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Änderungen bei den Lebensversicherungen beschäftigen den Finanzausschuss. © picture alliance/chromorange
Die deutsche Versicherungswirtschaft lehnt die Absicht der Bundesregierung strikt ab, die Situation der Lebensversicherungen durch verschiedene Maßnahmen wie ein Verbot von Dividendenausschüttungen zur Erfüllung garantierter Leistungen an Versicherte und eine höhere Beteiligung der Versicherten an den Risikoüberschüssen der Unternehmen zu stabilisieren. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses unter Vorsitz von Ingrid Arndt-Brauer (SPD) erklärte der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft am Montag, 30. Juni 2014, ab dem Inkrafttreten der Ausschüttungssperre bestehe für die Unternehmen faktisch keine Möglichkeit mehr, neues Kapital aufzunehmen. Dies sei mit Blick auf die geforderte höhere Eigenmittelausstattung „kontraproduktiv“, erklärte der Verband. Die Deutsche Bundesbank betonte: „Die aktuelle Niedrigzinsphase hat die strukturellen Verwundbarkeiten von Versicherern gegenüber Kapitalmarktrisiken deutlich gemacht.“
Grundlage der Anhörung war der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte (18/1772). Damit soll unter anderem die Beteiligung der Versicherten an den Risikoüberschüssen der Unternehmen von 75 auf 90 Prozent erhöht werden. Zugleich wird die Verzinsung für Neuverträge auf 1,25 Prozent gesenkt und die Transparenz bei Provisionen der Versicherungsvermittler verbessert.
Außerdem kann die Ausschüttung von sogenannten Bewertungsreserven an Kunden, deren Verträge enden, begrenzt werden, sofern die von einem Versicherungsunternehmen gebildeten Rückstellungen bei den gegenwärtig niedrigen Zinsen nicht ausreichen, um die den verbleibenden Versicherten gegebenen Garantiezusagen zu finanzieren.
Die gegenwärtige Situation wird von der Regierung als unbefriedigend bezeichnet, weil die Kunden bevorzugt würden, die jetzt aus den Verträgen ausscheiden. Künftig sollen die Interessen derjenigen, deren Versicherungsverträge erst in Zukunft fällig werden, besser berücksichtigt werden. Nach Angaben der Bundesbank betragen die Bewertungsreserven der Versicherer, deren Grund gestiegene Kurse von Anleihen im Bestand wegen der gesunkenen Zinsen sind, 86,7 Milliarden Euro.
Der Verband öffentlicher Versicherer begrüßte die Neuregelung der Beteiligung an den Bewertungsreserven als „wichtigen Schritt bei der Bewältigung der Folgen eines lang anhaltenden Niedrigzinsumfeldes“. Die Ausschüttungssperre ging dem Verband aber zu weit.
Prof. Dr. Christoph Kaserer (Technische Universität München) erklärte, die gesetzestechnische Umsetzung der Ausschüttungssperre schieße über das Ziel hinaus. Dagegen gefiel dem Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen die Dividendensperre, „da so die Risikolast gerecht zwischen Aktionär und Versicherungsnehmer aufgeteilt wird“. Auch der Bund der Versicherten begrüßte das Vorhaben.
Die Deutsche Aktuarvereinigung (Versicherungs- und Finanzmathematiker), vertrat in ihrer schriftlichen Stellungnahme die Ansicht, bei den Änderungen an der Verwendung der Bewertungsreserven gebe es einen „fairen Interessenausgleich zwischen abgehenden und im Versichertenkollektiv verbleibenden Versicherungsnehmern“.
Auch das Institut der Wirtschaftsprüfer stellte fest, der Gesetzgeber sei hier „auf dem richtigen Weg“. Für die Bundesbank kann das Gesetzesvorhaben dazu beitragen, „die Stabilität des Lebensversicherungssektors zu erhöhen“.
Von der Sachverständigen Barbara Sternberger-Frey kam der Hinweis, die Versicherungen würden zwar Bewertungsreserven ausschütten, hätten im Gegenzug jedoch andere Elemente zulasten der Kunden gekürzt. Der Bedarf, was ausgeschüttet werden müsse, werde überzeichnet.
Der Bund der Versicherten sieht in der Einschränkung der Beteiligung an den Bewertungsreserven einen Konflikt mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: „Letztlich wird der Verbraucherschutz gezwungen sein, diese Regelung einer höchstrichterlichen Prüfung zuzuführen.“
Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, die Kostentransparenz der Versicherungsprodukte zu erhöhen. So sollen Versicherungsvermittler die Höhe ihrer Provisionen offenlegen. Dagegen protestierten der Versicherungsverband und der Bundesverband Deutscher Vermögensberater, der „Fehlinformationen“ beim Kunden befürchtet: „Weil er beispielsweise nicht zwischen den höheren Provisionsansprüchen eines selbstständigen Vermittlers und den gegebenenfalls niedrigen Provisionsansprüchen eines unselbstständigen Vermittlers unterscheiden kann.“
Der Bundesverband Finanzdienstleistung (AFW) warnte vor einer Wettbewerbsverzerrung zulasten der freien Versicherungsvermittler. Der Bund der Versicherten hielt dagegen und begrüßte die Provisionsoffenlegung. Sie müsse aber auf alle Provisionsbestandteile ausgeweitet werden.
Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband erwartet mehr Wettbewerbsgleichheit durch eine Provisionsoffenlegung. Er forderte zudem eine Offenlegung der Beitragsrendite. Die Verbraucher würden nicht erfahren, wie sich ihre eingezahlten Beitrage verzinsen. Für den Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherung steht fest: „Einem guten Produkt hat Transparenz noch nie geschadet.“ (hle/30.06.2014)