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Der für Energie zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger strebt eine Kompromisslösung im Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland an. Das machte Oettinger am Donnerstag, 25. September 2014, im Anschluss an eine Sitzung des Europaausschusses während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Ausschussvorsitzenden Gunther Krichbaum (CDU/CSU) deutlich.
Bei den Verhandlungen am Freitag, 26. September, gehe es in Anwesenheit der Energieminister der Ukraine und Russlands sowie der Chefs der nationalen Gasunternehmen darum, „jegliche Gefahren für unsere Bürger, unsere Infrastruktur und unsere Industrie durch einen außerordentlichen Einkauf seitens der Ukraine zu bannen“.
Die Ukraine, so machte der deutsche EU-Kommissar deutlich, sei ein wichtiger Partner und entscheidend für den Transit von Gas in die europäischen Märkte. Daher müsse alles dafür getan werden, dass die Ukraine selbst auch versorgt werde, damit es nicht zu Gasdiebstählen komme.
Oettinger verwies darauf, dass es derzeit zwischen Russland und der Ukraine verschiedene Streitpunkte gebe, die vor einem Schiedsgericht in Stockholm verhandelt würden. „Entschieden wird aber erst im September nächsten Jahres“, sagte er. Daher werde eine flexible und pragmatische Kompromisslösung für die Zeit bis Ostern 2015 benötigt.
Auf die Frage, wie zuversichtlich er sei, einen solchen Kompromiss zu finden, sagte der EU-Kommissar: „Wenn die Gasprobleme nur Gasprobleme bleiben, werden wir uns einigen.“ Wenn aber in der generellen Krise eine Art Geiselhaft genommen werde, könne es schwieriger werden, sagte Oettinger.
Auf seine Rolle als designierter EU-Kommissar für digitale Wirtschaft in der künftigen EU-Kommission angesprochen, sagte der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident: „Mir ist die digitale Welt zum einen nicht fremd und zum anderen ein Anliegen.“ Er freue sich auf die neue Aufgabe, so Oettinger. Es gehe dabei unter anderem um die Digitalisierung der europäischen Politik, die Infrastruktur im ländlichen Raum, um Urheberrechte, den Datenschutz und die Netzneutralität. Wichtig sei ihm auch, dass die Digitalisierung 4.0 „kein Nachteil für Maschinenbau und Fahrzeugbau wird“.
Mit Blick auf die starke Marktposition von Google sagte der künftige Internet-Kommissar, es müsse dafür gesorgt werden, dass es durch die Suchmaschine nicht zu einer Verzerrung des Wettbewerbs komme. Nach den Vorstellungen Oettingers sollten die Dienstleister der Zukunft auch einmal europäische Existenzgründer seien. „Es geht auch um die Frage, wie die Aufholjagd gegenüber Silicon Valley und den Ländern Asiens in den nächsten Jahren vorankommen kann, damit die digitale Wertschöpfung auch eine europäische und nicht nur eine Import-Wertschöpfung wird“, sagte Oettinger.
In der Vollendung des digitalen Binnenmarktes sieht Oettinger ein zentrales Ziel seiner Amtszeit, wie er in der vorangehenden öffentlichen Ausschusssitzung erklärte. Es gebe in der Europäischen Union einen „nahezu perfekten Binnenmarkt“ für Autos, Weine oder Hüte. Jedoch unterliege die digitale Agenda noch immer „ziellos“ der nationalen Regulation. Dabei kenne Digitalität keine nationalen Gebietsgrenzen. Auch Daten könne man nur gemeinsam in Europa schützen.
Für jeden Bürger in der EU müsse gelten: gleicher Datenschutz, gleiche Kosten, gleiche Angebote, betonte Oettinger. Er kündigte zudem an, den Ausbau der digitalen Infrastruktur in der EU beschleunigen zu wollen. „Wir brauchen in allen Mitgliedsländern eine einigermaßen gleiche Ausbaugeschwindigkeit für die digitalen Netze“, so der Kommissar.
Die zunehmende Digitalisierung der Alltagswelt werfe außerdem wichtige Fragen auf. Was passiere etwa, wenn Google irgendwann Autos baue und die Deutschen nur noch das Aluminium oder die Polster beisteuern?, fragte Oettinger. „Die digitale Entwicklung zielt auf unsere Wertschöpfung, auf den Kern unserer Realwirtschaft“, warnte er. Hier wolle er sich als zuständiger Kommissar für den Standort Deutschland starkmachen.
Der CDU-Abgeordnete Matern von Marschall fragte, ob die Kreativwirtschaft, darunter Buch- oder Musikverlage, in Zukunft überhaupt noch nachhaltige wirtschaftliche Erträge erzielen könne. Die europäische, sehr viel kleinteiligere Wirtschaft sei durch Firmen wie Google oder Amazon „dramatischen Risiken“ ausgesetzt, urteilte er. Es drohe eine Aushöhlung des Urheberrechts und der Strukturen der europäischen Verlagswirtschaft.
Auch Oettinger bezeichnete das Urheberrecht, das in seinen künftigen Aufgabenbereich fällt, als eines seiner schwierigsten Arbeitsfelder. Es gehe darum, eine Balance zu finden zwischen dem Interesse der Verbraucher, möglichst freien Zugang zu Inhalten zu haben, und der Notwendigkeit, dass Schriftsteller, Drehbuchautoren oder Musiker ihre Produkte vermarkten und von ihnen leben können. Oettinger kündigte an, einen Mittelweg vorschlagen zu wollen und bis Mitte des kommenden Jahres einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen.
Die Probleme der Verlagswirtschaft beobachtet Oettinger ebenfalls „mit großer Sorge“. Zwar werde es auch in Zukunft noch Bücher geben, aber angesichts des Aufkommens von E-Books nicht mehr in ihrer gewohnten Form. Mit Blick auf Büchereien, Buchhändler, Stadtbibliotheken oder die Buchpreisbindung stehe die Politik vor schwierigen Aufgaben.
Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen) fragte den Kommissar, inwieweit er in Brüssel nicht nur die Interessen der deutschen digitalen Wirtschaft, sondern auch die der Verbraucher vertreten wolle und ob er die Europäische Datenschutzgrundverordnung voranbringen werde, für die sich das Europäische Parlament stark engagiere.
Oettinger sicherte zu, dass er „so viele Verbraucherrechte wie möglich wahren wolle“, etwa beim Roaming oder im Bereich Netzneutralität. Die Globalisierung der Telekommunikation sei jedoch in vollem Gange, betonte er. Europäische Firmen müssten im Wettbewerb mit den „Giganten“ aus Asien und den USA mithalten können, gab der Kommissar zu bedenken.
Er verwies darauf, dass die Europäische Datenschutzgrundverordnung dem Europäischen Rat bereits seit zwei Jahren vorliege. Das Europäische Parlament habe sein Votum bereits abgegeben. Der Rat dürfe dieses Thema nun nicht länger vertagen.
„Wir müssen alles tun, damit die nationalen Regierungen zur Europäisierung des Datenschutzrechts bereit sind“, betonte Oettinger, der auch die Bundesregierung für ihre „bisher eher zaghafte Haltung“ kritisierte. Eine Entscheidung über die Verordnung solle in etwa einem halben Jahr fallen, sicherte der Kommissar zu. (hau/joh/25.09.2014)