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Das Ziel ist klar, die Wege dorthin nicht: Vertreter von Koalition und Opposition setzen sich für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern ein. Doch wo die Fraktionen von CDU/CSU und SPD vor allem auf freiwillige Selbstverpflichtungen international agierender Unternehmen setzen, fordern Bündnis 90/Grüne und Die Linke soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards für diese Unternehmen verbindlich - und im Zweifel vor deutschen beziehungsweise europäischen Gerichten einklagbar - zu machen.
In der Debatte zu einem Antrag von CDU/CSU (18/2739) und zu einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/2746) zeigte sich am Donnerstag, 9. Oktober 2014: In der Analyse untragbarer Arbeits- und Produktionsbedingungen in einer Reihe von Entwicklungsländern besteht über die Fraktionsgrenzen Einigkeit.
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sprach mit Blick auf die Textilindustrie in Ländern wie Bangladesch von „schauderhaften Zuständen“, die an die Situation der Weber im Europa des 19. Jahrhunderts erinnerten. Hungerlöhne ohne sozialen Schutz, sechs Tage Arbeit pro Woche, Kinderarbeit – „so haben wir uns die Globalisierung nicht vorgestellt und so können wir die globale Arbeitsteilung nicht akzeptieren“.
Müller erinnerte daran, dass jeder Verbraucher hierzulande für solche Zustände eine Mitverantwortung trage. „,Geiz ist geil‘ ist nichts sexy, sondern naiv und ohne Verantwortung.“ Es gehe darum, Globalisierung fair zu gestalten und Mindeststandards in den Produktionsketten durchzusetzen. Müller verwies unter anderem auf das von seinem Hause initiierte „Textilbündnis“, in dessen Rahmen es darum gehen werde, gemeinsam mit Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft auf faire Löhne in Entwicklungsländern hinzuarbeiten.
Niema Movassat (Die Linke) nannte die von den Koalitionsfraktionen favorisierten freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft eine „Farce“: Vor die Wahl zwischen Profit und Sozialstandards gestellt, würde sich ein Unternehmen „immer für den Profit entscheiden“ – mit der Folge, dass die Arbeitsbedingungen in einer Reihe von Entwicklungsländern heute immer noch an „Sklaverei“ erinnern.
„Wir brauchen handfeste Gesetze“, sagte Movassat. Bis heute gebe es zudem deutsche Textilkonzerne, die sich weigerten, in den Entschädigungsfonds für die Opfer des Fabrikeinsturzes in Bangladesch im vergangenen Jahr einzuzahlen: Diese ließen „die Opfer im Stich und drücken sich vor ihrer Verantwortung – das ist wirklich erbärmlich“, sagte Movassat.
Stefan Rebmann (SPD) erinnerte daran, dass es viele deutsche Unternehmen gebe, die ihrer Verantwortung mit Ausbildung vor Ort und mit der Einhaltung von Sozialstandards gerecht würden. „Aber das sind eben leider nicht alle.“
Es sei zwar in erster Linie Aufgabe der Regierungen der Entwicklungsländer und der Arbeitgeber vor Ort für Verbesserungen zur sorgen. „Aber das heißt nicht, dass sich deutsche Unternehmen hinter der Freiwilligkeit der Selbstverpflichtungen verstecken können.“ Mit dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD mache man „sich auf den Weg“ zu verbindlichen Regelungen.
Genau dies bestritt Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen): Der „windelweiche Antrag“ der Koalition enthalte nicht einmal den Begriff Verbindlichkeit. Menschenrechte seien unteilbar, sie könnten nicht hier, in Europa, gesetzlich verankert, in den Ländern des Südens aber nur durch freiwillige Selbstverpflichtungen geschützt sein.
„Es gibt viele Hebel und einer davon ist die Unternehmensverantwortung“, sagte Kekeritz. Eine ganze Reihe von Unternehmern fordere bereits selbst, soziale und ökologische Mindeststandards verbindlich festzuschreiben, weil sie sich durch Konkurrenten, deren Geschäftsgrundlage Lohndumping sei, bedroht sähen. Es müsse darum gehen, „einen Wettbewerb zu gleichen Bedingungen zu schaffen“, sagte Kekeritz.
Jürgen Klimke (CDU/CSU) unterstrich: „Deutsche Unternehmen dürfen nicht Profiteure eines Manchester-Kapitalismus übelster Art sein“. Um Mindeststandards global verbindlicher und vor allem wirksamer zu machen, sehe seine Fraktionen neben der Regierung und der Zivilgesellschaft auch die Unternehmen selbst in der Pflicht.
„Das bedeutet nicht, dass wir die Regierung vor Ort aus ihrer Verantwortung entlassen“, sagte Klimke. Der Fabrikeinsturz in Bangladesch etwa sei klar Folge eines „fehlerhaften staatlichen Handelns“ gewesen. Die Konditionierung von deutschen Entwicklungsgeldern sei deshalb ein wichtiger Hebel, um Veränderungen im Regierungshandeln zu bewirken.
Die Anträge der Koalition und der Grünen wurden vom Plenum in die Ausschüsse überwiesen. CDU/CSU und SPD fordern die Bundesregierung anderem auf, sich weiter für die Entschädigung der Unglücksopfer des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch einzusetzen, „indem sie Einfluss auf die verantwortlichen Textilimporteure nimmt, in den von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO koordinierten Entschädigungsfonds einzuzahlen“.
Zudem soll sie bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ für staatliche und private Wirtschafts- und Handelskooperation mit Entwicklungs- und Schwellenländern international vereinbarte Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards stärken.
Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, „die international anerkannten Menschenrechtsabkommen, die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die Kernbestandteile der internationalen Umweltabkommen auch für Unternehmen verbindlich zu machen“.
Bei Verstößen sollen die Opfer über das nationale Deliktsrecht Entschädigungsansprüche geltend machen können. Außerdem soll die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen, „der die strafrechtliche Ahndung von rechtswidrigen Handlungen, die aus Unternehmen heraus begangen werden, verbessert und das Einstehen juristischer Personen für diese Taten sicherstellt“. (ahe/09.10.2014)