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Zum zweiten Mal in diesem Jahr hat sich der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit den Rechten in Bundesversammlungen befasst. © dpa
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat Anträge im Organstreitverfahren gegen die 15. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten am 18. März 2012 sowie gegen Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert als deren Leiter verworfen. Der am Donnerstag, 8. Januar 2015, veröffentlichte Beschluss vom 16. Dezember 2014 (Aktenzeichen: 2 BvE 2/12) schließt an ein Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 zur 13. Bundesversammlung am 23. Mai 2009 und zur 14. Bundesversammlung am 30. Juni 2010 an (Aktenzeichen: 2 BvE 2/09 und 2 BvE 2/10). Das mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Organstreitverfahren betrifft die Rechte des mecklenburg-vorpommerschen Landtagsabgeordneten Udo Pastörs (NPD) als Mitglied 15. Bundesversammlung anlässlich der Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten am 18. März 2012. Neben neun Anträgen im Organstreitverfahren wollte der Antragsteller erreichen, dass den Strafverfolgungsbehörden seines Bundeslandes bis zur Hauptsacheentscheidung im Organstreitverfahren jede Strafverfolgungsmaßnahme gegen ihn untersagt wird.
Das Gericht hält die Anträge teilweise für unzulässig, teilweise für offensichtlich unbegründet. Nach dem Hauptantrag sollte die Wahl Gaucks für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet werden. Aus Sicht des Gerichts ist dieser Antrag auf eine im Organstreitverfahren unzulässige Rechtsgestaltung und den Ausspruch einer Verpflichtung gerichtet.
Zu zwei weiteren Anträgen heißt es, der Antragsteller sei nicht „antragsbefugt“. Ein Antragsteller müsse im Organstreitverfahren geltend machen, durch eine Maßnahme des Antragsgegners in seinen grundgesetzlichen Rechten verletzt zu sein. Ihm stehe von Verfassungs wegen kein organschaftliches Recht zu, die Wahl der von anderen Ländern in die Bundesversammlung entsandten Delegierten zu rügen und mit dieser Begründung die ordnungsgemäße Zusammensetzung der Bundesversammlung auf den Prüfstand zu stellen.
Die weiteren Anträge sind aus Sicht des Gerichts offensichtlich unbegründet. Die Bundesversammlung habe durch den Beschluss einer Geschäftsordnung, wonach Anträge nur schriftlich eingereicht werden können und eine Aussprache nicht stattfindet, keine dem Antragsteller durch die Verfassung eingeräumten Rechte verletzt. Die Abgabe der Stimmen und ihre Auszählung bedürften grundsätzlich keines Rede- und Antragsrechts. Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl, die möglicherweise ein verfassungsrechtliches Rederecht begründen könnten, mache der Antragsteller nicht geltend, betonen die Richter.
Auch habe Bundestagspräsident Norbert Lammert keine organschaftlichen Rechte des Antragstellers verletzt, indem er den von diesem eingebrachten Geschäftsordnungsentwurf – bis auf den hieraus entnommenen Antrag auf Benennung von Wahlbeobachtern – nicht zur Abstimmung gestellt habe. Die beantragte Ausgestaltung der Geschäftsordnung, nach der den Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten Gelegenheit gegeben werden sollte, sich bis zu 30 Minuten in freier Rede vorzustellen, hätte eine Verletzung des Ausspracheverbots des Artikels 54 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes bedeutet.
Schon deshalb sei der Bundestagspräsident nicht verpflichtet gewesen, dem Antragsteller das Wort zur Begründung seines Geschäftsordnungsentwurfs zu erteilen. Die Geltung der Geschäftsordnung des Bundestages in der Bundesversammlung sei nur vorgesehen, wenn sich die Bundesversammlung keine eigene Geschäftsordnung gibt. Wenn – wie hier – erkennbar sei, dass die Bundesversammlung vom Recht Gebrauch machen möchte, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben, komme die Geschäftsordnung des Bundestages nicht zum Tragen.
Das Vorgehen des Bundestagspräsidenten, über den von der Mehrheit der Bundesversammlung getragenen Antrag zur Geschäftsordnung vor Erteilung des Worts an ein Mitglied der Bundesversammlung abstimmen zu lassen, ist nach Ansicht des Gerichts nicht zu beanstanden. Denn der Antrag habe erkennbar zum Ziel gehabt, in der Bundesversammlung generell keine Redebeiträge zuzulassen. Diese Zielrichtung wäre unterlaufen worden, hätte der Bundestagspräsident dem Antragsteller zuvor das Wort erteilt.
Der Bundestagspräsident habe auch keine organschaftlichen Rechte des Antragstellers dadurch verletzt, dass er dessen Antrag auf Ausschließung von Mitgliedern der Bundesversammlung wegen einer Fehlerhaftigkeit ihrer Wahl in den Volksvertretungen der Länder nicht zur Abstimmung gestellt hat. Die Voraussetzungen für die Befassung der Bundesversammlung mit der Wahlprüfung seien ersichtlich nicht erfüllt gewesen. Die Bundesversammlung sei daher nicht befugt gewesen, sich mit diesem offensichtlich gegen Artikel 54 Absatz 3 des Grundgesetzes verstoßenden Antrag zu befassen.
Da sich die Bundesversammlung mit dem Antrag auf Ausschließung von Mitgliedern wegen einer Fehlerhaftigkeit ihrer Wahl in den Ländern von Verfassungswegen nicht habe befassen dürfen, sei der Bundestagspräsident auch nicht verpflichtet gewesen, dem Antragsteller zur Begründung dieses Antrags das Wort zu erteilen, heißt es weiter. Im Übrigen gebiete der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl bei der Auszählung der Stimmen und der Ermittlung des Wahlergebnisses nicht die Zulassung von „Wahlbeobachtern“, die durch Wahlvorschlagsträger benannt werden.
Die Bundesversammlung 2012 setzte sich aus 1.240 Mitgliedern zusammen, darunter 620 Abgeordneten des Bundestages und 620 von den Volksvertretungen der Länder entsandten Mitgliedern. (vom/08.01.2015)