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Die von der Bundesregierung geplante Regelung zur Entlastung freiberuflicher Hebammen von den stark steigenden Beiträgen zur Berufshaftpflicht wird von Experten kritisch gesehen. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Rudolf Henke (CDU/CSU) am Mittwoch, 25. März 2015, und in ihren schriftlichen Stellungnahmen stellten Sachverständige klar, dass mit dem Regressverzicht der Kranken- und Pflegekassen nicht automatisch die Beiträge zur Berufshaftpflicht sinken. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) argumentiert zudem, dass laut Gesetzentwurf ein Regressanspruch nur bei vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten Schäden geltend gemacht werden kann. Eine allgemein verbindliche Definition für grobe Fahrlässigkeit gebe es aber nicht. Das erschwere die Schadensregulierung und werde zu vermehrten Prozessen und Kosten führen.
Zudem sei damit zu rechnen, dass die Kranken- und Pflegekassen grobe Behandlungsfehler als grobe Fahrlässigkeit auslegen werden. Hier sei Streit vorprogrammiert. Der Regressausschluss müsse daher weiter gefasst werden. Eine große Entlastungswirkung werde die Gesetzesänderung in der jetzigen Fassung nicht bringen, allenfalls fünf bis zehn Prozent. Die Versicherer regen ferner an, ein Fehlerregister anzulegen, um Schulungen für Hebammen darauf abzustellen. Es gebe nur wenige schwere Fälle, die aber sehr kostenintensiv seien.
Sprecherinnen der Hebammenverbände machten erneut auf die äußerst angespannte Lage in ihrer Branche aufmerksam. Es gebe kaum noch Unternehmen, die Hebammen in der Geburtshilfe überhaupt versichern wollten. Es handele sich um eine kleine Gruppe von freiberuflichen Hebammen mit wenig Einkommen und wenig Spielraum für betriebliche Kosten. Hebammen zu versichern, sei für Versicherungen zunehmend unwirtschaftlich, weil die Regulierungskosten in den wenigen Großschadensfällen immer weiter stiegen. Für die Geburtshelferinnen gebe es kaum noch Sicherheiten. Es seien große strukturelle Veränderungen nötig, um die flächendeckende Geburtshilfe in Deutschland zu sichern.
Eine Verbandsvertreterin beschrieb "katastrophale Zustände" in einigen völlig überlasteten Kreißsälen. So gebe es immer weniger Kliniken mit Geburtshilfe. Es werde eine schnelle Lösung gebraucht für den Berufsstand, sonst gingen Hebammen und ihr Wissen aus der Geburtshilfe verloren.
Die Bundesärztekammer (BÄK) gab in ihrer Stellungnahme zu Bedenken, mit der Sonderhaftungsreglung für freiberufliche Hebammen blieben die ebenfalls in der Geburtshilfe tätigen Belegärzte und Kliniken mit Geburtsabteilung unberücksichtigt. Hier müsste dann zwingend eine vergleichbare Regelung greifen. Die Ärztekammer schlug vor, das Haftungsrisiko für alle in diesem Feld tätigen Berufsgruppen durch die Einrichtung eines Staatshaftungsfonds abzusichern.
Der BKK Dachverband erklärte, mit dem Regressverzicht lasse sich das Ziel, die Haftpflichtprämien zu senken und den Versicherungsmarkt wieder zu beleben, dauerhaft nicht erreichen. Darüber hinaus bewirke die Regelung eine Ungleichbehandlung von angestellten und freiberuflichen Hebammen und werfe damit verfassungsrechtliche Fragen auf. Für Krankenhäuser bestünde sogar ein Anreiz, angestellte Hebammen aus Kostengründen in die Freiberuflichkeit zu drängen.
Die rund 3.500 freiberuflichen Hebammen in der Geburtshilfe klagen über exorbitant steigende Beiträge zur Haftpflichtversicherung. 2014 hatte eine Versicherung angekündigt, sich im Sommer 2015 aus dem Geschäft mit Hebammen zurückzuziehen. Es bestand die Gefahr, dass Hebammen sich in Kürze überhaupt nicht mehr versichern könnten, weil es keine Anbieter mehr gibt. Der Regierung gelang es aber, ein neues Angebot der Versicherer zu erwirken.
Damit kann der Gruppenhaftpflichtvertrag des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) zunächst bis zum Sommer 2016 weitergeführt werden. DHV und der Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) hatten unterschiedliche Gruppenverträge abgeschlossen. Der Vertrag des BfHD endet bereits im Sommer 2015. Ab Juli 2015 liegt der Beitragssatz für Hebammen in der Geburtshilfe nach Angaben des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) bei rund 6.300 Euro im Jahr.
Um die ständigen Beitragssatzsteigerungen abzufedern, hatte die Regierung bereits 2014 einen dauerhaften gesetzlichen ,,Sicherstellungszuschlag" beschlossen. Die Zahl der Schadensfälle in der Geburtshilfe ist relativ gering, aber durch die gestiegene Lebenserwartung geschädigter Kinder gehen die Schadenssummen in die Millionen. Entsprechend hoch sind die Regressforderungen seitens der Sozialversicherungen an die Haftpflichtversicherer.
Der Anhörung lagen Anträge der Fraktionen Die Linke (18/1483) und Bündnis 90/Die Grünen (18/850) zugrunde. Die Linksfraktion fordert einen gemeinsamen Haftungsfonds für alle, die im Gesundheitswesen Leistungen erbringen. Dann würde sich nach ihrer Einschätzung das Risiko auf viele Schultern verteilen und alle zahlten niedrige Prämien.
Auch die Grünen setzen sich für ein Hilfspaket ein und verlangen Lösungen, die kurzfristig, mittelfristig und langfristig greifen. Mittelfristig müssten die Kosten der Berufshaftpflicht gesenkt werden, etwa durch einen Haftungsfonds oder Regressbeschränkungen. (pk/25.03.2015)