.
Dieser Vorwurf stieß bei den anderen Fraktionen auf großen Ärger und Widerspruch. So warf Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) der Linksfraktion vor, sich nicht von der Methode zu distanzieren, "einzelne Stimmen, die es in der ukrainische Opposition gebe, dazu zu benutzen, die Opposition und ihr Eintreten für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte insgesamt zu diffamieren". (joh/20.02.2014)