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Bis zu Beginn dieses Jahres war Peter Schaar zehn Jahre lang der oberste Datenschützer der Bundesrepublik. Am Mittwoch, 5. November 2014, hat er in der Bibliothek des Bundestages sein aktuelles Buch vorgestellt mit dem Titel: „Überwachung total. Wie wir in Zukunft unsere Daten schützen.“ Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen) moderierte die Lesung und präsentierte rund 70 Zuhörern ihren Parteifreund und ehemaligen „Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ als einen „leibhaftigen Schutzpatron des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“.
Der „Ur-Demokrat“ Peter Schaar habe stets die Grundrechte „vor dem Heißhunger mannigfaltiger Zugreifer und Überwacher geschützt.“ Was er in seinem Buch beschreibe sei kein „Science fiction“, sondern eine „Realität der Totalüberwachung, die die eigene Fantasie übersteigt“. Schaar zeige, dass die Enthüllungen von Edward Snowden „nur die Spitze des Eisbergs sind“.
Claudia Roth lobte, dass der Autor sich mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden gebe und sein Buch deshalb ein „lauter Ruf“ sei. „Er erwartet eine starke Rolle von unserem Parlament“, deshalb sei der Bundestag „genau der richtige Ort“, um seinem Buch Gehör zu verschaffen.
Peter Schaar selbst beschrieb die Allgegenwart von Datensammlungen als eine „ungebremste Entwicklung“. Sein Buch sei daher „nur ein Zwischenstand“. Immer mehr - nur auf den ersten Blick - „kostenloser“ Dienste würden Informationen sammeln. Der Nutzer zahle diese Dienste jedoch mit der Preisgabe seines individuellen Profils. Dieses Profil werde schließlich von Dritten verwertet. Versicherungen etwa würden die gewonnenen Daten nutzen, um Risiken abzuwägen. In den USA, so Schaar, sei es schon Realität, dass medizinische Behandlungsmethoden kontingentiert würden, auf der Basis von „Big Data“.
Die Massenüberwachung durch Geheimdienste würde ohne diese privaten „Datenkraken“ gar nicht so intensiv stattfinden können, erklärte Schaar: „Vieles von dem, was die NSA macht, hat damit zu tun, dass man sich drauf setzt auf die privaten Datensammlungen.“ Offensichtlich habe es Kooperationsvereinbarungen zwischen Unternehmen und Geheimdiensten gegeben. Die Dementi der Unternehmen seien „windelweich“ gewesen, so Schaar.
Allerdings habe die NSA sich nicht nur über die „Vordertür“ Zugang zu den Daten verschafft, sondern sei dann auch noch durch die „Hintertür“ eingestiegen, indem sie Datenleitungen angezapft habe. Die Dokumente übrigens, die durch Edward Snowden, an das Licht der Öffentlichkeit gelangten, habe er gemeinsam mit Experten geprüft und sei zu der Erkenntnis gelangt: „Die sind echt!“
Gerade im Hinblick auf globale Geheimdienstaktivitäten offenbare sich laut Schaar ein rechtliches „Territorialdilemma“. Die Privatsphäre könne zwar durch das nationale Recht geschützt sein, die global agierenden Geheimdienste würden dadurch aber offensichtlich nicht ausreichend in Schranken gewiesen. Obwohl Peter Schaar Fälle kenne, in denen es Rechtsbrüche durch ausländische Geheimdienste in Deutschland gegeben habe, seien durch den Generalbundesanwalt keine Ermittlungen aufgenommen worden.
„Die Verweigerung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens wegen der Massenüberwachung führt natürlich dazu, dass die Ermittlungsinstrumente, die bei uns die Strafverfolgungsbehörden haben, nicht zur Aufklärung dieser Sachverhalte zum Einsatz kommen.“ Schaar fragte, ob es außenpolitische Beweggründe dafür gebe und ob man es sich womöglich nicht mit den Freunden verderben wolle. Es gerate dann natürlich auch das Wirken der eigenen Geheimdienste in das Blickfeld, was aus Schaars Sicht durchaus sinnvoll sei.
Schaar ging auf bislang vergebliche Versuche ein, den Datenschutz auf dem Wege internationaler Abkommen zu verbessern. Er sehe keine Alternative dazu, internationale Vereinbarungen zu finden und diese auch mit Hilfe technischer Barrieren abzusichern. Die „Schwelle für die Überwachung“ müsse aus seiner Sicht höher gelegt werden. Ihm bereite vor allem die anlasslose Massenüberwachung Sorge, „die dazu beiträgt, nicht nur den Einzelnen in seiner Privatsphäre zu beeinträchtigen, sondern die die Gesellschaft vollständig in ihrer Selbstbestimmung unterminiert“.
Angesprochen auf aktuelle bundespolitische Gesetzgebungsvorhaben warnte Schaar davor, mit der Pkw-Maut wieder neue Datensammlungen zu fabrizieren. Eine Datensammlung führe den Staat immer in Versuchung. Der Druck der Öffentlichkeit laste dann etwa bei einer schweren Straftat, die aufgeklärt werden müsse, so stark auf dem Datenschutzwall, dass dieser irgendwann aufweicht. (tk/06.11.2014)