Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der im Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelte Parlamentsvorbehalt bei Einsätzen der Bundeswehr hat sich bewährt. In dieser Einschätzung waren sich am Donnerstag, 11. September 2014, die zu einer öffentlichen Anhörung der vom ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe geleiteten Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr geladenen Experten einig. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Integration europäischer Streitkräfte und der benötigten Verlässlichkeit aller Partner regten die Experten zugleich Modifikationen an der Regelung an.
So schlug Dr. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik mit Blick auf die flexible integrierte Kommandostruktur der Nato vor, die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an ständigen, multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren nicht als Einsatz im Sinne des Gesetzes zu bewerten. Damit würde die Rolle Deutschlands gestärkt, ohne die demokratische Legitimität von Entsendeentscheidungen zu schwächen, argumentierte er.
Den gleichen Vorschlag machte auch der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Johannes Varwick von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seiner Ansicht nach sollte zudem für den Fall, dass eine Entscheidung des Bundestages nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, die Bundesregierung berechtigt sein, bewaffnete Streitkräfte „vorläufig“ einzusetzen.
Der Einsatz muss nach den Vorstellungen Varwicks sofort beendet werden, wenn der Bundestag dem nicht innerhalb von 30 Tagen zustimmt. Diese 30-Tage-Regel, so der Politikwissenschaftler, solle mit Blick auf ein effektives Pooling und Sharing (die Zusammenlegung und gemeinsame Nutzung militärischer Fähigkeiten) zudem auf Einsätze erweitert werden, die ohne Gegenstimme im EU- oder Nato-Rat beschlossen wurden und bei den auf deutsche Kapazitäten aus Sharing-Arrangements zurückgegriffen wird.
Ob es in naher Zukunft tatsächlich auf breiter EU-Ebene zu Kooperationsformen im Bereich Pooling und Sharing kommt, wie es unter anderem der Kommissionsvorsitzende Rühe anregte, wird von den Experten skeptisch bewertet. Es existierten zwar zahlreiche Willensbekundungen, sagte der Sicherheitsexperte Markus Kaim. Vieles davon sei jedoch „politische Rhetorik, die politisch wenig unterlegt ist“.
Beleg dafür waren die Ausführungen von Dominique David vom Französischen Institut für internationale Beziehungen. Gefragt, ob Frankreich im Falle von Pooling und Sharing bereit zum Verzicht auf einzelne eigene militärische Zweige sei, sagte David, es gehe darum, gemeinsame Konzepte zu entwickeln, um auf Krisen antworten zu können. Erst wenn dies geschafft sei, könne man über den Verzicht auf etwas nachdenken. „Sonst zäumen wir das Pferd von hinten auf“, sagte der französische Sicherheitsexperte.
Seiner Ansicht nach werden sich auch in der Zukunft alle Staaten das Recht vorbehalten, eigene Streitkräfte zu nutzen. Den deutschen Parlamentsvorbehalt bewertete der Franzose positiv. Zum einen mit Blick auf die deutsche Geschichte und zum anderen, weil er „interventionistische Abenteuer“ verhindere.
Da es Verzahnung und Integration nur bei gegenseitiger Verlässlichkeit gebe, müsse geprüft und abgewägt werden, wo die Grenze des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte zu ziehen sei und wo multilaterale und Bündnisfähigkeit tangiert oder infrage gestellt werden würde, forderte Winfried Nachtwei, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen.
Seiner Ansicht nach müssen Truppen und Einsatzkräfte ebenso wie Anteile an schnellen Eingreifverbänden, „auf jeden Fall“ dem Einzelfall-Parlamentsvorbehalt unterworfen bleiben, da sie dessen Kernbereich betreffen würden. Als ein Placebo bezeichnete Nachtwei die Kombination von einem „Vorratsbeschluss“ der Regierung und dem Rückholrecht des Parlaments. Nach aller Erfahrung gehe die Koalitionsdisziplin praktisch nie mit der Bereitschaft einher, gegen die eigene Regierung zu stimmen, sagte der ehemalige Abgeordnete.
Nach Meinung von Prof. Dr. Wolfgang Wagner von der Vrije Universiteit Amsterdam ist das Argument, der Parlamentsvorbehalt führe zu einer unangemessenen Verzögerung des Entscheidungsprozesses, „nicht haltbar“. Vielmehr habe der Bundestag in zwei Fällen am selben Tag entschieden, an dem die Bundesregierung ihren Antrag eingebracht hatte. Wagner sieht den Parlamentsvorbehalt als Beitrag dazu, dass die „sicherheits- und verteidigungspolitische Expertise in der politischen Elite Deutschlands breit gestreut ist“.
Zudem erhöhten die Debatten im Bundestag die Aufmerksamkeit der Medien für die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der Parlamentsvorbehalt in seiner jetzigen Form, so Wagner, sei gelungen und habe sich bewährt. Es gebe daher keinen zwingenden Änderungsbedarf, „auch nicht in Anpassung an die zunehmende militärische Integration innerhalb der Nato und der EU“. (hau/11.09.2014)