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Alle Experten haben bei der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf zur Änderung von Artikel 91b des Grundgesetzes (18/2710) am Montag, 3. November 2014, die angestrebte Aufhebung des Kooperationsverbots von Bund und Ländern in der Wissenschaft begrüßt. Einigen Experten geht die angestrebte Aufhebung jedoch nicht weit genug. Sie forderten eine Aufhebung auch für den Bildungsbereich. Zu der Sitzung hatte der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung unter dem Vorsitz von Patricia Lips (CDU/CSU) ins Berliner Paul-Löbe-Haus eingeladen. Der Sitzung lagen auch Anträge der Linken, das Kooperationsverbot abzuschaffen und eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz zu verankern (18/588), sowie der Grünen, das Kooperationsverbot zu kippen und eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern für eine bessere Bildung und Wissenschaft zu ermöglichen (18/2747), zugrunde.
Prof. Dr. Max-Emanuel Geis von der Universität Erlangen-Nürnberg sagte, jetzt werde „eine Fehlentwicklung wieder auf das richtige Gleis gesetzt“. Das Gesetz beziehe sich richtigerweise auf den Bereich Hochschulen und Wissenschaften. Er riet dringend davon ab, im Rahmen eines Gesamtkonzeptes die Bildung mitzuintegrieren. Das wäre auch zeitlich eine „Diskussion ad infinitum“, und auch „dogmatisch“ würde sich der Wissenschaftsbereich vom Bildungsbereich unterscheiden.
Prof. Dr. Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), betonte die Aufhebung als „notwendigen ersten Schritt, um die Verbesserung der Grundfinanzierung aller Hochschulen“ durch die Möglichkeit der Beteiligung des Bundes zu schaffen. Die Stärke des deutschen Hochschulsystems sei die Qualität und die Exzellenz in der Vielfalt. Auf diese Wiese könnten künftig zentrale bildungspolitische Ziele verfolgt werden, für die den Ländern allein die Finanzkraft fehle.
Prof. Dr. Klaus Klemm, Universität Duisburg-Essen, begrüßte ebenfalls die angestrebte Änderung, machte aber auch deutlich, dass das Gesetz lediglich die Spitze stärke. Durch diese Grundgesetzänderung würden thematisch nicht die frühkindliche Bildung, der Ganztagesbereich von Schulen, die Inklusion, der Bereich für Ausbildung und die 5.700 benötigten Schulplätze für Flüchtlinge in diesem Schuljahr angegangen. Außerdem machte er auf einen Fehler in der Einleitung des Gesetzesentwurfs aufmerksam. Die Hochschulen würden nicht mehr als 50 Prozent eines Altersjahrgangs ausbilden. „Das ist schlicht falsch“, sagte Klemm.
Zwar gebe es im Moment eine Studienanfängerquote von 57,5 Prozent. In dieser Rechnung seien aber 100.000 Ausländer enthalten, die in Deutschland studieren. Zudem müsse man den G8- und G9-Effekt aus der Rechnung herausziehen. Dann komme man auf eine wahre Studienanfängerquote von etwa 45 Prozent. Damit liege bei der Ausbildung junger Menschen die Lehre noch immer vor dem Studium.
Prof. Dr. Wolfgang Löwer vom Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn warnte davor, die Verfassungsänderung auch für die Schulen durchzuführen. Aus staatsrechtlicher Sicht würde die Mitfinanzierung der Hochschulen durch den Bund nicht die föderale Struktur verändern. Das wäre bei Mitspracheregelungen des Bundes für die Schulen anders. Es sei beim Bildungsbereich einfacher, statt über eine Grundgesetzänderung über eine Neuregelung der Finanzströme zwischen Bund und Ländern nachzudenken.
Thomas May, Generalsekretär des Wissenschaftsrates, sagte, er unterstütze die vorgelegte Gesetzänderung „ohne Einschränkung“. Der Wissenschaftsrat sei der Meinung, dass die Länder auch aufgrund ihrer unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit überfordert sein werden, ihr Wissenschaftssystem aus eigener Kraft zukunftssicher und nachhaltig zu finanzieren.
Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, Vizepräsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), machte auf die internationalen Herausforderungen aufmerksam, vor denen die Hochschulen stünden. Aufstrebende Bildungsnationen wie Brasilien, China, Indien und Russland hätten ihre Ausgaben für den Wissenschaftsbereich massiv erhöht.
Als Beispiel griff er Brasilien heraus. Für sein nationales Stipendienprogramm „Wissenschaft ohne Grenzen“, mit dem Stipendiaten in den Disziplinen Life-Sciences und Natur- und Ingenieurwissenschaften gefördert würden, habe die brasilianische Regierung allein bis 2015 rund 1,4 Milliarden Euro bereitgestellt.
Dr. Margrit Seckelmann, Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für Öffentliche Verwaltung Speyer, begrüßte das Gesetz als einen guten Schritt in die richtige Richtung. „Aber es ist eben nur ein Schritt.“ Es ginge darum, ein zukunftsfähiges, gerechtes, inklusives Bildungs- und Wissenschaftssystem zu schaffen. Da es keine Spitze ohne Breite gebe, plädierte sie für mehr Kooperation von Bund und Ländern in der Bildung. In der Föderalismusreform 2006 sei man in die Entflechtungsfalle getappt. Dies gelte es punktuell zu korrigieren. (rol/03.11.2014)