Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Die Große Koalition hat den eingeschlagenen Weg zum neuverschuldungsfreien Bundeshaushalt als historisch und als Zäsur gewürdigt. In der Debatte zum Etat des Bundeskanzleramtes am Mittwoch, 9. April 2014, erklärte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU), jetzt liege der erste Haushalt ohne neue Schulden seit 1969 in greifbarer Nähe. In diesem Jahr werde der Haushalt strukturell ausgeglichen sein, 2015 bestehe die Möglichkeit, keine neuen Schulden zu machen.
"Das sind nicht einfach Zahlen, sondern das ist nicht mehr und nicht weniger als die Einlösung eines Versprechens an kommende Generationen, einmal mit dem auszukommen, was in die Steuerkassen hereinkommt, einmal nicht auf Kosten der Zukunft zu leben." Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann sprach von einer "Zäsur" in der Haushaltspolitik des Bundes: "Darauf mussten die Bürger 46 Jahre lang warten."
Die Bundeskanzlerin wies aber auch auf Risiken hin: Die europäische Schuldenkrise sei nach wie vor nicht überwunden und die weltweite Entwicklung fragil. Neue Unsicherheiten wie die "illegale, völkerrechtswidrige Annexion der Krim" seien in den letzten Wochen hinzugekommen.
Zugleich würdigte die Regierungschefin die wirtschaftliche Entwicklung. Deutschland gehöre zweifellos zu den Gewinnern der Globalisierung, "weil wir eine wettbewerbsfähige Industrie und weil wir einen sehr starken Mittelstand haben".
In diesem Zusammenhang verteidigte sie die jüngsten Beschlüsse zur Energiewende, mit denen die Regierung einen "berechenbaren Pfad" für den Ausbau der erneuerbaren Energien geschaffen habe. Zwar könne nicht versprochen werden, dass die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dauerhaft sinke, aber "wir können versprechen, dass die Kostendynamik der EEG-Umlage gebrochen ist".
Allerdings könne es nicht gewollt sein, "dass wir durch die Energiewende unsere eigenen Stärken schwächen", verteidigte die Kanzlerin die Ausnahmen für stromintensive Firmen von der EEG-Umlage. Deutschland habe einen industriellen Kern, der 20 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt habe und sei damit führend in Europa. Die EU strebe diesen Industrieanteil für Europa an.
Es könne doch nicht sein, dass beim zukunftsfähigen Ausbau der Energieversorgung Arbeitsplätze vernichtet würden und die Wirtschaft in Gefahr gebracht werde, sagte die Kanzlerin. Ausnahmen von der EEG-Umlage für die Wettbewerbsfähigkeit müsse es geben. "Wir müssen Klimaschutz und Arbeitsplätze zusammenbringen, sonst wird die Energiewende keine Akzeptanz in Deutschland haben", forderte Merkel.
Im außenpolitischen Teil ihrer Rede bezeichnete die Kanzlerin die Lage in der Ukraine als schwierig. Es sei "leider an vielen Stellen nicht erkennbar, wie Russland zur Entspannung der Situation beiträgt". Daher werde die Bundesregierung einerseits die Geprächsfäden nutzen, fordere aber andererseits auch das Recht der Ukraine auf einen eigenen Entwicklungsweg ein: "Die Ukrainer müssen über ihr Schicksal selber entscheiden."
Dringend notwendig seien die Aufstockung der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und internationale Gespräche unter Beteiligung der Ukraine. Grundsätzlich sagte die Kanzlerin: "Wir wissen, dass diejenigen, bei denen das Denken nur um die eigenen Interessen kreist, die eine eindimensionale Weltsicht haben, die ohne Rücksicht auf andere ihre Stärke ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu gestalten."
Zuvor hatte die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, die Berechnungen der Koalition als falsch bezeichnet. Allein der Finanzmarktstabilisierungsfonds habe ein Defizit von 25 Milliarden Euro eingefangen, das nicht in den Haushalt eingebucht worden sein. Weitere Buchungstricks seien das Finanzieren diverser Maßnahmen über die Sozialversicherungen.
"Schwarz-Rot bezahlt Wahlgeschenke aus den Krisenpolstern der Sozialkassen, und mit diesen Buchungstricks watet Deutschland knietief im Dispo", rief Kipping aus. Aber die Unternehmen würden steuerlich geschont, während den Kommunen Geld fehle und die Mitte nicht entlastet werden könne.
"Die schwarze Null wirft lange Schatten und hat einen verdammt hohen Preis", sagte Kipping, die auch an den EEG-Reformplänen kein gutes Haar ließ. Die Gesetzesänderung helfe dem Klima nicht, sondern verkomme zu einer Industrie-Subventionierung, die die Verbraucher zu bezahlen hätten: "Das ist unsozial und unökologisch zugleich."
Auch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, zweifelte die Aussage der Koalition, es würden keine Schulden gemacht, an. "Sie verschulden sich – an den Jungen, den Armen und an der Umwelt." Die Generation der unter 30-Jährigen habe bei dieser Koalition nichts zu lachen, sagte Göring-Eckardt mit Blick auf die jüngsten milliardenschweren Rentenbeschlüsse.
Scharf kritisierte die Grünen-Politikerin auch die Beschlüsse zum EEG. Die Mehrkosten für die Verbraucher durch die gerade verabredeten Industrieprivilegien seien so groß, dass sie früher "jedem Sozialdemokraten die Schamröte ins Gesicht getrieben" hätten. In den gut 100 Tagen ihres Bestehens habe die Große Koalition noch keine einzige neue Idee präsentiert.
Das Land werde nicht fit gemacht für das 21. Jahrhundert, sondern es werde nur verteilt, was aber nicht bezahlt werden könne. "Sie bestellen, Kinder und Enkel bezahlen", sagte sie mit Blick auf die 160 Milliarden Euro teuren Beschlüsse der Koalition zur Rente ab 63 Jahren und zu Kindererziehungszeiten.
In der Klimapolitik würden die Ziele "krachend" verfehlt, der Ausstoß von Kohlendioxid steige. Dass Arbeitsplätze durch erneuerbare Energien wegfallen würden, sei falsch; sie würden erst dadurch entstehen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sei der "energischste Lobbyist der Manager" und "Genosse der Bosse".
SPD-Fraktionschef Oppermann war Göring-Eckardt vor, an der Wahrnehmung der meisten Menschen komplett vorbei geredet zu haben: "Sie haben kein Wort zur wirtschaftlichen Situation verloren." Oppermann wies auf die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wende, Überschüsse in allen Sozialversicherungen und die höchsten Steuereinnahmen hin. "Die Wahrheit ist doch: Dieses Land steht augenblicklich ausgesprochen gut da."
Oppermann sprach auch die Belastung der Bürger durch die "kalte Progression" bei der Einkommensteuer an. Es sei nicht fair und nicht gerecht, wenn dieser Effekt dazu führe, dass eine Lohnerhöhung für Facharbeiter wegen der Steuerbelastung gerade zum Erhalt der Kaufkraft reiche. Für eine Änderung bedürfe es aber einer Gegenfinanzierung, damit es nicht zu Kürzungen bei Investitionen und Bildung komme.
Die Äußerungen von Oppermann veranlassten den CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder zu einer Klarstellung: "In dieser Legislaturperiode gibt es keine Steuererhöhungen."
Er sei zwar auch der Auffassung, dass man bei der kalten Progression den Menschen etwas zurückgeben könne, aber "es wird auf keinen Fall eine Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen kommen. Wer das will, muss seine Pläne gleich beerdigen und begraben." (hle/09.04.2014)