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Auswirkungen des geplanten Dienstleistungsabkommens TiSA, Arbeitsmarktchancen von Langzeitarbeitslosen, Entsendung von deutschen Polizisten in die Ukraine – insgesamt 65 Fragen zu ganz unterschiedlichen Themen haben die Abgeordneten für die Fragestunde des Bundestages (18/1920) am Mittwoch, 2. Juli 2014, vorgelegt. Der CDU-Abgeordnete Johannes Selle, Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien, will dann erfahren, was die Bundesregierung unternehmen will, um die Barrierefreiheit insbesondere im privaten Fernsehen für hör- und sehbehinderte Menschen zu verbessern. Warum die Bundesregierung den Dialog mit den Unternehmen suchen sollte, erklärt der Abgeordnete aus Thüringen im Interview:
Herr Selle, wie sieht Barrierefreiheit im Fernsehen aus? Wie können auch Menschen, die hör- oder sehbehindert sind, das Programm nutzen?
Zuschauer, die nicht gut hören können, haben zum Beispiel die Möglichkeit, Nachrichten oder einen Film mithilfe von Videotext-Untertiteln oder der Übersetzung eines eingeblendeten Gebärdendolmetschers zu verfolgen. Sehbehinderten Menschen helfen bei fiktionalen Beiträgen vor allem sogenannte Audiodeskriptionen: Dabei erzählt eine Stimme im Hintergrund, was gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist. Sie erklärt, was die Protagonisten tun, in welcher Umgebung die Handlung stattfindet oder was für eine Stimmung herrscht.
Gerade geht die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien in die heiße Phase. Was ist zu tun, damit auch Hör-und Sehbehinderte bei ähnlichen Live-Ereignissen im Fernsehen mitfiebern können?
Einzelne Sender verfügen bereits über Untertitelungsanlagen mit einer speziellen Spracherkennungssoftware, die es ermöglicht, Live-Sendungen wie Talk- oder Quizshows zu untertiteln. Dies funktioniert meiner Erfahrung nach jedoch noch nicht reibungslos – die Zahl der live-untertitelten Sendungen ist dementsprechend klein. Für die WM aber haben ARD und ZDF ihr barrierefreies Angebot ausgeweitet. Ausgewählte Spiele werden bei ihrer Live-Übertragung im Fernsehen mit den Hörfunk-Vollreportagen auf einer zweiten Tonspur ausgestattet.
Laut Rundfunkstaatsvertrag sind die öffentlich-rechtlichen Sender auch dazu verpflichtet, ihr Programm barrierefreier zu gestalten.
Das stimmt. Nach dem seit 2002 geltenden Behindertengleichstellungsgesetz soll alles, was von Menschen gestaltet wird, barrierefrei sein – dazu gehören Gebäude und Wege genauso wie Internetseiten oder das Fernsehen. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk steigt die Zahl der barrierefreien Sendungen stetig – insbesondere auch, weil seit 2013 behinderte Menschen mit dem Rundfunkbeitrag ihren Teil zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beitragen. Im privaten Fernsehen hingegen ist das Angebot noch recht gering.
Wie viel Prozent der Sendungen sind denn heute bereits für behinderte Menschen geeignet?
Behindertenverbände wie etwa der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband monieren, dass der Prozentsatz an TV-Sendungen mit Audiodeskription sehr niedrig ist. Die öffentlich-rechtlichen Sender bauen schrittweise ihr Hörfilmangebot aus. 36 Prozent des Hauptabendprogramms sind inzwischen audiodeskribiert – im Vergleich zu 2012 hat sich das Angebot verdoppelt. Trotzdem ist es noch zu wenig.
Was wünschen sich die Betroffenen?
Menschen mit Behinderung nutzen das Medium Fernsehen oftmals intensiver als Menschen ohne Behinderung. Sie sind nicht so mobil und benötigen mehr Unterstützung. Sie würden sich umso mehr freuen, wenn sie öfter von einem Programm profitieren könnten, dass auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist. Medien sind für sie eine wichtige Möglichkeit zur Erweiterung ihrer Erlebniswelt.
Sie haken nun bei der Bundesregierung nach, was sie tun will, damit das Angebot an barrierefreien Sendungen auch im Privatfernsehen wächst. Welche Handlungsmöglichkeiten sehen Sie?
Der direkte Einfluss der Politik auf private Fernsehsender ist hier im Vergleich zu dem auf die öffentlich-rechtlichen TV-Veranstalter gering. Dennoch: Die UN-Behindertenrechtskonvention, deren Ziel es ist, Menschen mit Behinderung gesellschaftliche Teilhabe zu garantieren, gilt für alle. Ich denke deshalb, dass ein Dialog darüber, was das private Fernsehen zur Inklusion beitragen kann, durchaus etwas bewegen könnte. Freiwillige Selbstverpflichtungen kennen wir ja bereits aus anderen Bereichen der Wirtschaft, so etwa zur Qualität von Computerspielen oder zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen. Aber man muss solche Gespräche anstoßen, sonst bewegt sich nichts.
(sas/01.07.2014)