Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Mehrere Experten haben bei einer Anhörung zur Evaluierung des Standortauswahlgesetzes in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) am Montag, 3. November 2014, Zweifel an einzelnen Aspekten der Verfahrensausgestaltung in dem Gesetz angemeldet. In der Kritik stand unter anderem das im Gesetz vorgesehene Verfahren, nach dem der Bundestag vor allem per Gesetzesbeschluss die Auswahl des Standortes entscheiden soll.
Ullrich Wollenteit von der Kanzlei Günther stellte die Verfassungsmäßigkeit der Regelung infrage. Das Verfahren habe „gravierende Auswirkungen auf den Rechtsschutz“, denn ein Gesetzesbeschluss könne nur per Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.
Laut Olaf Däuper von der Kanzlei Becker Büttner Held folgt daraus, dass nur ein beschränkter Kreis von Personen beschwerdeberechtigt sein wird, Umweltverbände etwa hätten kein Klagerecht. Zudem sei der Prüfungsmaßstab auf die Verfassung begrenzt, während bei der Alternative eine Verwaltungsentscheidung auch einfache Gesetze herangezogen werden könnten.
Bettina Keienburg von der Kanzlei Kümmerlein verwies zudem darauf, dass durch eine gesetzliche Standortfestlegung auch europarechtliche Probleme in Hinblick auf den Rechtsschutz bei der Umweltverträglichkeitsprüfung auftreten könnten.
Marc André Wiegand von der Universität Leipzig problematisierte die Art der Einbindung der Öffentlichkeit. Das Gesetz sehe eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Allerdings könne eine Verletzung dieser Vorschriften kaum gerügt werden, da sie nicht in rechtlich anfechtbare Verwaltungsentscheidungen, sondern in praktisch unangreifbare Gesetzentwürfe mündeten.
Dr. Hans Peter Bull, emeritierter Professor von der Universität Hamburg, hingegen hob die Vorteile des gewählten Verfahrens im Kontrast etwa zu einem Planfeststellungsverfahren hervor. Der Gesetzgeber habe eine „höhere Legitimation“. Zudem dürfe sich die Politik auch unter Beteiligung der Öffentlichkeit und Wissenschaft nicht aus der Verantwortung entfernen, sondern müsse Entscheidungskompetenzen nutzen.
In der Frage der Kostenbeteiligung der Atomkonzerne bei der Standortsuche gingen die Meinungen auseinander. Dr. Hans-Wolfgang Arndt, emeritierter Professor von der Universität Mannheim, bezweifelte die Verfassungsmäßigkeit der Regelung, nach der die Kernkraftbetreiber über ein Umlageverfahren die Standortsuche finanzieren sollen. Dr. Johannes Hellermann, Professor an der Universität Bielefeld, bejahte die grundsätzliche Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Zu klären sei allerdings, welche Kosten genau umgelegt werden können.
Auch die Frage nach der Einbeziehung von Gorleben in die Standortsuche war Thema der Expertenausführungen. Laut Standortauswahlgesetz wird Gorleben nicht ausgeschlossen, allerdings wurde ein Erkundungsstopp ausgesprochen. Laut Ullrich Wollenteit hätte Gorleben im Gesetz aber ausgeschlossen werden müssen, um eine Vorentscheidung auf diesen Standort zu vermeiden. Herbert Posser von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer kritisierte hingegen, dass der Erkundungsstopp auf einer unzulässigen Prämisse im Standortauswahlgesetz beruhe, nämlich der Annahme, dass ohne Erkundungsstopp trotz Neuanfang der Standortsuche eine Vorfestlegung geschieht. Der Erkundungsstopp sei folglich nicht rechtmäßig.
Die Einbeziehung Gorlebens wurde auch von Helmut Röscheisen vom Deutschen Naturschutzring kritisch hervorgehoben. Grundsätzlich müsse zudem die Öffentlichkeitsbeteiligung verbessert werden. Röscheisen mahnte eine zügige Überarbeitung des Gesetzes an, um die „fundamentalen Konstruktionsfehler“ auszuräumen.
Vor Beginn der eigentlichen Anhörung hatte die Ko-Vorsitzende der Kommission, Ursula Heiner-Esser, Kritik an mehreren Verbänden geübt, die öffentlich ihre Teilnahme an der Anhörung abgelehnt hatten. Hubertus Zdebel (Die Linke) verteidigte die Absage der Verbände hingegen mit Verweis auf die grundsätzliche Skepsis, mit der die Verbände die Kommission seit Anbeginn begleitet hätten. (scr/03.11.2014)