Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
"Die Zeit wird auch bei diesem Konflikt die heute noch frischen Wunden heilen": So kommentiert Axel E. Fischer den von Russland angekündigten Boykott der Sommersession der Parlamentarischen Versammlung des Europarats von Montag, 23. Juni, bis Freitag, 27. Juni 2014, in Straßburg - eine Reaktion auf den wegen der Annexion der Krim durch Moskau im April verhängten Entzug des Stimmrechts für die Vertreter der Duma, des russischen Parlaments, in Straßburg. Der CDU-Abgeordnete, der die Bundestagsdelegation beim Europarat leitet, verteidigt im Interview diese Sanktion: Auch Großmächten dürfe kein Rabatt gewährt werden, "wenn es um die Achtung unserer Werte und Regeln geht". Das Interview im Wortlaut:
Nach der Aberkennung des Stimmrechts für die russischen Abgeordneten boykottiert jetzt die Duma die Sommersitzung der Straßburger Volksvertretung. Offenbar will Moskau demonstrieren, dass man mit einer Großmacht so nicht umspringt.
Die Mitgliedstaaten des Europarats haben sich bei ihrem Beitritt verpflichtet, die Grundprinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu wahren sowie die Menschenrechte zu schützen. Die Annexion der Krim war von daher eindeutig rechtswidrig. Die russischen Abgeordneten in unserer Parlamentarischen Versammlung haben jedoch in Moskau den Duma-Beschluss zum Anschluss der Halbinsel an Russland mitgetragen. Das musste eine ernste Reaktion des Straßburger Parlaments zur Folge haben, wenn es die tragenden Säulen des Europarats nicht verraten wollte. Auch sogenannten Großmächten darf kein Rabatt gewährt werden, wenn es um die Achtung unserer Werte und Regeln geht.
Die Straßburger Abgeordneten wollten den Gesprächsfaden mit Moskau nicht abreißen lassen. Genau dies ist aber nun geschehen. War der Sanktionsbeschluss ein Fehler?
Gespräche finden weiterhin statt, auch die russischen Kollegen sind daran interessiert, sie sind schließlich Realisten. Die Zeit wird auch bei diesem Konflikt die heute noch frischen Wunden heilen. Ich bin sicher, dass wir im Zuge der Neuordnung des russisch-ukrainischen Verhältnisses zu einer spürbaren Entspannung kommen werden. Was den Boykott angeht, so erinnere ich an die berühmten Worte Herbert Wehners: Wer hinausgeht, muss auch wieder hereinkommen.
Welchen Handlungsspielraum haben die Abgeordneten des Europarats in der Ukraine-Krise?
Ein wichtiger Schritt war die Beobachtung der ukrainischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai. An dieser Mission haben sich auch einige Kollegen aus der Bundestagsdelegation beteiligt und bestätigt, dass dieser Urnengang korrekt verlief. Nur als demokratischer Rechtsstaat kann die Ukraine ihre Identität und territoriale Integrität auf mittlere und lange Sicht sicherstellen. Wir helfen gerne, so weit wir können.
Dieses Mal wählen die Parlamentarier den Generalsekretär des Europarats. Es kandidieren der norwegische Amtsinhaber Thorbjörn Jagland und die ehemalige deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Gibt es einen Favoriten?
Sowohl Jagland als auch Leutheusser-Schnarrenberger sind qualifizierte Bewerber. Ich begrüße es sehr, dass Deutschland eine erfahrene Politikerin nominiert hat. Allerdings hätte es die Bundestagsdelegation befürwortet, wenn drei Kandidaten zur Wahl stehen würden. Der von unseren französischen Freunden vorgeschlagene Ex-Präsident der Parlamentarischen Versammlung, Jean-Claude Mignon, hätte das Bewerberfeld bereichert. Leider hat Mignon im Ministerkomitee, in dem die Straßburger Botschafter der 47 Außenminister sitzen, in geheimer Wahl nicht die für eine Kandidatur nötige Stimmenzahl erhalten. Ob hohen Beamten eine solch große politische Macht zukommen soll, müsste einmal diskutiert werden.
Erhält Leutheusser-Schnarrenberger von deutscher Seite genügend Unterstützung?
Das Auswärtige Amt und die Straßburger Botschaft haben sehr viel getan, um für die Ex-Ministerin zu werben. Im Übrigen ist es Sache jedes einzelnen Abgeordneten, wie er die Kandidatin unterstützt. Meist geschieht dies im persönlichen Gespräch mit Kollegen.
Welche Aufgaben warten auf den neuen Chef im Palais de l'Europe?
Der Generalsekretär muss den Apparat des Europarats wirksam führen, aber er ist vor allem das Gesicht des Staatenbunds. Dessen Aktivitäten müssen künftig sichtbarer werden. Im Verhältnis zur EU ist einiges neu zu justieren. Die Eigenständigkeit des Europarats muss deutlicher werden. Wir sind nicht der Juniorpartner der reichen EU, die ihr Geld auch dafür einsetzt, neben dem Europarat unnötige Parallelstrukturen zu unterhalten, etwa die Wiener EU-Grundrechteagentur. Offenbar weit gediehen sind inzwischen die Verhandlungen über den Beitritt Brüssels zur Menschenrechtscharta des Europarats. Nach der Wahl zum EU-Parlament und der bevorstehenden Ernennung der neuen Brüsseler Kommission müssten aber nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Es kann nicht angehen, dass ausgerechnet die EU nicht vor dem Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verklagt werden kann.
(kos/19.06.2014)