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Die von der Bundesregierung geplante Verfassungsschutzreform stößt bei der Opposition im Bundestag auf scharfe Kritik. Vertreter der schwarz-roten Koalition verteidigten dagegen am Freitag, 24. April 2015, bei der ersten Lesung des entsprechenden Gesetzentwurfes (18/4654) im Parlament das Regierungsvorhaben. Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) nannte als zentrale Ziele der Vorlage eine Stärkung des Verbundes der Verfassungsschutzbehörden sowie der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), eine Verbesserung des Informationsflusses, den „Ausbau der Analysefähigkeit“ und „Klarheit beim Einsatz von V-Leuten“. Mit dem Entwurf sollen auch Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umgesetzt werden.
Der Vorlage zufolge soll das BfV die Landesämter für Verfassungsschutz unterstützen, die Zusammenarbeit koordinieren und in bestimmten Fällen nötigenfalls selbst in die Beobachtung eintreten. Alle relevanten Informationen sollen zwischen den Verfassungsschutzbehörden ausgetauscht werden müssen. Mit der Zusammenführung dieser Informationen im „Nachrichtendienstlichen Informationssystem“ (Nadis) sollen länderübergreifende Beziehungen und Strukturen besser erkennbar werden.
Zudem soll ein gesetzlicher Rahmen für den Einsatz von V-Leuten durch das BfV gesetzt werden. Danach darf beispielsweise nicht als V-Mann angeworben werden, wer minderjährig ist. Auch sollen Kriterien für zulässiges „szenetypisches Verhalten“ wie etwa das Zeigen des „Hitlergrußes“ festgeschrieben werden. Eingriffe in Individualrechte wie etwa Sachbeschädigungen durch V-Leute sollen unzulässig sein. Ferner sollen sie keine strafbaren Vereinigungen gründen oder steuern dürfen, aber dort Mitglied sein, um sie von innen aufzuklären.
Dem Parlament lag zugleich ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/4682) vor, das BfV in seiner jetzigen Form aufzulösen und in eine „Koordinierungsstelle des Bundes zur Dokumentation neonazistischer, rassistischer und antisemitischer Einstellungen und Bestrebungen sowie sonstiger Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ umzuwandeln. Zugleich soll die Regierung der Vorlage zufolge einen Gesetzentwurf vorlegen, um eine „Bundesstiftung zur Beobachtung, Erforschung und Aufklärung der Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ einzurichten.
In einem weiteren Antrag (18/4690) fordert auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Auflösung des BfV in seiner derzeitigen Form. An seine Stelle soll nach den Vorstellungen der Grünen-Fraktion eine „neue ,Inlandsaufklärung‘ mit einem verkleinerten Personalstab und neuem demokratischen Selbstverständnis sowie klar eingegrenzten Befugnissen“ treten. Ihre Aufgaben sollen sich laut Antrag auf die Spionageabwehr und die „Aufklärung genau bestimmter gewaltgeneigter Bestrebungen“ konzentrieren.
In der Debatte wies de Maizière die Forderungen nach einer Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden als „falsch“ zurück. Dies würde die Sicherheit der Bürger im Lande „schädigen“. Auch die aktuelle Bedrohungslage unterstreiche die Bedeutung des Verfassungsschutzes für den Rechtsstaat. „Der Verfassungsschutz ist und bleibt ein wichtiger Teil unserer Sicherheitsarchitektur“, betonte der Ressortchef. Gerade deshalb müsse er sich fortentwickeln und „zukunftsorientiert aufstellen“. Dies habe auch die „Aufklärungsarbeit zum terroristischen NSU“ aufgezeigt. Mit dem Gesetzentwurf werde der bereits eingeleitete Reformprozess nun auch legislativ umgesetzt.
Der Minister wandte sich zugleich gegen Kritik mancher Bundesländer an der geplanten Befugnis des BfV, “bei lediglich regionalen, aber gewaltorientierten Bestrebungen im Benehmen mit dem Land selbst in die Beobachtung“ einzutreten. Dies sei Gegenstand eines Kompromisses, der zum Teil mit den Ressortchefs geschlossen worden sei, „die das anschließend kritisiert haben“, sagte de Maizière. Dabei verdränge die Regelung nicht die Länderzuständigkeit, sondern habe eine „Auffangfunktion“. De Maizière verteidigte zudem den Einsatz von V-Leuten. Sie seien für jeden Nachrichtendienst „ein unverzichtbares Aufklärungsmittel“.
Für Die Linke kritisierte dagegen ihre Abgeordnete Petra Pau, nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung dürften „Nazis, die sich schwerer Verbrechen gegen Leib und Leben schuldig gemacht haben“, lediglich „in aller Regel“ nicht mehr als V-Leute angeworben werden. Diese Formulierung bedeute, dass es Ausnahmen gebe, etwa wenn das Informationsinteresse der Verfassungsschutzämter schwerer wiege als die Straftaten von Nazis.
Pau wies zugleich Kritik am Beschluss der rot-rot-grünen Landesregierung von Thüringen zurück, dem zufolge „die V-Leute-Praxis (…) radikal heruntergefahren werden“ soll. Wer eine Praxis beende, „die Nazis verharmlost und letztlich stärkt, handelt rechtsstaatlich und humanistisch“, sagte Pau.
Der Grünen-Parlamentarier Dr. Konstantin von Notz warf de Maizière vor, keinen Vorschlag zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste vorzulegen. Auch fehle eine „Idee, wie man im digitalen Zeitalter nachrichtendienstliche Aufklärung und Bürgerrechte besser vereinbaren kann“. Stattdessen stocke der Ressortchef „massenhaft Stellen auf“ und wolle die „hochproblematische V-Leute-Praxis einfach legalisieren und ausbauen“.
Als Konsequenz aus dem NSU-Skandal sei eine Zäsur beim Bundesamt für Verfassungsschutz notwendig, das „vollkommen neu durchsortiert werden“ müsse. Auch müsse die „bisherige V-Leute-Praxis mit all ihren Skandalen“ ein Ende haben. Der Staat dürfe weder „überzeugte Nationalsozialisten beschäftigen und finanzieren“ noch mit „schweren Straftätern vertrauensvoll zusammenarbeiten“.
Der SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka warnte vor einem völligen Verzicht auf V-Leute. Wer dies wolle, nehme in Kauf, dass militante Gruppierungen ungestört Anschläge planen können, ohne dass der Staat die Chance habe, sie dabei zu stören. Der Staat dürfe sich „nicht vollkommen taub und blind machen, wenn es um feige Morde und Anschläge geht“, mahnte Lischka. Es dürfe aber keine Zusammenarbeit mit vorbestraften Schwerstkriminellen geben.
Der SPD-Parlamentarier wertete den Gesetzentwurf als „nicht unwesentlichen Baustein“, um die „richtigen Lehren aus dem NSU-Desaster zu ziehen“. Das „Neben- und Gegeneinander der Verfassungsschützer, das wir da erlebt haben“, gefährde die innere Sicherheit. „16 Schlapphutprovinzen, die alle vor sich hin werkeln“, könne man sich nicht leisten. Gerade föderale Strukturen verlangten beim Antiterrorkampf klare Führung und Verantwortung sowie einen schnellen Daten- und Informationsaustausch.
Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer betonte ebenfalls, dass V-Leute notwendig seien. „Die Arbeit ist ohne V-Leute nicht möglich“, auch wenn man es dabei nicht mit „angenehmen Zeitgenossen“ zu tun habe, sagte Mayer. Er wies zugleich Bedenken auf Seiten der Bundesländer gegenüber dem Gesetzentwurf als unbegründet zurück.
Das Gesetz werde „nicht gegen die Länder gemacht, sondern es wird für die Länder gemacht“, sagte der CSU-Parlamentarier. Mit der Stärkung der Zentralstellenfunktion des BfV sei keine Schwächung der Landesämter für Verfassungsschutz verbunden. Vielmehr profitierten diese von einem starken Bundesamt. (sto/24.04.2015)