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Das Foto findet sich auf der Homepage der SPD-Abgeordneten Karin Evers-Meyer: In der Mitte steht Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert, umrahmt von der Parlamentarierin aus Friesland und einer jungen Frau aus Ungarn. Agnes Kerekes heißt sie, ist 26 und kommt aus Pécs, 200 Kilometer von Budapest entfernt, nahe der Grenze zu Kroatien gelegen. „Es ist toll, dass der Bundestagspräsident extra für uns einen Empfang ausgerichtet hat“, sagt sie.
Mit uns meint die Ungarin die Gruppe der jungen Leute, die noch bis Ende Juli ein Praktikum im Rahmen des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) absolvieren. Als Agnes Kerekes Anfang März nach Berlin kam, hatte sie hohe Erwartungen an das Praktikum im Bundestag. Heute, kurz vor Ende, sagt sie: „Diese Erwartungen wurden noch übertroffen.“
Im Büro der Haushaltspolitikerin Evers-Meyer, der für den Verteidigungshaushalt zuständigen Berichterstatterin ihrer Fraktion, hatte die 26-Jährige gut zu tun. „Ich habe recherchiert, Zusammenfassungen von Sitzungen geschrieben und auch organisatorische Aufgaben erledigt“, erzählt die Juristin, die sich selbst für viele künftige Arbeitsbereiche gewappnet sieht.
„Jura ist ein breites Feld. Deshalb habe ich das Studium auch gewählt“, sagt Agnes Kerekes. Ihre Wunschvorstellung für die Zukunft sieht vor, im Außenministerium zu arbeiten. Als Völkerrechtlerin oder Europarechtlerin etwa. Zuerst aber will sie in der Heimat die Prüfung zur Volljuristin machen.
Dass die Ungarin als IPS-Stipendiatin ausgewählt wurde, hat auch mit ihren sehr guten Deutschkenntnissen zu tun. Als Angehörige der deutschen Minderheit gehört Deutsch für sie zum Lebensalltag. „Seit meinem sechsten Lebensjahr lerne ich Deutsch“, sagt sie. Und zwar nicht nur die Sprache selbst, sondern auch viel über die deutsche Lebensart, die Geografie und die deutsche Geschichte.
Und so gibt es auch gleich eine kleine Lehrstunde: Die deutsche Minderheit sei nach dem Ende der Besetzung Ungarns durch die Türken angesiedelt worden, erzählt sie. In ihrer Heimatstadt Pécs – zu Deutsch Fünfkirchen – finde sich die größte Gruppe der deutschen Minderheit. „Aber auch in der Nähe von Budapest gibt es viele ,deutsche‘ Dörfer'“, sagt Agnes Kerekes.
Probleme gibt es für Angehörige von Minderheiten in Ungarn ihrer Ansicht nach kaum. „An meiner Universität – der besten des Landes – gibt es auch romastämmige Studenten, die die gleichen Karrierechancen haben wie ich“, fügt sie als Beleg dazu.
Ohnehin scheint Agnes Kerekes die allgemein verbreitete Kritik der EU an Ungarns Politik pauschal nicht zu teilen. Stichwort Mediengesetz. „Bei uns gibt es Pressefreiheit“, sagt sie. Auch die Opposition finde in den Medien statt. Dass die eher europakritische Partei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán im Frühjahr die Parlamentswahlen deutlich gewonnen hat, will sie auch nicht als Zeichen dafür verstanden wissen, dass die Ungarn mehrheitlich europafeindlich wären.
„Europaskeptiker gibt es überall“, sagt sie und verweist auf die AfD. Außerdem habe der Wahlsieg Orbáns auch damit zu tun, „dass die Opposition in Ungarn schwach und zersplittert ist“.
Der Großen Koalition im Deutschen Bundestag kann Agnes Kerekes viel abgewinnen. „Das zeigt, dass in Deutschland viele verschiedene politische Gruppen konstruktiv zusammenarbeiten können“, sagt sie. In Ungarn würde sich dafür wohl eher kein Kompromiss finden. Gut findet die 26-Jährige auch, dass der Opposition zusätzliche Rechte eingeräumt wurden.
All dies gehört zu den Gründen, warum Deutschland – politisch gesehen – für Agnes Kerekes ein Vorbild ist. Sie lobt zudem noch die Debattenkultur. Man merke, dass Deutschland – zumindest im westlichen Teil - eine lange demokratische Geschichte habe, betont sie.
Als Ungarin ist sie natürlich auch stolz darauf, dass ihr Land als „Vorreiter der Wende“ einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenwachsen Deutschlands geleistet hat. „Wir haben schon 1956 den Aufstand gewagt und 1989 als erste die Grenze geöffnet“, sagt sie.
Schon davor habe Ungarn toleriert, dass sich etwa am Balaton (Plattensee) immer wieder DDR-Bürger mit ihren Westverwandten getroffen haben. „Wir hatten eben den Gulasch-Kommunismus“, sagt sie und lacht. (hau/16.07.2014)