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In der Debatte zum Berufsbildungsbericht 2015 haben Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen der Bundesregierung aufgrund ihrer Darstellung der Situation auf dem Ausbildungsmarkt „Schönfärberei“ vorgeworfen. Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) sei „entweder ahnungs- oder verantwortungslos“. Die Vertreter der Großen Koalition dagegen betonten die politischen Erfolge beim Versuch, möglichst jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu verschaffen.
Der Debatte lagen der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD „Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken - Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen“ (18/4928) und der Berufsbildungsbericht 2015 der Bundesregierung (18/4680), ein Antrag der Linken „Ausbildungsqualität sichern - Gute Ausbildung für alle schaffen“ (18/4931) und ein Antrag der Grünen „Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen“ (18/4938) zugrunde.
Bundesbildungsministerin Wanka sagte, der Bericht zeige, „dass sich aus Sicht der Jugendlichen die Situation weiter verbessert hat“. Auf hundert Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, kämen nach jüngsten Zahlen 103 Angebote an Ausbildungsplätzen. Dieses „Passungsproblem“ sei allerdings sehr komplex und nicht leicht zu lösen. Die Ministerin kündigte an, die Bundesregierung werde in wenigen Wochen eine Ausschreibung für ein spezielles Programm starten, das die Ausbildungsbereitschaft der kleinen und kleinsten Betriebe erhöhen solle.
Von den 250.000 jungen Menschen im sogenannten Übergangssystem nutze mindestens ein Drittel die Chance, einen Abschluss nachzuholen. Ein bislang nicht ausgeschöpftes Potenzial sind nach Meinung Wankas Jugendliche mit Migrationshintergrund. „Wir müssen dort vor allem werben, informieren“, sagte die Ministerin. Zielgruppen seien die Jugendlichen selbst, deren Eltern sowie Betriebe, die von Menschen mit Migrationshintergrund geleitet würden. Die große Koalition wolle Menschen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren, die keinen Abschluss haben, eine zweite Chance geben. „Das kostet richtig viel Geld, das muss gemacht werden“, meinte Wanka.
Viel entscheidender sei aber, dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen nicht mehr in diese Lage kommen: „Prävention statt Reparatur, das muss unsere Zielstellung sein.“ Als Defizit bezeichnete es die CDU-Politikerin, dass die Chance zum Studium mit beruflicher Qualifikation noch zu wenig genutzt werde. „Die Zahlen sind minimal“, sagte sie: „Wir müssen mehr machen, wir müssen die Hürden in den Gesetzen noch einmal diskutieren.“
Dr. Rosemarie Hein, Obfrau der Linksfraktion im Bildungsausschuss, warf der Ministerin vor, sie spreche von „leichten Verbesserungen“ auf dem Ausbildungsmarkt für Jugendliche, obwohl sie wieder einen Rückgang bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen konstatieren müsse. „Ich finde, das ist Schönfärberei“, sagte die Bundestagsabgeordnete. Insgesamt hätten sich 81.000 junge Menschen erfolglos um einen Ausbildungsplatz beworben. Auch sei es „eine Katastrophe“, dass insgesamt eine Viertelmillion junger Menschen in schulischen Ausbildungen geparkt werde.
Hein kritisierte, dass die Wirtschaft zwar immer wieder Versprechungen mache, tatsächlich aber zu wenige Ausbildungsplätze zur Verfügung stelle: „Selbstverpflichtungen der Wirtschaft hatten wir in den letzten Jahren wahrlich genug, sie haben nichts geholfen.“ Zudem müsse die Ausbildungsqualität auch durch gesetzliche Vorgaben verbessert und künftig im Berufsbildungsbericht thematisiert werden.
Willi Brase von der SPD-Fraktion warf Hein vor, ihre Darstellung stimme „in Teilen nicht mit der Realität überein“. Gleiche Bildungschancen bezeichnete der Abgeordnete als zentrales Ziel: „Für uns ist der Aufstieg für alle, egal, wo sie herkommen, ein absolutes Muss, und davon gehen wir auch nicht einen Millimeter runter.“ Jeder Mensch müsse die Chance erhalten, den Weg zu gehen, den er gehen wolle.
Die Durchlässigkeit des Bildungssystems sei „der absolut richtige Weg“, um die Stärke des Industriestandortes Deutschland zu erhalten und gleichzeitig jungen Menschen eine gute Ausbildung anzubieten“. Entschieden wandte sich der Redner gegen Pläne aus der Wirtschaft, im dualen System zertifizierte Teilqualifikationen einzuführen. „Mit der SPD wird es eine solche Modularisierung der dualen Berufsausbildung nicht geben“, sagte er.
Beate Walter-Rosenheimer von Bündnis 90/Die Grünen sagte an die Adresse der Ministerin, es sei „irgendwie Unsinn“, wenn diese behaupte, es gebe auf dem Ausbildungsmarkt nun mehr unbesetzte Plätze als Bewerber. Eine Viertelmillion junger Menschen sei bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz in diesem Jahr leer ausgegangen und lande im sogenannten Übergangssystem, während die Wirtschaft über Fachkräftemangel klage. „Wer all diese Menschen als versorgt bezeichnet, der ist entweder ahnungslos oder verantwortungslos“, meinte die Abgeordnete.
Die Koalition habe ihr Versprechen einer Ausbildungsgarantie aus dem Koalitionsvertrag nicht gehalten. „Wo ist sie denn, die Ausbildungsgarantie, wir haben sie nicht gefunden“, rief sie. Es sei zudem mehr Unterstützung notwendig, wenn die Koalition die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung durchsetzen wolle.
Michael Kretschmer (CDU/CSU) nannte den Bericht eine wichtige Handlungsanleitung. „Ich vertraue diesem Bericht viel mehr als manchem Ratschlag, der von außen kommt“, sagte der Bundestagsabgeordnete mit Blick auf Empfehlungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: „Es ist richtig, dass wir daran festhalten, was Deutschland stark gemacht hat, und es weiter ausbauen.“
Ähnlich wie der Koalitionspartner erklärte der CDU-Abgeordnete, die Koalition werde „die Modularisierung der Berufsbildung nicht so weit vorantreiben, wie manche das fordern“. Einer einseitigen Ausrichtung auf Hochschulbildung erteilte Kretschmer eine Absage. „Wir müssen das Bild zurechtrücken, das nur das Studium einen vernünftigen Job und ein vernünftiges Einkommen garantiert.“ Im Gegensatz zur Opposition kam der Bundestagsabgeordnete zu dem Schluss, die Politik in Deutschland kümmere sich „ganz verantwortungsvoll“ um Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. (rol/21.05.2015)