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Sexualkunde ist in Deutschland ein Pflichtfach. In Rumänien aber nicht. Dies zu ändern ist das Ziel von Adriana Radu. Die Rumänin hat dazu ein unter www.sexulvsbarza.ro zu findendes Online-Video-Projekt auf die Beine gestellt, das inzwischen den Status einer Nichtregierungsorganisation (NGO) hat. Sexul vs. Barza – zu Deutsch „Sex vs. Storch“ sei ein Projekt zu „sexuellen Aufklärungsthemen“ und dabei „immer feministisch“, sagt Adriana Radu.
Mit Feminismus, so die studierte Germanistin und Literaturwissenschaftlerin, habe sie sich schon sehr lange beschäftigt. „Das hat mir geholfen, mich überhaupt politisch zu interessieren“, sagt sie. Ihr politisches Interesse hat sie nun in den Deutschen Bundestag gebracht. Die 25-Jährige absolviert noch bis Ende Juli ein Praktikum im Rahmen des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) im Büro der Linke-Abgeordneten Karin Binder.
Adriana Radu hat auch eine klare Vorstellung davon, was ihr die Teilnahme am dem Programm bringen soll. „Ich will lernen, wie Lobbyarbeit funktioniert“, sagt sie. Ihre NGO und auch andere Organisationen wünschten sich, dass es auch an rumänischen Schulen sexuelle Aufklärung als Pflichtfach gibt. „Noch habe ich aber keinen Weg gefunden, die Dinge dahingehend zu beeinflussen, dass es auch dazu kommt“, erläutert die Rumänin.
Mit dem Thema „sexuelle Aufklärung“ ist Adriana Radu erstmals an einer Schule in Karlsruhe in Kontakt gekommen, „wo ich ein Jahr als Sprachassistentin gearbeitet habe“. Es sei für sie sehr interessant gewesen, zu sehen, „was dieses Schulfach mit den Kindern macht“. In Rumänien gebe es so ein Schulangebot bedauerlicherweise nicht. „Es gibt an einigen Schulen das Wahlfach Gesundheitliche Aufklärung, bei dem es auch teilweise um sexuelle Aufklärung geht“, sagt sie. Ein Wahlfach aber eben, für das sich Eltern oder Schüler aktiv anmelden müssten. Ein unbefriedigender Zustand, wie Adriana Radu findet.
Was die Folgen fehlender sexueller Aufklärung angeht, so benennt die 25-Jährige zum einen die eher geringe Kenntnis über Verhütungsmöglichkeiten. Eine sich auf das Jahr 2010 beziehende Studie zeige, „dass bei uns mehr als 60 Prozent der sexuell aktiven Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren keine Verhütungsmittel verwendet haben“. Mit dem Ergebnis, dass in ihrem Heimatland die Zahl sehr junger schwangerer Frauen deutlich über der in mittel- und westeuropäischen Staaten wie Frankreich, Deutschland oder Holland liege.
„In Rumänien lag die Schwangerschaftsquote bei 15- bis 19-jährigen Mädchen 2010 bei drei Prozent“, sagt Adriana Radu. Zum Vergleich führt sie an: In Ländern mit sexueller Aufklärung in den Schulen habe die Quote bei fünf Promille (Holland), neun Promille (Deutschland) sowie einem Prozent (Frankreich) gelegen.
Es gibt aber noch ein anderes Problem: „Durch mangelnde sexuelle Aufklärung entwickeln sich auch bestimmte Geschlechterrollen, die sich später in der Gesellschaft wiederspiegeln und dazu führen, dass es festgelegte Rollenbilder für Frauen und Männer in Rumänien gibt“. Dazu kämen noch „ganz starke Vorbehalte“ gegenüber sexuellen Minderheiten. „Laut einer Studie lehnten es 50 Prozent der Rumänen ab, mit Schwulen oder Lesben an einem Tisch zu sitzen. Das finde ich schlimm“, macht Adriana Radu deutlich.
Aber wie ist es aus Ihrer Sicht mit Frauenrechten und der Diskriminierung von Schwulen und Lesben in Deutschland bestellt? „Alles perfekt ist auch in Deutschland nicht, sonst gebe es nicht am 8. März zum Frauentag so viele Demonstrationen“, sagt sie.
Was ihr Projekt angeht, so geht Adriana Radu nach dem Motto „think big“ vor. Sexul vs. Barza, so ihre Zielstellung, solle irgendwann zur Alltagskultur von Jugendlichen gehören „wie heute die Bravo“. Ein ehrgeiziger Ansatz, aber die NGO-Leiterin sieht sich auf einem guten Weg. „In Rumänien hat man sehr viel Platz, solche Sachen zu machen, weil es noch nicht so viel davon gibt. Deshalb glaube ich schon, dass das Projekt sehr bekannt und erfolgreich werden kann“, sagt sie.
Angefangen hat alles mit einem gewonnenen Wettbewerb. Als eine von drei Siegerinnen beim Projektwettbewerb „ReStart Romania“ erhielt sie 2012 die erste Finanzierung, um das Projekt zu starten. Eröffnet wurde die Seite dann im April 2013. „Ich bin dabei nicht allein. Bei den Videos hilft mir eine Kollegin, die Moving-Image studiert hat. Und eine Lehrerin schaut sich das Ganze vom pädagogischen Standpunkt aus an“, sagt die Chefin.
Wer sich für Feminismus engagiert und Projekte zur sexuellen Aufklärung startet hat natürlich nicht nur Freunde. Oder? „Widerstände gab es von Anfang an und gibt es auch heute noch“, sagt Adriana Radu und setzt hinzu: „Inzwischen habe ich aber ein recht dickes Fell.“ Das war nicht immer so. „Anfangs hatte ich Angst“, räumt sie ein.
Schon bei dem ersten Event, das sogar im rumänischen Parlament stattgefunden hatte, seien Rechtsradikale dabei gewesen. „Es passiert immer wieder, dass die unsere Veranstaltungen versuchen zu sabotieren.“ Zugleich sei sie im Internet beschimpft und auch bei der Polizei angezeigt worden, „weil wir angeblich Kindern pornografische Filme zeigen würden“.
Diese Angriffe kämen vor allem von denjenigen, „die die sogenannten traditionellen Familienwerte hochhalten“. Auch die orthodoxe Kirche unterstütze die Stimmung gegen das Projekt. Die Widerstände hätten aber auch mit Nationalismus und Antisemitismus zu tun. „In Rumänien wurden der Holocaust und der rumänische Beitrag dazu nie aufgearbeitet“, kritisiert Adriana Radu.
Eine politische Partei, bei der sich die Feministin wiederfinden könnte, gebe es in Rumänien nicht, sagt sie. Hier, im Deutschen Bundestag, habe sie hingegen schon nach kurzer Zeit bei einer innerparteilichen Veranstaltung der Linksfraktion anlässlich des Frauentages gemerkt, „dass wir beim Thema Frauenrechte eine Sprache sprechen“.
Eine Sprache – nämlich Deutsch – sprechen ja auch die 116 Stipendiaten aus 35 Ländern, mit denen Adriana Radu das IPS absolviert. Die meisten Freunde, so erzählt die Rumänin, habe sie im Kreise derjenigen gefunden, die sich in ihren Heimatländern ebenfalls politisch engagieren würden.
„Mit vier weiteren Stipendiatinnen habe ich den ,Politischen Club im IPS‘ gegründet“, erzählt sie. Ziel der Übung: „Wir wollen uns gegenseitig kennenlernen. Dazu versuchen wir drei Fragen zu beantworten: Wer bist du? Wie engagierst du dich politisch in deinem Land? Was passiert gerade in deinem Land?“
Beim ersten Treffen, zu dem immerhin 30 IPSler kamen, hätten Teilnehmer aus Ägypten und aus der Ukraine über die Erfahrungen mit der dortigen Revolution berichtet. „Wir sind weder Experten, noch stehen wir stellvertretend für unsere Staaten. Aber wir wollen miteinander reden und voneinander lernen. Das wünsche ich mir für den Politischen Club aber auch für das IPS allgemein“, sagt sie. (hau/07.04.2014)