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Experten betonen die Chancen, die in der Migration aus Entwicklungsländern liegen - für Europa und auch für die Herkunftsländer selbst. Das zeigte sich am Mittwoch, 4. Juni 2014, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter Vorsitz von Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU).
Der Geograf Martin Doevenspeck von der Universiät Bayreuth machte deutlich, dass der Vielzahl von Mythen zum Thema Migration durch Aufklärung begegnet und das innovative Potenzial von Migration viel stärker herausgestellt werden könnte: So komme nur ein verschwindend geringer Teil der Migranten weltweit überhaupt nach Europa, den Großteil der Herausforderungen durch Migration trage der globale Süden. Tatsache sei zudem, dass entgegen manch anderer Vorstellung die meisten der in Europa lebenden Migranten aus Afrika legal eingereist seien.
„Klar ist, die Migration wird zunehmen“ , sagte Doevenspeck, der in seiner schriftlichen Stellungnahme zudem verdeutlichte, dass Migration als „Strategie für bessere Lebensbedingungen und zur Realisierung bestimmter Lebensstile“ eine globale Tatsache sei. Eine Verhinderung von Migration könne nicht politisches Ziel sein: „Ökonomische Entwicklung in ärmeren Ländern gibt den Menschen dort mehr finanzielle Mittel für Mobilität und führt zu grundsätzlich mehr, nicht zu weniger Migration“.
Hans ten Feld, der als Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland insbesondere auf die Lage von Flüchtlingen unter den Migranten einging, machte deutlich, dass die meisten der derzeit weltweit 45 Millionen Menschen auf der Flucht vor Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen, Krieg und Bürgerkrieg nicht weit von ihrer Heimat als Binnenflüchtlinge beziehungsweise in den Nachbarländern Schutz suchten.
Ten Feld betonte, dass insbesondere die Hilfe für jene Flüchtlinge, die über Jahre hinaus nicht in ihre Heimat zurückkehren könnten, die Kapazitäten und auch den Auftrag des UNHCR übersteige. In solchen Fällen seien Mittel für Infrastruktur, Schulen, Straßen nötig. Ziel des UNHCR sei es, von einer einjährigen Programmplanung auf eine mehrjährige umzustellen, die dann bereits frühzeitig entwicklungspolitische Akteure einbinde könne und Entwicklungsmaßnahmen vorsehe.
Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, machte in seiner Stellungnahme deutlich, dass 60 Prozent der Zuwanderer in Deutschland heute aus der EU stammten, während die Zuwanderung aus Entwicklungsländern seit Mitte der 1990er Jahre tendenziell gesunken sei. Schmidt wies zudem darauf hin, dass das Qualifikationsniveau der Zuwanderer gestiegen sei - und allgemein „Einwanderung das Wohlstandsniveau der Zielländer“ steigern könne.
Parallel zur steigenden Zuwanderung nach Deutschland nehme die Zahl der Anträge auf Asyl zu - im Jahr 2013 waren es nach Schmidts Angaben 127.000 Erst- und Folgeanträge, die vom BAMF entgegengenommen worden seien, für das laufende Jahr prognostiziert die Behörde rund 200.000 Erst- und Folgeanträge. Schmidt warb im Ausschuss dafür, viel stärker die Möglichkeiten der legalen Einreise und des legalen Aufenthalts herauszustellen. Viele jener, die über einen Antrag auf Asyl versuchten hierherzukommen, obwohl die Voraussetzungen dafür womöglich nicht bestehen würden, seien über diese Möglichkeiten nicht im Bilde.
Alassane Dicko von der Assoziation der Abgeschobenen Malis (AME) kritisierte hingegen ein in den vergangenen Jahren rigider gewordenes Einwanderungsregime in Europa: In den 1950 bis 1970er Jahren sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass malische Migranten in Europa gearbeitet hätten - und zum überwiegenden Teil auch wieder zurückgekehrt seien.
„Gerade Migranten, die am besten im Zielland integriert sind, sind am ehesten bereit zurückzukehren“ und sich in ihrem Heimatland zu engagieren, sagte Dicko. Das funktioniere allerdings nicht, wenn Migranten wie heute gar nicht erst oder nur unter großen Risiken nach Europa kommen könnten und selbst wenn sie legal einreisten um ihren Aufenthaltstitel fürchten müssten, wenn sie Europa zwischenzeitlich wieder verlassen. Dicko warb für diese Form von „zirkulärer Migration“ und generell für eine größere Offenheit Europas.
Auch Peter Bonin von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) machte deutlich, dass es nicht um ein Gegeneinander von Integration hierzulande und Entwicklung in den Herkunftsländern gehe: Es habe sich gezeigt, dass Migranten sich umso stärker für und in ihren Herkunftsländern engagieren, je besser sie im Aufnahmeland integriert seien. „Integration und entwicklungspolitisches Engagement sind also zwei Seiten derselben Medaille“, heißt es in seiner schriftlichen Stellungnahme.
Der deutsche Ansatz habe sich in den vergangenen Jahren deutlich verbreitert und konzentriere sich zusätzlich „auf Themen wie Migrationspolitikberatung für Partnerländer, Privatwirtschaftsförderung durch Migration, entwicklungsorientiere Arbeitsmobilität, Klimawandel und Migration oder Ländliche Entwicklung und Migration“.
Auf einen den Aspekt klimabedingter Migration machte Julia Duchrow von Brot für die Welt aufmerksam: Es sei wenig ratsam, die Genfer Flüchtlingskonvention aufzuschnüren, um klimabedingte Ursachen von Flucht anzuerkennen. Stattdessen bräuchte es neue völkerrechtliche Instrumente, die zum einen auch die Binnenflucht und zum anderen ganz allgemein solche Migration „als legitime Anpassung an den Klimawandel“ anerkennen würden.
Duchrow begrüßte zudem, dass sich die Bundesregierung den Herausforderungen und Chancen durch Migration zunehmend ressortübergreifend stelle. Bisher sei das Thema vor allem nur „durch die innenpolitische Brille“ gesehen worden. Als „problematisch“ bezeichnete sie die Praxis von EU und ihren Mitgliedsländern, Zusagen für Entwicklungsmittel teilweise an Auflagen zur Migrationskontrolle und -verhinderung zu koppeln. (ahe/05.06.2014)