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Paragrafen bestimmen unser Zusammenleben. Spätestens, wenn diese Paragrafen unterschiedlich interpretiert werden, wird klar: Die Sprache in einem Gesetzestext entscheidet darüber, ob das Gesetz in der Praxis etwas taugt. Welchen Einfluss die Sprachwissenschaftler und Sprachberater nehmen, um Gesetze lesbarer, verständlicher und praxistauglicher werden zu lassen, das erfuhren die Teilnehmer des 20. Berliner Forums der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung (DGG) am Mittwoch, 10. September 2014, im Deutschen Bundestag. Die DGG setzt sich für bessere Gesetze ein.
Als Vorsitzender der DGG hatte der Abgeordnete Prof. Dr. Günter Krings (CDU/CSU), Wissenschaftler, Praktiker und interessierte Gäste zum Thema „Rechtskommunikation - Gesetzgebung und Sprachwissenschaft“ in das Jakob-Kaiser-Haus eingeladen.
Europäische Gesetze sind seiner Ansicht nach noch schwerer „zu konsumieren“ als nationale, hätten inzwischen aber einen großen Einfluss auf die nationale Gesetzgebung, stellte Krings fest. Insofern sei es ihm wichtig, den Blick auch auf die europäische Gesetzesproduktion zu lenken.
Prof. Dr. Isolde Burr-Haas von der Universität Köln stellte zwei Studiengänge ihrer Hochschule vor, die die juristische und die sprachwissenschaftliche Ausbildung vereinten. Die „Europäische Rechtslinguistik“ befasse sich eben genau mit dieser Textproduktion auf europäischer Ebene. Frau Burr-Haase erklärte, dass die Arbeit mit den Gesetzen in den inzwischen 24 Amtssprachen der EU „spezifische Kenntnisse über Sprachsysteme“ voraussetze.
Die Gesetze seien zwar in allen Sprachen und in allen Ländern gültig, jedoch könnten die Texte in den jeweiligen Sprachen durchaus Unterschiedliches bedeuten. Bisweilen diene die Mehrsprachigkeit auch dazu, einen Konsens zwischen allen EU-Staaten zu finden, indem jeweils länderspezifisch abweichende Formulierungen in Gesetzen zugelassen würden.
Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Karin Luttermann von der Universität Eichstätt-Ingolstadt bestätigte, dass sich das Problem, ein rechtssicheres und zugleich verständliches Gesetz zu formulieren, mit der Übertragung in 24 EU-Amtssprachen verschärfe. Sie erläuterte, dass der Abgleich einzelner Formulierungen in Rechtstexten nicht etwa eine „Spitzfindigkeit“ der Linguisten sei.
Am Beispiel einer Regelung zum Anlegerschutz machte Frau Luttermann klar: „An Sprachen hängen Haftungsgründe.“ Wenn es an sprachlicher Genauigkeit mangele, werde das Recht am Ende von der Rechtsprechung bestimmt und nicht vom Gesetzgeber. Eine bedeutende Rolle spiele der Europäische Gerichtshof.
„Gesetzentwürfe müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein. Gesetzentwürfe sind grundsätzlich dem Redaktionsstab Rechtssprache zur Prüfung auf ihre sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit zuzuleiten.“ Dieser Auszug aus Paragraf 42 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) ist die Arbeitsgrundlage für Stephanie Thieme vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV).
Wie sie berichtete, bearbeitet der Redaktionsstab im BMJV Gesetzentwürfe aller Fachministerien und versteht sich als Mittler zwischen der Sprache der Juristen, der jeweiligen Sprache der Fachwelt und der „Gemeinsprache“. Die redaktionelle Bearbeitung gehe über die Korrektur hinaus. Hauptziel sei nicht nur der sprachlich richtige, sondern der verständliche Text.
Ihre Arbeit beschränke sich jedoch auf die ministerielle Phase. Da spätestens seit der Feststellung von Peter Struck klar sei, dass kein Gesetz den Bundestag so verlasse, wie es eingebracht wurde, müsse es auch im Parlament noch eine Sprachberatung geben.
Im Parlament werde „aufgrund der zeitlichen Dynamik“ und der Änderungswünsche ein Gesetz „zumindest sprachlich nicht immer verbessert“, warf Günter Krings ein. Deshalb sei er froh, dass es den Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache im Deutschen Bundestag gebe. Dr. Sybille Hallik stellte dessen Arbeit vor.
In der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sei geregelt, dass der federführende Fachausschuss die Sprachberatung in jeder Phase der Gesetzgebung hinzuziehen könne. Der Redaktionsstab spreche dann Empfehlungen aus, an die der Gesetzgeber jedoch nicht gebunden sei.
Frau Hallik bestätigte, dass der immense Zeitdruck, der bei der Gesetzgebung bisweilen aufkomme, ihren Einfluss einschränke. Oft würden Änderungsanträge am Dienstagabend in den Ausschuss eingebracht und Mittwoch früh verabschiedet. Sie wünsche sich, dass in Zukunft noch mehr Abgeordnete „mit wachen Augen und Sprachgefühl“ daran mitwirkten, Unverständliches in Gesetzen zu entdecken und zu korrigieren. (tk/11.09.2014)