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Der Vorsitzende des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement, Willi Brase (SPD), wirbt kurz vor dem Tag des Ehrenamtes am Freitag, 5. Dezember 2014, für mehr freiwilliges Engagement. Engagement sei ein „Geben und Nehmen“ und zugleich auch ein Beitrag zu gesellschaftlichen Entwicklungen, sagt er im Interview. Der Abgeordnete aus Kreuztal im Siegerland ist selber unter anderem für die ambulante Hospizpflege in seinem Heimatort ehrenamtlich aktiv. Um das Engagement zu stärken, spricht er sich unter anderem für eine verbesserte Anerkennungskultur aus. Zugleich geht er davon aus, dass die Zeiten, in denen jemand ewig bei einer Sache bleibt, vorbei seien. „Einmal Rotkreuzler – immer Rotkreuzler oder einmal THWler - immer THWler gibt es immer seltener.“ Die Menschen würden sich stattdessen lieber zeitlich befristet und projektbezogen engagieren. Das Interview im Wortlaut:
Herr Brase, am 5. Dezember ist der Tag des Ehrenamtes. Sind Sie eigentlich neben ihrer Abgeordnetentätigkeit noch ehrenamtlich aktiv?
Das bin ich. Zum einen in der ambulanten Hospizpflege der Diakoniestation Kreuztal, meines Heimatortes. Meine Aufgabe ist es, bei Unternehmen und Verbänden Spenden einzusammeln. Außerdem weise ich bei allen möglichen Gelegenheiten darauf hin, dass es diese ambulanten Angebote gibt. Man muss für den letzten Weg im Leben nicht unbedingt in ein Hospiz, sondern das Ganze kann auch ambulant erfolgen und die Pflegenden können unterstützt werden. Eine richtige und notwendige Sache, wie ich finde. Mein zweiter Engagementbereich stammt noch aus meiner Zeit als DGB-Regionsvorsitzender. Damals habe ich – gemeinsam mit anderen - eine Initiative für den Bau einer Straße in einen Teil unseres Kreises mit auf den Weg gebracht. Da bin ich auch nach wie vor dabei.
Was antworten Sie den Menschen auf die Frage, warum sie sich freiwillig engagieren sollten?
Freiwilliges Engagement ist ein Geben und Nehmen. Ich gebe etwas für andere. Und erhalte dafür Anerkennung, Zuwendung, manchmal Freundschaften. Engagement ist auch ein Beitrag zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Gerade jungen Leuten sage ich immer: Wenn du nicht immer nur tun willst, was andere bestimmen, tue selber etwas.
In Deutschland sind laut dem Freiwilligensurvey 2009 36 Prozent der Menschen – ebenso viele wie bei der letzten Erhebung 2004 – freiwillig engagiert. Gestiegen ist hingegen die Zahl derjenigen, die grundsätzlich zu einem Engagement bereit sind. Was muss getan werden, um diese wachsende Gruppe zu tatsächlich Engagierten zu machen? Oder sind die Möglichkeiten des Gesetzgebers hier ausgereizt?
Wir können etwas tun und wir werden auch etwas tun. Allerdings sind die Zeiten, in denen jemand ewig bei einer Sache bleibt, wohl vorbei. Einmal Rotkreuzler – immer Rotkreuzler oder einmal THWler - immer THWler gibt es immer seltener. Es gibt auf der anderen Seite immer mehr Menschen, die sich lieber zeitlich befristet für ein bestimmtes Projekt engagieren wollen. Wir müssen außerdem überlegen, wie wir die Anerkennung von Engagement verbessern können. Etwa durch die Aufwertung des Deutschen Engagementpreises – auch in finanzieller Hinsicht.
Der Survey zeigt – entgegen dem allgemeinen Trend – einen Rückgang der Engagementquote bei Jugendlichen auf. Gehen uns in Zukunft die freiwillig Engagierten aus?
Das Engagement Jugendlicher ist unterschiedlich zu bewerten. Es hat viel mit den Bedingungen zu tun, unter denen sie aufwachsen. Wir haben nicht so viele aktive Jugendliche mit Migrationshintergrund und auch nicht so viele aus bildungsfernen Schichten. Oft kommen sie aus den klassischen bürgerlichen Mittelschichtbereichen oder aktiven Arbeitnehmerschichten. Sie sind dann aktiv, wenn es auch das Elternhaus ist. Prekäre Lebenssituationen behindern das Engagement. Schaffen wir es also, den Jugendlichen eine dauerhafte Beschäftigung und eine Lebensperspektive zu geben, haben wir auch eher eine Chance, sie für das Engagement zu begeistern. Schließlich wissen wir, dass Jugendliche durchaus Initiative entwickeln können. Schauen Sie sich nur die Schulabschlussfeiern an, bei denen die Schüler schon anderthalb Jahre im Voraus planen und organisieren, was dort passieren soll. Dadurch lernen sie: Wenn man Dinge selbst in die Hand nimmt, kann man auch ein Ziel erreichen. Grundsätzlich gilt das zuvor Gesagte für Jugendliche erst recht. Sie sind eher bereit, sich zeitlich befristet und projektbezogen zu engagieren.
Was kann getan werden, um auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund in das freiwillige Engagement zu bringen?
Wir wissen nicht genau, wie viele Migrantinnen und Migranten sich engagieren. Dazu gibt es zu wenige Untersuchungen. Sie engagieren sich häufig in Migrantenorganisationen. Was wir brauchen ist eine interkulturelle Öffnung und gleichberechtigte Teilhabe. Menschen mit Migrationshintergrund haben häufig unter anderem Diskriminierungserfahrungen und Sprachbarrieren, bei Menschen ohne Migrationshintergrund gibt es auch noch das eine oder andere Vorurteil oder mangelnde Erfahrung. Diese „Beziehungsknoten“ müssen wir Schritt für Schritt auflösen. Wir sollten zum Beispiel versuchen, die Integrationsprogramme, die Menschen mit Migrationshintergrund auf den Weg in Ausbildung und Arbeit unterstützen sollen, gleich mit bürgerschaftlichem Engagement zu koppeln.
Aber die Migranten müssen sich schon den hiesigen Strukturen anpassen, oder?
Wir leben gemeinsam in diesem Land und haben grundsätzlich alle die gleichen Rechten und Pflichten. Das beziehe ich zum Beispiel auf den Zugang zu öffentlichen Mitteln. Das geht gar nicht anders. Die Brandschutztreppe im Vereinshaus sollte auch nicht als Gängelung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund empfunden, sondern als Schutzmaßnahme akzeptiert werden. Keineswegs müssen sich Migrantinnen und Migranten der deutschen Vereinsmeierei unterwerfen, die kulturell nicht immer nachvollziehbar ist. Die lehnen ja auch viele Deutsche inzwischen ab.
Blicken wir auf den Bundesfreiwilligendienst (BFD), den es ja seit 2011 gibt. Ihre Fraktion sah das Ganze anfangs durchaus kritisch. Wie fällt Ihre Bewertung heute aus?
Trotz aller Bedenken akzeptieren wir ihn. Und sehen auch, dass er gut angenommen wird. Interessant ist, wer am BFD teilnimmt. Das sind im Westen die Jungen und im Osten die Älteren, weil der BFD ja altersunabhängig ist. Dort scheint der BFD ein Weg zu sein, noch etwas Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Das war so nicht gedacht, denn der BFD soll ja eben kein Ersatz für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sein. Also bleibt die Kritik hier bestehen. Das Problem ist aber schwierig zu lösen. Wir werden 2016 eine Evaluation bekommen und dann entscheiden, in wie weit Änderungsbedarf besteht.
Daraus ist herauszuhören, dass Sie – ebenso wie die Opposition aber auch verschiedene Sachverständige – durchaus die Gefahr sehen, dass Bund, Länder und Kommunen angesichts leerer Kassen das freiwillige Engagement ausnutzen könnten, um eigene Aufgaben kostengünstig auszulagern …
Die Sorge halte ich für gerechtfertigt. Das Ganze ist ja mit dem Begriff der Monetarisierung verbunden. Wenn nun durch die Kombination aus Übungsleiterpauschale und Minijob das freiwillige Engagement zur Existenzsicherung immer stärker als Ersatz für den fehlenden Arbeitsplatz gewählt wird, muss man darüber diskutieren und entscheiden, ob das der richtige Weg ist. Ich bin ein Anhänger eines freiwilligen Engagements, bei dem man höchstens seine Auslagen erstattet bekommt.
Herr Brase, Ihr Vorgänger als Vorsitzender des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement, Markus Grübel (CDU/CSU) hatte sich in der vergangenen Legislaturperiode für die Schaffung eines regulären Ausschusses ausgesprochen. Allerdings erfolglos. Wie stehen Sie zu der Frage?
Das befürworte ich. Mein Ziel ist es, diese Frage vor dem Hintergrund der kommenden Wahlperiode zum richtigen Zeitpunkt zu diskutieren. Ein ordentlicher Ausschuss wäre meiner Ansicht nach die größte Anerkennung für das Engagement in Deutschland und würde diesem Politikfeld gerecht werden.
(hau/28.11.2014)