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Die russischen und ukrainischen Atomkraftwerke (AKW) weisen massive Sicherheitslücken auf und entsprechen nicht den modernen Anforderungen. Die Qualifikation des Personals sei mangelhaft, die Normen für die radioaktive Sicherheit würden immer weiter aufgeweicht und das Problem der Lagerung der abgebrannten Brennstäbe sei bislang ungelöst. Diese Einschätzungen von Vladimir Kuznetsov, Professor der Arkhangelsk Arctic State University, lösten am Mittwoch, 19. März 2014, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit große Besorgnis unter den Abgeordneten aus. Thema der Anhörung waren die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl am 26. April 1986 und Fukushima am 11. März 2011.
Von einer "unvorstellbaren Situation" sprach Steffen Kanitz von der CDU/CSU-Fraktion, Klaus Mindrup (SPD) bezeichnete die Ausführungen des Sachverständigen als "erschütternd".
Kuznetsov, der vor der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl als Hauptingenieur in Reaktor 3 gearbeitet hatte, dort nach dem Unglück am 26. April 1986 als Liquidator tätig war und später als Mitarbeiter der sowjetischen Atomenergieaufsichtsbehörde, sagte im Ausschuss, die Havarie des AKW habe alle Schwachstellen der Atomenergienutzung in der damaligen Sowjetunion ans Licht gebracht. Diese seien aber auch heute nicht beseitigt.
So sei die Atomaufsichtsbehörde der Russischen Föderation heute "ein drittrangiges Komitee", das seine Kontrollfunktion nicht unabhängig ausüben könne. Außerdem sei nach Tschernobyl nicht ein Reaktor in der Russischen Föderation oder der Ukraine geschlossen worden. Für die inzwischen teilweise über 40 Jahre alten AKWs gebe es keine durchgehenden Sicherheitskonzepte, obwohl die alten Reaktoren vom Typ RBMK, zu denen auch Tschernobyl gehörte, "hochgefährlich" seien.
Sie dürften nach Ansicht von Kuznetsov nicht weiter genutzt werden. Für eine Stilllegung stelle die russische Regierung aber kein Geld zur Verfügung. Stattdessen fördere sie die Entwicklung von Verfahren, mit denen die Kapazitäten der alten Reaktoren weiter erhöht werden können.
Vor dem Hintergrund der schwierigen Sicherheitslage in den russischen AKW bat Kuznetsov die Bundestagsabgeordneten und die Bundesregierung, Druck auf Russland auszuüben. Wenn es nicht gelinge, eine Stilllegung der alten Reaktoren zu erwirken, drohe "eine Wiederholung der Katastrophe von Tschernobyl", warnte er.
Die Vorsitzende des Umweltausschusses, Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen), sicherte dem früheren Atominspektor die Hilfe Deutschlands zu. Es müsse jetzt genau überlegt werden, "wie wir Unterstützung leisten können, auch für die Zivilgesellschaft vor Ort", sagte sie. Hubertus Zdebel von der Linksfraktion sprach sich ebenfalls dafür aus, alles dafür zu tun, die "offensichtlich sehr störanfälligen Reaktoren" abzustellen.
Kuznetsov führte weiter aus, dass auch 28 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl das Risiko einer radioaktiven Verseuchung der Umwelt nicht gebannt sei. So habe es in Russland infolge der starken Dürre in den Jahren 2010 und 2011 viele Waldbrände gegeben. Durch die Feuer sei kontaminierter Boden in weiten Teilen der Ukraine, Weißrusslands und Russlands wieder aufgewirbelt worden.
Auch die Länder Westeuropas könnten so abhängig von der Windstärke und der Windrichtung wieder in den Wirkungsbereich von radioaktiven Wolken kommen, warnte der Sachverständige. Im Bereich der Dekontamination müsse daher viel mehr gemacht werden als bisher, mahnte er. Doch auch hierfür fehlten die notwendigen Mittel.
Vor der öffentlichen Anhörung hatten Regierungsvertreter den Abgeordneten berichtet, dass die aktuelle Situation in der Ukraine ihren Erkenntnissen zufolge "keine erhöhte Gefährdungslage" für die ukrainischen Atomkraftwerke erkennen lasse. Hinsichtlich des im April 2012 begonnenen Baus einer neuen Schutzhülle für Reaktor 4 des AKW Tschernobyl betonten sie, dass die bisher dafür veranschlagten Kosten in Höhe von 1,45 Milliarden Euro wohl nicht reichen würden.
Unter anderem gebe es noch Schwierigkeiten bei der Stabilisierung des Grundes. Nach einem Ausschluss Russlands aus den G8 würde dies bedeuten, dass auf G7-Staaten höhere Kosten zukommen.
Im Anschluss an die Ausführungen Vladimir Kuznetsovs berichtete der frühere japanische Premierminister Naoto Kan dem Ausschuss vom Hergang und den Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011. Kan, der zum Zeitpunkt der Katastrophe Regierungschef war, betonte, dass nach dem Unfall alle japanischen Atomanlagen stillgelegt worden seien.
Der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix sei seitdem massiv gestiegen und es habe sich gezeigt, dass die japanische Wirtschaft auch ohne Atomkraft auskomme. Obwohl fast 70 Prozent der Bevölkerung den Atomausstieg befürworten, setze sich die neue liberaldemokratische Regierung jedoch wieder für die Inbetriebnahme der Atomkraftwerke ein. Kan bezeichnete dies als "sehr bedauernswerte Situation". Er wies darauf hin, dass der Unfall von Fukushima aus Sicht von Experten keineswegs beendet sei. Bis heute trete Grundwasser in das Gelände ein, ein Teil des verseuchten Wassers fließe wahrscheinlich ins Meer. (joh/19.03.2014)