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Der automatischen vorzeitigen Verrentung von älteren Arbeitslosengeld-II-Beziehern (Alg II) ab dem 63. Lebensjahr steht eine Mehrheit von Sachverständigen kritisch gegenüber. Das wurde in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales unter Vorsitz von Kerstin Griese (SPD) am Montag, 1. Dezember 2014, deutlich. Zugrunde lag ein Antrag (18/589) der Fraktion Die Linke, der die „Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten“ im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) forderte.
Zwar waren sich die meisten Experten einig, dass es sich dabei nicht um ein Massenphänomen handelt, sie bewerteten die Regelung aber vor dem Hintergrund einer Arbeitsmarktpolitik, die auch Ältere verstärkt im Erwerbsleben halten will, als kontraproduktiv.
So gab Dr. Martin Brussig vom Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen zu bedenken, dass es sich bei den Betroffenen um keinen großen Kreis handele, dies aber irrelevant für die Gerechtigkeitsfrage sei. „Die Pflicht zur Verrentung passt nicht zur einer Arbeitsmarktpolitik, die auf eine längere Beteiligung am Arbeitsleben ausgerichtet ist“, sagte er.
Heiko Siebel-Huffmann, stellvertretender Direktor des Sozialgerichts Schleswig, konnte die Behauptung der Linken, es handele sich um eine systematische Vorgehensweise der Jobcenter, nicht nachvollziehen. Auch bezeichnete er es in seiner schriftlichen Stellungnahme grundsätzlich als zumutbar, eine abschlagsfreie Rente vorzeitig zu beziehen. Dennoch müsse man das Problem der Altersarmut ernst nehmen, wenn der vorzeitige Rentenbezug zu dauerhaften Abschlägen bei der Rente führt, die dann eventuell nicht mehr existenzsichernd ist.
Siebel-Huffmann plädierte in diesem Zusammenhang für eine „Fortentwicklung“ der sogenannten Unbilligkeitsverordnung, die festlegt, wann es einem Alg-II-Bezieher nicht zuzumuten ist, einen Rentenantrag zu stellen. So solle seiner Ansicht nach die Inanspruchnahme der Altersrente für eine alleinstehende Person „unbillig“ sein, soweit der dreifache Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 1 unterschritten wird. Bei Paaren könne der vierfache Regelsatz als Grenze gelten, sagte Siebel-Huffmann.
Michael Schweiger von der Bundesagentur für Arbeit sagte dazu: „Das könnte ein guter Weg sein, um das Problem weitestgehend zu lösen.“ Jedoch sollten die Job-Center dann nicht mit umfangreichen Einzelfallprüfungen arbeiten müssen, sondern pauschalisierende Lösungen gefunden werden, schlug Schweiger vor.
Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband verwies auf neueste Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zum massiven Anstieg der Altersarmut. „Der Verweis auf die Hilfe zum Lebensunterhalt kann deshalb nicht der Weisheit letzter Schluss sein“, sagte er.
Wie Rock plädierte auch der Deutsche Caritasverband für eine Abschaffung dieser Renten-Regelung. Deren Vertreterin Birgit Fix sagte: „Das SGB-II hat das Ziel, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und nicht, sie auszusortieren.“
Nach Ansicht des Deutschen Städtetages sowie des Deutschen Landkreistages wird das von den Linken aufgeworfene Problem überschätzt. Es sei wichtig, am Prinzip der Nachrangigkeit im SGB II festzuhalten, sagte Regina Offer vom Deutschen Landkreistag. Die SGB-II-Vorschriften sollten nicht mit zusätzlichen Regelungen verkompliziert werden, die einen sehr kleinen Anwendungsbereich haben.
Außerdem könne ein vorzeitiger Renteneintritt für ehemalige Alg-II-Bezieher auch Vorteile bedeuten, etwa wenn deren Rente die Höhe der Grundsicherungsleistungen erreichen und sie aber nach Renteneintritt ihr Einkommen durch Hinzuverdienste erhöhen können, schreiben die Verbände in ihrer gemeinsamen Stellungnahme.
Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände plädierte unter Verweis auf die Nachrangigkeit der SGB-II-Leistungen für eine Beibehaltung der aktuellen Regelung. „An diesem Grundsatz muss auch bei der Altersrente festgehalten werden, da eine Abweichung zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung führen würde.“ Hier werde ein gesetzlicher Handlungsbedarf behauptet, der überhaupt nicht besteht, heißt es dazu in der Stellungnahme des Verbandes. (che/01.12.2014)