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Hans-Peter Bartels (SPD) leitet die Delegation bei der Interparlamentarischen Konferenz zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU in Riga © DBT/Nowak
Sanktionen und ökonomischer Druck sollen Moskau von seiner militärischen Eskalationspolitik im russisch-ukrainischen Konflikt abbringen: Dr. Hans-Peter Bartels (SPD), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und designierter Wehrbeauftragter, appelliert im Interview an die Parlamente der EU-Staaten, diese Brüsseler Politik mit Nachdruck zu unterstützen. Die EU lasse sich durch Putin nicht spalten. Die russisch-ukrainische Krise gehört zu den Schwerpunktthemen der Interparlamentarischen Konferenz zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU vom 4. bis 6. März 2015 im lettischen Riga. Bartels leitet die Delegation des Bundestages. Das Interview im Wortlaut:
Herr Dr. Bartels, Krisen wie der russisch-ukrainische Konflikt sind stets die Stunde der Regierungen, Parlamente haben dann meist nicht viel zu sagen. Kann denn die Interparlamentarische Konferenz auf die Politik Brüssels gegenüber Moskau und Kiew Einfluss nehmen?
Ich bin froh, dass sich die EU durch Putin nicht spalten lässt. Die EU-Sanktionen werden verlängert, der ökonomische Druck auf Moskau bleibt bestehen, bis Russland von seiner militärischen Eskalationspolitik ablässt und Entspannung eintritt. Darüber sollte auch ein Konsens unter den nationalen Parlamentsmehrheiten bestehen, die Parlamente sollten die Brüsseler Politik gegenüber Putin mit Nachdruck unterstützen. Es geht hier um die Einheit und Handlungsfähigkeit Europas.
Was erwarten Sie vom Auftritt der EU-"Außenministerin" Federica Mogherini in Riga? Welche Perspektiven zeichnen sich für die Außen- und Sicherheitspolitik Brüssels angesichts der Verwerfungen im Gefolge der russisch-ukrainischen Krise ab?
Frau Mogherini hat uns im Bundestag schon Rede und Antwort gestanden, und ich glaube erkannt zu haben, dass sie einen Neustart der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik will, die bisher das schwächste Glied der EU-Politik ist. Aber gerade angesichts der neuen Lage brauchen wir mehr "Union" bei der Verteidigung, die bei der EU und bei der Nato einen neuen Stellenwert bekommt. Sehr effektiv sind wir da im Augenblick nicht.
Das Europaratsparlament hat die gegen Moskau verhängten Sanktionen wie den Entzug des Stimmrechts für die Duma-Delegation verlängert. Sollen das EU- Abgeordnetenhaus und die Parlamente der EU-Staaten gegenüber Moskau ebenfalls auf Konfrontationskurs gehen?
Der Europarat weiß, was er tut. Wobei mir in Russland das Parlament nicht gerade das Zentrum der politischen Willensbildung zu sein scheint. Und manche internationalen Auftritte russischer Abgeordneter und Diplomaten, etwa bei der Münchner Sicherheitskonferenz, lassen einen nur noch traurig den Kopf schütteln.
Welche Konsequenzen hat die Krise zwischen Moskau und Kiew für die Politik der östlichen Partnerschaft der EU? Soll man die Annäherung Moldawiens, Georgiens und der Ukraine an Brüssel bremsen?
Die EU verhandelt nicht über "Einflusssphären" anderer Staaten! Jedes Land hat das Recht, seinen eigenen Weg zu gehen und frei über seine Zugehörigkeit zu Bündnissen und internationalen Organisationen zu entscheiden. Im Übrigen geht es gar nicht um ein Entweder-oder zwischen der EU und Russland. Auch Moskau kann von den Partnerschaften seiner Nachbarn mit der EU profitieren, ökonomisch und politisch.
In Riga soll über eine bessere Kooperation zwischen EU und Nato diskutiert werden. Muss eine solche Annäherung den Kreml nicht provozieren? Eine engere Verzahnung zwischen Brüssel und der Nato würde doch mit jeder Ausdehnung des EU-Einflusses im Osten auch die Nato näher an Russland heranrücken.
Näher heranrücken? Für russische Platzangst habe ich null Verständnis! Weißrussland und die Ukraine gehören weder der EU noch der Nato an, so schmerzlich das für Kiew im Augenblick auch ist. Gleiches gilt für Moldawien und Georgien. Bleiben als Nato- und EU-Mitglieder in Russlands Nachbarschaft die drei baltischen Staaten, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt an die Sowjetunion gefallen waren. Von deren Militärmacht fühlt Moskau sich nun akut bedroht? Absurd! Aber andersherum gibt es dort nach der russischen Ukraine-Intervention durchaus ein Bedrohungsgefühl. Da sind Nato und EU als Sicherheitsbündnis gefordert. Kooperation der Brüsseler Institutionen ist dabei ein Gebot der Sicherheit und Effizienz.
Droht die Ostukraine zu einem "eingefrorenen" Konflikt zu werden? Bekäme Putin so einen Hebel in die Hand, um bei Bedarf Spannungen anzuheizen? Oder ist ein "eingefrorener" Konflikt das geringere Übel? Könnte dann die internationale Politik wieder zur Tagesordnung übergehen?
Wir werden vermutlich noch sehr lange nicht zur Tagesordnung übergehen können. Ich habe nach den Erfahrungen des unkalkulierbaren letzten Jahres keine Prognose für den Konflikt. Hoffentlich erleben wir keine neue längere Eiszeit. Aber es kann schon sein, dass es Putin gefällt, auf Dauer eine Art Gegenpol zum Westen darzustellen - egal was der Westen tut.
(kos/27.02.2015)