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Ohne schnelle und durchgreifende Verbesserungen zugunsten freiberuflicher Hebammen steht nach Ansicht der Opposition die flächendeckende Geburtshilfe in Deutschland vor dem Kollaps. Gesundheitsexperten von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke forderten die Bundesregierung am Donnerstag, 20. März 2014, dazu auf, das Problem der rasant steigenden Berufshaftpflichtprämien für Hebammen und der schlechten Entlohnung in der Branche rasch anzugehen und dauerhafte Lösungen zu präsentieren. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sowie Vertreter der Koalitionsfraktionen wiesen darauf hin, dass schon seit Wochen intensiv nach möglichen Auswegen aus der vertrackten Lage gesucht werde.
Einig sind sich die vier Fraktionen, dass die flächendeckende Geburtshilfe erhalten werden soll und schwangere Frauen auch die Möglichkeit haben müssen, frei zu entscheiden, wo sie ihr Kind zur Welt bringen wollen.
Die weitaus meisten Frauen entscheiden sich aus Sicherheitsgründen für die Entbindung in einem Krankenhaus. Mehrere Redner betonten in der Debatte, es gehe hier nicht nur um Versicherungsfragen und Zahlen, sondern auch um das Wohl von Eltern, Müttern und Kindern.
Die Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, viele der rund 3.500 freiberuflichen Hebammen in der Geburtshilfe sähen sich aufgrund der hohen Versicherungskosten und niedrigen Löhne nicht mehr in der Lage, ihren Beruf auszuüben. Auch viele Familien hätten jüngst die Sorgen geäußert, dass sie ihr Kind nicht wie gewünscht zu Hause oder im Geburtshaus zur Welt bringen könnten. Somit sei dies wahrlich "keine dröge Versicherungsdebatte".
Die Grünen plädieren in ihrem Antrag an den Bundestag (18/850), der Grundlage für die Aussprache war, für einen Haftungsfonds und Regressbeschränkungen. Zudem müsse zügig eine Neuordnung der Haftpflichtregelungen für alle Gesundheitsberufe in Angriff genommen werden. Dazu sollte die Möglichkeit geprüft werden, die Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Haftpflicht für Gesundheitsberufe zu übertragen. Scharfenberg räumte ein, die angedachten Modelle seien "nicht perfekt", könnten aber Zeit bringen für eine grundlegende Reform. Schließlich gehe es um das Überleben eines Berufsstandes.
Ähnlich argumentierte Birgit Wöllert (Die Linke), die anmerkte, dass Hebammen im Schnitt 8,50 Euro pro Stunde verdienten. Das sei kein angemessener Verdienst für eine so anspruchsvolle Tätigkeit, sagte Wöllert und forderte Gröhe auf, aus Steuermitteln mehr Geld für die Hebammen bereitzustellen: "Wir müssen uns die Hebammen etwas kosten lassen."
Minister Gröhe versicherte, die flächendeckende Geburtshilfe und angemessene Vergütung der Hebammen seien Anliegen der Koalition. Die Arbeit der Hebammen nannte er unverzichtbar. Im April werde der Abschlussbericht einer im vergangenen Jahr einberufenen interministeriellen Arbeitsgruppe erwartet. Auf dieser Basis würden dann konkrete Lösungen vorgeschlagen, versprach der CDU-Politiker.
Allerdings stellten sich hinsichtlich der Haftungsregelungen weitreichende rechtliche Fragestellungen, die nicht einfach zu beantworten seien. Gröhe betonte, das bisherige System privatwirtschaftlicher Haftpflichtversicherung stehe hier "in einer schweren Bewährungsprobe".
Der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach hielt der Opposition vor, das Thema populistisch ausspielen zu wollen und forderte eine Versachlichung der Debatte. Die Große Koalition habe sich dem Problem von Beginn an gestellt und sei sofort aktiv geworden. Die Versorgung mit Hebammen sei insgesamt gut, es gebe eine kleine Gruppe von Geburtshelferinnen, die mit den hohen Versicherungsprämien überfordert seien, wobei die Prämien umso höher ausfielen, je geringer die Zahl der Entbindungen pro Hebamme sei.
Das Versicherungsproblem sei nicht einfach dadurch zu lösen, dass ein anderer Versicherungsträger gewählt werde. Die Koalition arbeite an einer guten und rechtssicheren Lösung, die nicht zulasten der Kinder und Eltern gehen dürfe. Insoweit müsse es bei hohen Deckungssummen im Schadenfall bleiben. Nötig seien überdies Qualitätsstudien zur Hebammenversorgung.
Für die Union sagte Erich Irlstorfer, die meisten Frauen entschieden sich für eine Entbindung in der Klinik. Gleichwohl müsse es den Frauen überlassen bleiben, ob sie sich für ein Krankenhaus, ein Geburtshaus oder eine Hausgeburt entschieden. Die Geburtshilfe in der Fläche müsse weiterhin gewährleistet sein.
Der Antrag der Grünen wird nun in den zuständigen Fachausschüssen weiterberaten. (pk/20.03.2014)