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100 Milliarden Euro gehen dem deutschen Staat jedes Jahr nach Schätzungen durch Steuerhinterziehung verloren – Geld, das für wichtige Aufgaben wie Bildung und Ausbau der Infrastruktur gebraucht werden könnte. Dem Verschieben von Vermögen und damit steuerpflichtiger Erträge per Knopfdruck in andere Länder und damit der Vermeidung von Steuern soll bald ein Riegel vorgeschoben werden.
Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) stellte am Donnerstag, 6. November 2014, im Deutschen Bundestag in einer Regierungserklärung die von 52 Staaten und Gebieten unterzeichnete Vereinbarung vor, nach der die Steuerbehörden ab 2017 wichtige Konto- und Steuerdaten untereinander in einem automatisierten Verfahren austauschen werden. „Das ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen internationale Steuerhinterziehung“, stellte der Finanzminister fest.
Die Länder, die sich an dem Informationsaustausch beteiligen, „stehen als Fluchtort für Kapitalvermögen nicht mehr zur Verfügung“ freute sich Schäuble und sagte: „Steuerhinterziehung wird unattraktiver.“ Er kündigte an, dass sich bis zu 100 Staaten, darunter auch die Schweiz, der Vereinbarung anschließen würden. Damit würden im Ausland lagernde Kapitalvermögen einer Besteuerung im Inland zugeführt. Besitzer großer Vermögen dürften sich nicht der Besteuerung entziehen können.
Angesichts von Steuergestaltungsmöglichkeiten von internationalen Konzernen, die Patente und Lizenzen in steuergünstige Länder auslagern, sagte der Minister, es sei einiges erreicht worden, um die Möglichkeiten multinationaler Unternehmen zur „kreativen Steuergestaltung“ zu begrenzen. Schäuble verteidigte die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige, die die Große Koalition zwar einschränken, aber nicht ganz abschaffen will.
Zu Forderungen, nach der Einigung auf den Informationsaustausch die in Deutschland auf Kapitalerträge erhobene Abgeltungssteuer von 25 Prozent durch eine individuelle Besteuerung zu ersetzen, sagte Schäuble, wenn der Informationsaustausch 2017 eingeführt sei, könne man die Argumente überprüfen, aber er rate bis dahin zur Zurückhaltung: „Wenn man den zweiten Schritt vor dem ersten geht, gerät man leicht ins Stolpern.“
Damit stieß der Minister auf scharfen Widerspruch der Opposition. Die Abgeltungsteuer gehöre schleunigst abgeschafft, forderte Dr. Sahra Wagenknecht (Die Linke). „Keine Bundesregierung hat auch nur das Mindeste an der skandalösen Situation geändert, dass wie in alten feudalen Zeiten die Reichsten der Reichen kaum noch Steuern zahlen, während bei denjenigen, die hart arbeiten, der Fiskus gnadenlos zuschlägt.“ Daran werde auch die neue Vereinbarung nichts ändern. So habe Panama, wo sich bereits die größten Namen der Finanzbranche und Reiche niedergelassen hätten, die Vereinbarung nicht unterschrieben. Und auch der US-Bundesstaat Delaware bleibe Steueroase für ausländische Steuerflüchtlinge. „Das Ganze ist eher ein Konjunkturprogramm für die Nadelstreifen-Mafia“, kritisierte Wagenknecht.
Wagenknecht sagte, die Geschichte des Kampfes gegen Steuerhinterziehung von Millionären und Konzernen sei eine Geschichte eindrucksvoller Ankündigungen, denen in der Regel nichts als heiße Luft gefolgt ist“. Die Abgeordnete verwies auf jüngste Berichte, nach denen Luxemburg Steuergestaltungsmöglichkeiten anbiete, die die Steuer von Konzernen auf ein Prozent der Gewinne reduziert habe. Das sei passiert, als der heutige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Finanzminister gewesen sei. „Das finde ich bemerkenswert, dass Beihilfe zur Steuerhinterziehung in diesem Europa für höchste Funktionen prädestiniert. Das allein ist schon ein riesiger Skandal.“ Die Nachrichten aus Luxemburg irritierten auch die SPD-Fraktion, deren Finanzexperte Lothar Binding fragte, ob es wirklich gut gewesen sei, Juncker zum Kommissionspräsidenten zu wählen.
Carsten Schneider (SPD) würdigte das Abkommen über den Informationsaustausch: „Dass das gelingt, hätte ich mir vor wenigen Jahren nicht vorstellen können. Deshalb ist das ein großer Schritt.“ Schneider begrüßte auch die geplanten Maßnahmen zur Einschränkung der strafbefreienden Selbstanzeige. Die Abgeltungsteuer werde spätestens dann geändert, wenn der automatische Informationsaustausch kommen werde: „Unser Ziel als Sozialdemokraten ist, dass das Einkommen aus Arbeit genauso besteuert werden muss wie das Einkommen aus Vermögen.“
Scharf kritisierte Schneider die Steuermeidungsstrategien großer Konzerne in Luxemburg und anderen Ländern: „Legal ist noch lange nicht moralisch korrekt.“ Er forderte, Gewinne dort zu versteuern, wo sie entstehen. Auch Schneider verlangte Aufklärung von Juncker.
„Steuerhinterziehung untergräbt den Zusammenhalt in der Gesellschaft“, kritisierte Kerstin Andreae (Bündnis 90/Die Grünen). Es entstehe das Gefühl, die einen würden für Infrastruktur und Gemeinwesen zahlen und die anderen würden es nicht tun. „Das ist nicht nur ein Gefühl, sondern Tatsache.“ Sie verlangte eine Änderung der Kapitalbesteuerung in Deutschland. Die Abgeltungsteuer müsse abgeschafft werden: „Raus aus der Anonymität.“
Außerdem müssten unfaire Steuerpraktiken abgeschafft werden. Es sei ein Gebot der Gerechtigkeit: Wer von seinem Vermögen lebe, solle nicht besser gestellt werden als jemand, der einer Arbeit nachgehe. Dass es so hohe Steuerausfälle gebe, liege auch an der niedrigen Besteuerung für Lizenzen und Patente (sogenannte Lizenzboxen) im europäischen Ausland. Diese Steuergestaltungsmöglichkeiten müssten beendet und dürften keinesfalls im Inland eingeführt werden.
Wenn die Opposition sage, Bezieher von Kapitaleinkünften sollten nicht anders und nicht besser behandelt werden, dann dürfe man sie auch nicht schlechter behandeln, konterte Ralph Brinkhaus (CDU/CSU).
Er erinnerte daran, dass die Grünen den Kapitaleigentümern mit Vermögensteuer und Vermögensabgabe ganz tief in die Tasche greifen wollen. Die Vereinbarung zum Informationsaustausch bezeichnete Brinkhaus als „Meilenstein“.
Der Bundestag überwies den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (18/3018) an die Ausschüsse. Die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerrecht sollen mit dem Entwurf erheblich enger gefasst werden als bisher, unter anderem durch niedrigere Grenzwerte. So soll die Grenze, bis zu der eine Steuerhinterziehung ohne Zahlung eines zusätzlichen Geldbetrages bei Selbstanzeige straffrei bleibt, von 50.000 auf 25.000 Euro gesenkt werden.
Der zu zahlende Geldbetrag soll abhängig vom Hinterziehungsvolumen gestaffelt werden. „Hervorzuheben ist auch die vorgesehene generelle Ausdehnung des Berichtigungszeitraums auf zehn Jahre für eine wirksame Selbstanzeige. Bisher besteht diese Verpflichtung nur in Fällen einer besonders schweren Steuerhinterziehung“, heißt es im Entwurf. Die Abgeordnete Andreae hatte auf die enorm gestiegene Zahl von Selbstanzeigen verwiesen: 32.000 Selbstanzeigen seien von Januar bis September 2014 eingegangen. (hle/06.11.2014)