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Wer Angehörige pflegt, soll künftig eine bezahlte Auszeit vom Job nehmen können. Einen entsprechenden Gesetzentwurf zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf hat das Bundeskabinett beschlossen. „Wir wollen damit Bedingungen schaffen, mit denen wir auf die Situation der Sandwich-Generation Rücksicht nehmen. Diese steht im Beruf, hat Kinder – aber möchte sich auch um pflegebedürftige Angehörige kümmern können“, sagte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) bei der Vorstellung der wichtigsten Eckpunkte des Gesetzesvorhabens am Mittwoch, 15. Oktober 2014, in der Regierungsbefragung des Bundestages.
Die geplanten Regelungen seien zudem ein „Signal“ an die Familien: „Erstmals sagen wir: Die Pflege von Angehörigen ist genauso wichtig wie die von kranken Kindern, für die eine Auszeit aus dem Job bereits möglich ist. Erstmals sagen wir: Wir lassen euch nicht allein.“
Gleichzeitig solle das von Familienministerium und Arbeitsministerium vorgelegte Gesetz auch die Wirtschaft entlasten.
Die Neuregelungen ruhten auf drei Säulen, erläuterte die Ministerin. So soll es zum einen für die zehntägige Pflegezeit – die Angehörige schon heute in akuten Fällen beanspruchen können – ab Januar 2015 eine Lohnersatzleistung von bis zu 90 Prozent des Nettolohns geben, so Schwesig.
Diese bezahlte „Auszeit im Akutfall“ solle Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, die Pflege für den Angehörigen zu organisieren. Für die Finanzierung im kommenden Jahr seien bereits 100 Millionen Euro im Bundeshaushalt eingestellt.
Zum anderen sollen Arbeitnehmer, die sechs Monate ganz oder teilweise aus dem Beruf auszusteigen, um nahe Angehörige zu pflegen, künftig einen Rechtsanspruch auf ein zinsloses Darlehen haben, um ihren Lebensunterhalt in der Pflegephase besser bestreiten zu können.
Einen Rechtsanspruch wird es künftig auch auf die 24-monatige Familienpflegezeit geben. Hier können pflegende Beschäftigte ihre Arbeitszeit bis auf eine Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden reduzieren. Der Einkommensausfall soll künftig ein zinsloses Darlehen abfedern, das beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Angelegenheiten beantragt werden kann.
Eine Einschränkung gab die Ministerin jedoch schon bekannt: Der Rechtsanspruch auf Pflegezeit und Familienpflegezeit werde nicht gegenüber Arbeitgebern mit 15 oder weniger Beschäftigten gelten. „Kleine Unternehmen haben größere Probleme, wenn plötzlich Mitarbeiter ihre Arbeitszeit reduzieren“, so die Ministerin zur Begründung.
Zum dritten solle mit dem geplanten Gesetz der Kreis der Berechtigten erweitert werden, kündigte die SPD-Politikerin an: „Wir weiten den Angehörigenbegriff auf Stiefeltern, Schwager und nicht verheiratete homosexuelle Lebensgefährten aus.“ Zudem sollen sich künftig zum Beispiel berufstätige Geschwister die Pflege ihrer Mutter oder ihres Vaters so aufteilen können, dass sie nacheinander und jeweils bis zu 24 Monate im Beruf kürzertreten.
Elisabeth Scharfenberg, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen für Pflege- und Altenpolitik, ging diese Erweiterung des Berechtigtenkreises jedoch nicht weit genug: Familiensysteme veränderten sich – nicht selten lebten Familien räumlich weit auseinander, gab die Abgeordneten zu bedenken. „Immer öfter sind es somit Freunde oder Nachbarn, die pflegen. Warum beziehen Sie diese Personen nicht mit ein?“
Schwesig antwortete, die Bundesregierung habe dies „im Blick“, verwies aber auf den jetzt schon großen Kreis der Berechtigten. Angesicht der zu erwartenden Kosten der Neuregelung gelte es „Schritt für Schritt" vorzugehen. Geplant sei, einen Beirat einzurichten, kündigte Schwesig an. „Er soll uns Feedback geben, wie die Umsetzung klappt.“
Marcus Weinberg, Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bat die Ministerin zu erklären, welche Konsequenzen das Gesetz auf die Wirtschaft haben werde. „Selbst ein gutes Gesetz bleibt nicht ohne Auswirkungen“, so der CDU-Abgeordnete.
Schwesig betonte, die geplanten Regelungen entlasteten sowohl die Familien als auch die Unternehmen. „Arbeitnehmer mit pflegebedürftigen Angehörigen sind künftig nicht mehr gezwungen, dauerhaft aus dem Beruf auszusteigen. Damit brechen der Wirtschaft auch nicht mehr die Fachkräfte weg.“ Zudem sei so auch die Gefahr, dass pflegende Beschäftigte durch die Doppelbelastung erkrankten und hohe Kosten für die Arbeitgeber erzeugten geringer.
Jörn Wunderlich, familienpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, wollte wissen, weshalb einem Beschäftigten die Zehn-Tage-Auszeit im Akutfall nur einmalig im Leben zustehe. „Was ist, wenn nacheinander Vater und Mutter pflegebedürftig werden?“
Schwesig unterstrich, dass der Anspruch zwar nur einmalig für einen Angehörigen bestehe, aber: „Man hat den Anspruch für Vater und Mutter.“
Kerstin Griese (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, bat darum, die „qualitative Bedeutung“ des Rechtsanspruches noch einmal näher auszuführen.
„Arbeitnehmer müssen nicht mehr um eine Auszeit betteln“, antwortete Schwesig und betonte zudem die symbolische Bedeutung des Rechtsanspruchs: „Die Politik zeigt damit, dass ihr dieses gesellschaftliche Thema wichtig ist und sie sich kümmert.“ (sas/15.10.2014)