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Die Fraktionen des Deutschen Bundestages bewerten das von der EU-Kommission vorgelegte Arbeitsprogramm 2015 unterschiedlich. Das wurde während der Debatte am Donnerstag, 5. Februar 2015, deutlich. Während der Unionsabgeordnete Detlef Seif (CDU/CSU) der EU-Kommission attestierte, inhaltlich die richtigen Schwerpunkte gesetzt zu haben, vermisste Norbert Spinrath (SPD) die Ausrichtung auf ein „soziales Europa“. Dem Programm fehle die Idee des „green new deal“, bemängelte Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen). Von einer „Voodoo-Ökonomie“, die nicht funktionieren werde, sprach Alexander Ulrich (Die Linke).
Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission steht unter dem Motto: Neustart für Wachstum, Jobs und Investitionen. Geplant ist eine Investitionsoffensive für Europa, mit der in den nächsten drei Jahren öffentliche und private Investitionen im Umfang von mindestens 315 Milliarden Euro mobilisiert werden sollen.
Des Weiteren sind unter anderem erste Schritte auf dem Weg zu einer europäischen Energieunion und die Entwicklung eines neuen Konzepts für legale Migration geplant. Insgesamt enthält das Programm 23 Initiativen, bei denen sich die Kommission verbindlich verpflichtet, 2015 einen Vorschlag vorzulegen.
Von einem „sehr politischen und sehr pragmatischen“ Programm sprach Norbert Spinrath. Es sei richtig, sich von einem Sammelsurium von 180 Maßnahmepaketen auf wichtige Kernpunkte zu reduzieren, sagte der SPD-Abgeordnete. Gleichzeitig gebe es aber auch wichtige Themen, die die Menschen in Europa derzeit bewegten, die nur unzureichend abgebildet seien.
Daher muss aus Sicht Spinraths die Priorität bei der Ausrichtung des Arbeitsprogramms darauf gerichtet sein, das wachsenden Ungleichgewichte in und zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und das wachsende Lohndumping zu verhindern. Positiv zu bewerten sei, dass die Kommission offenbar verstanden habe, dass „neben einem Konsolidierungskurs auch Investitionen aufgelegt werden müssen“. Nachbesserungsbedarf bestehe hingegen bei der Schaffung einer menschenwürdigen, europäischen Flüchtlingspolitik.
Alexander Ulrich stellte die Situation in Griechenland in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Was in Griechenland passiert ist, sei eine Chance für ein soziales Europa, befand der Linke-Abgeordnete. „Diese Chance sollten wir nicht bekämpfen, sondern die griechische Regierung unterstützen, auf ihrem Weg, ein soziales Europa mitzugestalten“, forderte Ulrich.
Zugleich sprach er von einem Scheitern der „von Angela Merkel angeordneten Troika-Politik“. Ergebnis der Kürzungen seien Arbeitslosigkeit und Verarmung gewesen. Die Schulden des Landes seien indes weiter gestiegen. Dies zeige: „Nicht Griechenland ist der Geisterfahrer. Die deutsche Bundesregierung war jahrelang in Europa als Geisterfahrer unterwegs.“
Gebraucht werde nun ein Schuldenerlass für Griechenland, wie es ihn für Deutschland auch schon gegeben habe. Was die Investitionsplanungen der EU-Kommission angeht, so kritisierte Ulrich, damit würden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert. Das Vorhaben Jean-Claude Junckers, aus 21 Milliarden Euro öffentlicher Gelder 315 Milliarden Euro an privaten Investitionen zu erzielen, kritisierte er als „Voodoo-Ökonomie“.
Detlef Seif nannte es „clever“, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der Kommission eine neue Struktur gegeben habe. Richtig sei es auch, das Programm auf 23 neue Initiativen abzuspecken. „Das kann sich sehen lassen“, sagte der Unionsabgeordnete. Machten Juncker und sein Team so weiter, könnten sie sich auf eine hundertprozentige Unterstützung aus Deutschland verlassen, kündigte er an.
Seif ging auch auf die Planungen ein, aus 21 Milliarden Euro EU-Mitteln 315 Milliarden Euro an privaten Investitionen zu erreichen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass solch ein Hebel funktionieren könne, sagte er. Voraussetzung dafür sei aber ein gutes Investitionsklima in Europa.
Mit Blick auf Griechenland kritisierte Seif, dass Land sei in der Mitte der Reformen stecken geblieben. Forderungen nach einem Schuldenschnitt erteilte er eine Absage. Das sei zum einen nicht erforderlich und zum anderen politisch nicht durchsetzbar. Eine Krise, die durch billiges Geld produziert worden sei, könne man nicht dadurch lösen, „indem man noch mehr billiges Geld in die Märkte pumpt, ohne zugleich geeignete wirtschaftspolitische Konditionen mit aufzugeben“.
Alles was an dem neuen Programm positiv sei, habe die Bundesregierung versucht abzubremsen, urteilte Wolfgang Strengmann-Kuhn. Nach wie vor, so der Grünen-Abgeordnete, gebe es in Europa eine ökonomische Krise, die nicht allein eine durch billiges Geld verursachte Staatsschuldenkrise sei. Zusätzlich sei noch eine politische Krise zu erkennen.
„Wir haben Risse innerhalb der EU, weil viele Staaten nur noch nationale Interessen verfolgen, die Bundesregierung allen voran“, sagte Strengmann-Kuhn. Viele Bürger wendeten sich von der EU ab. „Deshalb ist die Frage nach einem sozialen Europa eine der Kernfragen, die aber ein bisschen dünn in dem Arbeitsprogramm beantwortet ist.“
Notwendig seien Visionen. „Wir nennen es den ,green new deal‘, was jetzt für Europa notwendig ist.“ Der Juncker-Plan, so der Grünen-Abgeordnete weiter, könne in der Tat eine Chance darstellen. „Aber nur dann, wenn es auch mehr öffentliche und zugleich zukunftsgerichtete Investitionen gibt“, schränkte er ein. (hau/05.02.2015)