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Das Bauplanungsrecht wird geändert. Künftig ist es möglich, Flüchtlingsunterkünfte auch in Gewerbegebieten zu errichten. Der Bundestag stimmte am Donnerstag, 6. November 2014, einem dahingehenden Gesetzentwurf des Bundesrates (18/2752) entsprechend der Beschlussempfehlung des Bauausschusses (18/3070) zu. Schon am 7. November entscheidet die Länderkammer über die Vorlage, die damit noch im November in Kraft treten könnte.
Durch die zeitlich befristete Änderung des Bauplanungsrechts wird der Bau von Flüchtlingsheimen auch auf Flächen möglich, die „in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit einem bebauten Ortsteil innerhalb eines Siedlungsgebietes“ liegen. Außerdem sollen Gemeinschaftsunterkünfte ausnahmsweise auch in Gewerbegebieten eingerichtet werden können.
Mit dem Gesetz unterstütze der Bund Städte und Gemeinden bei ihren Bemühungen, Flüchtlinge angemessen unterzubringen, sagte Bundesbauministerin Dr. Barbara Hendricks (SPD) im Verlauf der Debatte. Es gehe um eine schnelle Lösung für die Asylsuchenden, betonte Kai Wegener (CDU/CSU). Als Vertreterin der Länder erläuterte Jutta Blankau-Rosenfeldt (SPD), Stadtentwicklungssenatorin in Hamburg, den dringenden Bedarf für Planungserleichterungen.
Heidrun Bluhm (Die Linke) lehnte die Neuregelung ab. Es reiche nicht, den Flüchtlingen Almosen anzubieten, indem man sie in Gewerbegebieten unterbringe. Seine Fraktion enthalte sich, sagte Christian Kühn (Bündnis 90/Die Grünen). Grund dafür sei, dass die Unterbringung in Gewerbegebieten zwar von Koalition und Regierung als „ultima ratio“ bezeichnet werde. Im Gesetz stehe das aber so nicht.
Es sei weder die Intention der Bundesregierung noch des Bundesrates, „Flüchtlinge in Gewerbegebiete abzuschieben“, machte Ministerin Hendricks deutlich. Es gebe aber Gewerbegebiete, die sich dafür eigneten. In diesen Fällen dürfe man „keine unüberwindbare Hürden zulassen“.
Aus Sicht von Heidrun Bluhm fördert das Gesetz jedoch die dauerhafte Ausgrenzung und Stigmatisierung. „Es signalisiert, dass wir die Flüchtlinge nicht dauerhaft unter uns haben wollen.“ Bluhm nannte es einen „Grundfehler“ davon auszugehen, dass der derzeitige Flüchtlingsstrom ein vorrübergehender Zustand sei. Das sei eine „groteske Vorstellung“.
Der Flüchtlingsstrom werde nicht abreisen, da Krisen und Kriege nicht plötzlich aufhörten. Vielmehr bestehe die reale Gefahr, dass dazu noch Klimaflüchtlinge kämen. „Wir haben es mit einer dauerhaften Aufgabenstellung zu tun“, sagte die Linke-Abgeordnete. Um die Situation langfristig in den Griff zu bekommen, müsse der soziale Wohnungsbau wiederbelebt werden. „Es muss Schluss sein mit der Lagerunterbringung der Vertriebenen in Deutschland“, forderte sie.
Man wolle Städten und Kommunen Handlungsspielräume in die Hand geben, sagte Kai Wegner. „Und zwar schnell“, fügte der Unionsabgeordnete hinzu. 250.000 Asylsuchende würden in Deutschland 2014 erwartet. „Das ist eine große Herausforderung, die eine nationale Kraftanstrengung erfordert“, sagte er. Dabei gehe es nicht nur um eine schnelle Lösung, sondern darum, angemessene und würdige Unterbringungsformen zu finden.
Die Unterbringung in Gewerbegebieten, so machte Wegner deutlich sei dabei die „ultima ratio“. Der Linksfraktion warf er vor, nicht an einer kurzfristigen Lösung interessiert zu sein. Wer ausschließlich auf Wohnungsbau setze, ignoriere, dass die Flüchtlinge sofort Unterbringungen benötigten.
Es gehe nicht nur darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, sagte Christian Kühn. „Sie brauchen eine menschenwürdige Unterbringung und ein soziales Umfeld, dass ihnen erlaubt, die Verluste und die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten“, sagte der Grünen-Abgeordnete.
Kühn nannte es zugleich einen „großen Schritt“, dass mit dem Gesetz die Flüchtlingsunterbringung als Allgemeinwohl festgeschrieben werde. Skeptisch sei er jedoch, ob Gewerbegebiete die Anforderung der menschenwürdigen Unterbringung erfüllen.
„Das darf nur die „ultima ratio“ sein, befand Kühn und kritisierte, dass dies so in dem Gesetz nicht festgeschrieben sei. Aus Sicht des Grünen-Abgeordneten würden in der Debatte ohnehin die falsche Frage gestellt, wenn man darüber nachdenke, wie man Flüchtlinge auf Zeit in Deutschland unterbringen könne.
Experten sprächen davon, dass 30 bis 60 Prozent der Asylsuchenden dauerhaft hier bleiben würden. Die Frage müsse also heißen: „Wie können wir ab dem ersten Tag die Menschen optimal integrieren und unterstützen, damit sie gut in unserer Gesellschaft ankommen und eine neue Heimat finden.“
Allein für Hamburg summiere sich im Jahr 2014 die Zahl der Flüchtlinge auf 6.200, für die geeignete Unterbringungen geschaffen werden müssten, sagte die Senatorin für Stadtentwicklung Jutta Blankau-Rosenfeldt. Genutzt werde jede kurzfristig verfügbare Fläche, sagte die SPD-Politikerin. Dabei stoße man jedoch an Grenzen. So habe sich Hamburg durch das Verwaltungsgericht „eine Nachbarschaftsklage eingefangen, weil wir Flüchtlinge auf einem Gewerbegebiet unterbringen wollten, das direkt an ein Wohnungsgebiet angrenzt“. Auch deshalb habe Hamburg, gemeinsam mit Bremen und Baden-Württemberg diese Länderinitiative ergriffen, sagte die Hamburger Senatorin.
Im Anschluss an die Debatte lehnte der Bundestag Entschließungsanträge der Linksfraktion (18/3075) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/3076) ab. (hau/06.11.2014)