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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat kurz vor dem Gipfeltreffen der EU mit den sechs osteuropäischen Partnerländern in der lettischen Hauptstadt Riga Erwartungen der Ukraine und Georgiens auf einen EU-Beitritt gedämpft. Die 2009 ins Leben gerufene „Östliche Partnerschaft“ sei „kein Instrument der Erweiterungspolitik der EU“, stellte sie am Donnerstag, 21. Mai 2015, in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag klar. „Wir dürfen keine falschen Erwartungen wecken, die wir dann später nicht erfüllen können.“ Auch Visaerleichterungen seien nur möglich, „wenn dafür alle Voraussetzungen erfüllt sind“. Vor Jahresende werde darüber noch keine Entscheidung fallen, erklärte die Kanzlerin in der rund zweistündigen Debatte.
Zugleich sicherte Merkel zu, dass die EU die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Georgien, Moldau, Weißrussland, Armenien und Aserbaidschan in ihrer Entwicklung hin zu demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaften weiterhin unterstützen werde.
Die mit Georgien, der Ukraine und Moldau abgeschlossenen Assoziierungsabkommen würden bis zum endgültigen Inkrafttreten nach vollständiger Ratifikation durch alle EU-Mitgliedstaaten bereits seit Herbst vorläufig angewandt und gäben „wichtige Impulse für den innenpolitischen Reformprozess“. Jedoch seien noch „erhebliche Anstrengungen“ erforderlich, etwa beim Kampf gegen die Korruption und der Stärkung des Justizwesens.
Die Östliche Partnerschaft richte sich „gegen niemanden“, versicherte Merkel, „insbesondere nicht gegen Russland“. Die Annäherung der Partnerländer an die Europäische Union einerseits und der Wunsch Russlands nach einer engeren Kooperation mit diesen Ländern andererseits stünden in keinem Widerspruch. Die Europäische Union sei deshalb auch bereit, mit Russland über Sorgen, etwa beim Thema Handel, zu reden. Es bleibe jedoch die souveräne Entscheidung der Staaten, wenn sie sich an die EU annähern wollten, machte sie klar. „Niemand hat das Recht, ihnen diesen selbstgewählten Weg zu verstellen.“
Das bekräftigte auch Unionsfraktionschef Volker Kauder: „Es geht nicht darum, dass wir unseren Willen durchsetzen wollen.“ Die Länder sollten selbstbestimmt entscheiden, was sie wollen. Es sei daher wichtig, deutlich zu machen, „dass wir keinen Alleinvertretungsanspruch haben“. Ziel der Östlichen Partnerschaft sei es, in diesem Teil Europas für eine bessere Entwicklung zu sorgen, betonte Kauder.
Merkel stellte jedoch auch klar, dass Europa „ein Denken in Einflusssphären“ nicht hinnehme. Daher werde auch der Gipfel der führenden Industrienationen am 7. und 8. Juni im bayrischen Elmau wie bereits im vergangenen Jahren im Format der G7, also ohne Russland, stattfinden. „Die G7 ist eine Gemeinschaft der Werte“, verteidigte Merkel den Ausschluss Moskaus. „Dazu gehört, dass wir das Völkerrecht und die territoriale Integrität der Staaten achten.“ Solange Russland seine bestehende Haltung gegenüber der Ukraine nicht ändere, sei eine Rückkehr zum Format der G8 „nicht vorstellbar“.
Linke-Fraktionschef Dr. Gregor Gysi kritisierte diese Haltung. „Warum hatten Sie nicht den Mumm, Putin einzuladen?“, fragte er die Kanzlerin. Russland könne als Atommacht und Vetomacht im UN-Sicherheitsrat nicht isoliert werden. Zwar sei Kritik am russischen Präsidenten und seiner Regierung notwendig.
„Doch eine Deeskalation und eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland liegen im Interesse ganz Europas.“ Zu einer Friedenspolitik gehöre auch, die östlichen Partnerstaaten nicht zu einem Entweder-oder zu zwingen. Sie seien auf gute Beziehungen zur Europäischen Union wie auch zu Russland angewiesen.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bezeichnete den Ausschluss Russlands aus der Runde der führenden Industrienationen als „bedauerlich, aber unvermeidlich“. Putin habe die europäische Friedensordnung infrage gestellt: „Da können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Gleichwohl könne Europa kein Interesse an einer Isolation Russlands haben, pflichtete Oppermann Gysi bei. „Wir müssen zu guten und freundschaftlichen Beziehungen zurückkehren.“ Die Sanktionen könnten aber nur aufgehoben werden, wenn das Minsker Abkommen vollständig umgesetzt ist.
Als eine wichtige Aufgabe des bevorstehenden G7-Gipfels bezeichnete Oppermann eine Verständigung über den künftigen Umgang mit den Millionen Flüchtlingen weltweit. Sprechen müsse man etwa über die Finanzierung von Flüchtlingslagern und wirksame Maßnahmen zur Beseitigung von Fluchtursachen. Oppermann bezeichnete es überdies als „beschämend“, dass es in der EU Regierungen gebe, die meinen, „sie hätten mit dem Flüchtlingsdrama im Mittelmeer nichts zu tun“. So müsse der Regierung in Großbritannien klar gesagt werden, „dass sie hier nicht außen vor bleiben kann“.
„Auf dem G7-Gipfel müssen wir darüber sprechen, was wir tun können, um Menschen wieder eine Perspektive in ihren Heimatländern zu geben“, betonte auch Volker Kauder. Außerdem müsse die EU mit ihren östlichen Nachbarn reden, welchen Beitrag sie in der Flüchtlingsfrage leisten könnten. Schließlich kämen viele Flüchtlinge über osteuropäische Staaten nach Europa.
Deutliche Kritik an Merkel Regierungspolitik der vergangenen zehn Jahre übte Grünen-Fraktionschef Dr. Anton Hofreiter. Die Ankündigung der Bundeskanzlerin, sich auf dem G7-Gipfel für mehr Klimaschutz, eine Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 und eine gerechte Globalisierung einsetzen zu wollen, bezeichnete er als „schöne Worte“, die jedoch nichts an der Realität ändern würden.
Merkel denke in „Signalen und Symbolen“ und ersetze „die Tat durch den Vorsatz“, warf er ihr vor und forderte: „Handeln Sie endlich!“ Unter anderem verlangte Hofreiter einen besseren Schutz für Flüchtlinge, einen konsequenten Klimaschutz, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und weltweit verbindliche Sozial- und Arbeitsstandards. (joh/21.05.2015)