Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der griechische Europaabgeordnete Georgios Kyrtsos (Nea Dimokratia) sieht keine Alternative zum Hilfsprogramm für Griechenland. Alexis Tsipras, der neue Premierminister des Landes, müsse „endlich die ökonomische Realität anerkennen“, fordert der Wirtschaftspolitiker in einem am Montag, 9. Februar 2015, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. „Sein bisheriger Kurs, die Konfrontation mit der EU und der Troika, ist sehr riskant, das führt nirgendwo hin“, warnt er. Nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, ab dem 11. Februar keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheiten für Zentralbankkredite zu akzeptieren, werde es für Tsipras zudem noch schwieriger, sein Wahlprogramm zu finanzieren. Das Interview im Wortlaut:
Herr Kyrtsos, nach dem Machtwechsel in Athen geht in Europa die Angst vor einer neuen Griechenland-Krise um. Wie ist die Stimmung im Europäischen Parlament?
Wir fragen uns alle, was nun als Nächstes passieren wird. Der Wahlsieg von Syriza in Griechenland ist ja kein isoliertes Phänomen, sondern Teil einer größeren Entwicklung. Wir finden uns in einer neuen europäischen Realität wieder, die vom Vormarsch der Populisten gekennzeichnet ist. Im linken Parteienspektrum haben wir zum Beispiel „Podemos“ in Spanien, im rechten Spektrum machen der Front National in Frankreich, Ukip in Großbritannien und die Goldene Morgenröte in Griechenland mobil. Zudem ist der neue griechische Premier Alexis Tsipras in Athen eine Koalition mit den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ eingegangen. Das ist eine doppelte Herausforderung für uns.
Kann Tsipras und seine Koalition Europa und die Währungsunion ernsthaft gefährden?
Nein, das glaube ich nicht. Bis vor Kurzem hat er noch einen Schuldenschnitt gefordert, bei seinem Besuch in Brüssel war davon schon keine Rede mehr. Tsipras ist im Begriff, seine Position zu ändern. Außerdem hat sich die Lage seit dem Höhepunkt der Eurokrise 2011 geändert. Griechenland kann heute nicht mehr wie ein Dominostein alles zum Einsturz bringen. Und Tsipras kann die anderen Euro-Staaten auch nicht erpressen. Denn Spanien und andere ehemalige Krisenländer können sich wieder günstig an den Märkten finanzieren. Nur in Griechenland liegt der Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen wieder bei über zehn Prozent.
Sie klingen ziemlich entspannt.
Nein, leider können wir uns nicht entspannt zurücklehnen. Denn der Realwirtschaft in Griechenland geht es schlecht, die Lage verschlimmert sich zusehends. Viele Griechen haben aufgehört, Steuern zu zahlen, und so ein Loch in das Staatsbudget gerissen. Zudem räumen sie ihr Geld von den Bankkonten. Tsipras muss daher seine Strategie dringend ändern und die EU-Regeln akzeptieren. Sein bisheriger Kurs, die Konfrontation mit der EU und der Troika, ist sehr riskant, das führt nirgendwo hin. Und dabei läuft ihm die Zeit davon, bis zu einer Lösung bleiben vielleicht noch zwei bis drei Wochen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Druck weiter erhöht und entschieden, dass sie ab 11. Februar keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheiten für Zentralbankkredite akzeptiert. Damit verliert Griechenland seine bisher wichtigste Finanzierungsquelle. Droht dort jetzt ein Bankensturm?
Die Hauptgefahr ist weniger ein Bank Run, sondern der schleichende Abzug von Bankeinlagen. Wir sind jetzt wieder unter dem Niveau von 2012, das macht mir Sorgen.
Hat die EZB die Krise also noch verschärft?
Sie hat nach den Regeln gehandelt. Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass EZB-Präsident Mario Draghi die Initiative übernehmen und Tsipras an die Spielregeln erinnern wird.
Aber Tsipras hat versprochen, die Regeln zu ändern. Dafür ist er schließlich gewählt worden.
Es ist nicht das erste Mal in Griechenland, dass eine Regierung nach der Wahl ihre Strategie ändern muss. In Wahrheit haben die Probleme doch schon in den Jahren 2000 bis 2009 begonnen. Die damaligen Regierungen haben den Griechen eine heile Welt vorgegaukelt.
Tsipras hat vergangene Woche in Brüssel für seine Politik geworben. Wie war Ihr Eindruck?
Ich habe ihn selbst nicht getroffen, aber ich teile die Position der meisten verantwortlichen EU-Politiker: Tsipras muss endlich die ökonomische Realität anerkennen. Nach der jüngsten EZB-Entscheidung wird es für Tsipras noch schwieriger, sein Wahlprogramm zu finanzieren. Natürlich kann er versuchen, mehr Steuern von den reichen Griechen einzutreiben. Er kann auch ein paar linke Akzente setzen, indem er entlassene Mitarbeiter im öffentlichen Dienst wieder einstellt und an ihrer Stelle andere Mitarbeiter feuert. Aber an dem Anpassungsprogramm, das mit Brüssel vereinbart wurde, kommt er nicht vorbei.
Sie selbst sind Mitglied der konservativen „Nea Dimokratia“, die in Griechenland lange die Regierung gestellt hat. Premier Antonis Samaras regierte seit Juni 2012. Warum haben sich die Griechen für einen Machtwechsel entschieden? Immerhin ist die griechische Wirtschaft in den Monaten zuvor erstmals wieder gewachsen, es gab also Grund zu vorsichtigem Optimismus.
Die Menschen waren die Politik von Samaras einfach leid. Seine Regierungszeit war alles andere als eine Erfolgsgeschichte, auch wenn er sie gerne so dargestellt hat. Wir haben wertvolle Zeit bei der Umsetzung der Spar- und Reformvorgaben verloren. Portugal und Irland haben es viel besser gemacht.
Auch Samaras hat den Griechen das Ende der Anpassungsprogramme und den Abzug der ungeliebten Troika versprochen. Nur hat ihm die Euro-Gruppe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sind die Europäer also Mitschuld am Debakel?
Nein, Samaras hat einen großen strategischen Fehler begangen: Er hat eine politische Lösung für ein wirtschaftliches Problem versprochen. Genau wie Tsipras. Sie macht denselben Fehler! Richtig wäre es gewesen - und das ist es auch heute -, das Anpassungsprogramm schnell umzusetzen, genau wie Portugal und Irland es erfolgreich getan haben. Dazu gibt es keine realistische Alternative.
Welche Rolle kann das Europaparlament bei der Lösung der Krise spielen? An den Entscheidungen der Eurogruppe sind die Abgeordneten ja nicht beteiligt.
Eine schwierige Frage. Die Lage ist durch den Aufstieg der Linken und Rechten ja nicht einfacher geworden. Ich denke, dass die gemäßigten Linken und die gemäßigten Rechten, Sozialdemokraten und Christdemokraten ihre Kräfte vereinen sollten, um Europa stabiler zu machen. Wir müssen dieser Herausforderung gemeinsam begegnen.
Der Erfolg populistischer Parteien ist ein Resultat der anhaltenden Wirtschaftskrise in Europa. Nach wie vor ist die Arbeitslosigkeit hoch, die EU-Kommission sagt für 2015 eine Deflation voraus. Was kann die EU tun, um Europa wieder zu mehr Wachstum zu verhelfen?
Bisher bestand die Strategie darin, mehr Geld in das System zu pumpen. Die neue EU-Kommission setzt mit ihrem Investitionsprogramm nun mehr auf private Investitionen und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Diese Maßnahmen brauchen Zeit, um zu wirken, aber am Ende werden wir es schaffen. Dass sie funktionieren, sehen Sie in Spanien und Irland, wo die Wirtschaft inzwischen wieder wächst.
In anderen großen Euroländern wie Italien und Frankreich ist das anders. In Frankreich etwa lag das Haushaltsdefizit 2014 bei 4,3 Prozent. Sollte die EU-Kommission Defizitsünder härter abstrafen?
Nein, die EU-Kommission sollte mit Frankreich flexibel umgehen. Sanktionen würden nur dem rechtsextremen Front National helfen. Wenn Paris weitere Reformen einleitet, sollte sich Brüssel um einen Kompromiss bemühen.
(eb/09.02.2015)