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Der Zweite Senat hat die Auskunftspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament konkretisiert. © dpa
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am Dienstag, 2. Juni 2015, die verfassungsrechtlichen Maßstäbe konkretisiert, nach denen die Bundesregierung verpflichtet ist, parlamentarische Anfragen über Unterstützungseinsätze der Bundespolizei zu beantworten. Das Informationsrecht erstreckt sich nur auf Umstände, die in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen. Hierzu zählt laut Urteil vor allem die Entscheidung, inwieweit die Bundespolizei dem Unterstützungsersuchen eines Landes folgt. Die Bundesregierung sei hingegen nicht verpflichtet, sich zum Einsatzkonzept der Landespolizei und zu dessen Durchführung zu äußern. Parlamentarische Anfragen zu disziplinarrechtlich relevantem Verhalten von einzelnen Bundespolizisten müssten jedoch beantwortet werden, soweit sie die Tatsachen, aufgrund derer hierfür ein begründeter Verdacht besteht, hinreichend klar erkennen lassen.
Gegenstand des Organstreitverfahrens waren Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Fraktion Die Linke im Bundestag zu Unterstützungseinsätzen der Bundespolizei am 19. Februar 2011 in Dresden sowie am 1. Mai 2011 in Berlin, Heilbronn und an anderen Orten. Die Anfragen bezogen sich zum einen auf den Bereich der originären Aufgabenwahrnehmung durch die Bundespolizei, dabei vor allem auf die bahnpolizeilichen Aufgaben, und zum anderen auf die Unterstützung der jeweiligen Landespolizei durch Beamte der Bundespolizei.
Die Bundesregierung verweigerte die Antwort auf diese Anfragen teilweise, soweit sie sich auf Unterstützungseinsätze nach Paragraf 11 des Bundespolizeigesetzes bezogen, mit der Begründung, die Durchführung solcher Einsätze falle in den Verantwortungsbereich der Länder.
Die Linke wollte festgestellt haben, dass sie durch diese Antwortverweigerung in ihrem parlamentarischen Informationsrecht verletzt worden sei. Unterstützungseinsätze der Bundespolizei gehörten zum Verantwortungsbereich der Bundesregierung, denn es gehe um die Tätigkeit einer ihr nachgeordneten Behörde. Die Bundesregierung könne die Einsätze beeinflussen oder den Einsatz der Bundespolizei verweigern. Zudem verbleibe den Führern von Einsatzhundertschaften der Bundespolizei innerhalb des Einsatzkonzepts des Landes ein gewisser Entscheidungsspielraum. Die Bundesregierung sei verpflichtet, sich die für die Beantwortung der Anfragen erforderlichen Kenntnisse durch Befragung der eingesetzten Bundesbeamten oder durch Einsicht in deren Einsatzberichte zu verschaffen, so die Fraktion.
Die Bundesregierung vertrat die Ansicht, der Informationsanspruch des Bundestages umfasse wegen der Eigenstaatlichkeit der Länder nicht die Unterstützungseinsätze der Bundespolizei nach Paragraf 11 des Bundespolizeigesetzes, weil insoweit die jeweils anfordernde Landesregierung verantwortlich sei. Vorhandene Kenntnisse über die Einsätze habe die Regierung offengelegt, sich aber zu Recht nicht darum bemüht, an weitere Kenntnisse zu gelangen. Wissen, welches Beamte der Bundespolizei in einem Unterstützungseinsatz erwerben, sei Länderwissen und unterstehe nicht der Verantwortlichkeit der Bundesregierung. Der den Bundespolizisten im Einsatz verbleibende Spielraum sei stets nach dem für das Land geltenden Recht auszufüllen. Auch insoweit bestehe daher keine Verantwortung der Bundesregierung, so deren Argumentation.
Dem Urteil zufolge kann sich das Frage- und Auskunftsrecht des Bundestages, seiner Abgeordneten und Fraktionen gegenüber der Regierung im Hinblick auf die Unterstützungseinsätze nur auf Umstände beziehen, die nach der im Grundgesetz angelegten und im Gesetz über die Bundespolizei näher geregelten Verteilung der Zuständigkeiten in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen. Die Regierung habe auf parlamentarische Fragen zu der Entscheidung über das Ersuchen eines Landes um Unterstützung durch die Bundespolizei zu antworten. Dabei seien gegebenenfalls auch Tatsachen mitzuteilen, die zwar aus dem Bereich des anfragenden Landes stammen, aber die Grundlage für die Entscheidung über das Ersuchen bilden, also etwa die in der Anforderung angegebenen wesentlichen Merkmale des Einsatzauftrages, der Umfang der angefragten Kräfte oder spezielle Anforderungen an die Art der zu entsendenden Unterstützungskräfte oder deren Ausrüstung.
Weiter seien Fragen zu beantworten, die sich auf Begleitumstände eines Unterstützungseinsatzes beziehen, für die eine Behörde des Bundes die Verantwortung trägt. Nicht verpflichtet sei die Regierung jedoch, sich zu dem Konzept des Gesamteinsatzes sowie zu dessen Vorbereitung, Planung und Durchführung zu äußern. Der Bund übernehme durch die Unterstützung mit Einheiten seiner Bereitschaftspolizei weder faktisch noch rechtlich die Verantwortung für die Leitung des Gesamteinsatzes.
Ferner sei die Regierung auch nicht verpflichtet, sich zu Vorgängen aus dem Verantwortungsbereich eines Landes eine Meinung zu bilden und diese auf eine parlamentarische Anfrage hin mitzuteilen. Hat allerdings eine solche Meinungsbildung innerhalb der Regierung stattgefunden, müsse deren Ergebnis auf Verlangen offengelegt werden. Verweigere die Bundesregierung die Antwort zu einem Unterstützungseinsatz, so müsse dies grundsätzlich begründet werden. Ein Verweis auf die Zuständigkeit des Landes genüge, wenn die Antwort aufgrund fehlender eigener Verantwortlichkeit verweigert wird.
Die Antworten in den Bundestagsdrucksachen 17/5270 vom 25. März 2011 und 17/5737 vom 6. Mai 2011 seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Antworten in der Drucksache 17/6022 vom 31. Mai 2011 zum Einsatz der Bundespolizei in Berlin, Heilbronn und an anderen Orten stellten hingegen teilweise eine Verkürzung des Fragerechts der Fraktion und damit eine Verletzung der Antwortpflicht der Regierung dar. Die Regierung wäre verpflichtet gewesen, die Fragen nach dem Einsatz von Pfefferspray durch die Bundespolizei und danach, inwieweit die Bundesregierung den „exzessiven Gebrauch von Pfefferspray in den Abend- und Nachtstunden des 1. Mai 2011 am Kottbusser Tor in Berlin“ als verhältnismäßig bewertet, zu beantworten, heißt es im Urteil. (vom/02.06.2015)