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Die von der Bundesregierung geplante Verfassungsschutzreform stößt bei Sachverständigen auf gegensätzliche Einschätzungen. Dies wurde am Montag, 8. Juni 2015, bei einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses unter Vorsitz von Frank Tempel (Die Linke) zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes“ (18/4654) deutlich. Während einige der Experten die Vorlage dabei scharf kritisierten, begrüßten andere das Regierungsvorhaben explizit. Mit dem Entwurf sollen auch Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umgesetzt werden.
Prof. Dr. Hartmut Aden von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht monierte, viele der neu vorgeschlagenen Regelungen blieben mangelhaft. „Nicht sachgerecht“ sei es, dass die Regelungen für V-Leute und für verdeckt arbeitende Mitarbeiter „im Wesentlichen identisch gestaltet worden sind durch einen Verweis“. Stattdessen hätte man völlig eigenständige Regelungen für V-Leute schaffen sollen.
Auch sehe er „gravierende Bestimmtheitsmängel“ etwa bei der geplanten Zuständigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) für alle gewaltbezogenen Bestrebungen. Hierzu habe der Bundesrat „richtigerweise kritisch Stellung genommen“. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme (18/5051) die Erweiterung operativer Zuständigkeiten des BfV für sämtliche, auch nicht länderübergreifende gewaltorientierte Bestrebungen abgelehnt.
Prof. Dr. Matthias Bäcker vom Karlsruher Institut für Technologie kritisierte, der Gesetzentwurf weise in vieler Hinsicht verfassungsrechtliche Mängel auf. So ermögliche der Entwurf die Errichtung eines umfassenden Datenverbundes der Verfassungsschutzbehörden, in denen Daten „jeder Art und Herkunft eingestellt werden können“. Ein so weitreichender Datenpool sei mit den betroffenen Grundrechten, insbesondere mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht zu vereinbaren. Bäcker bemängelte zugleich, „das Nachrichtendienstrecht befindet sich schlicht derzeit in einem beklagenswerten Zustand“. Der Gesetzentwurf trage indes nichts dazu bei, daran etwas zu ändern.
Rechtsanwalt Sebastian Scharmer bemängelte, die Neuregelung schaffe es in keinem Punkt, die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages umzusetzen. Vielmehr würden gerade die Mechanismen gestärkt, „die mitursächlich für die bisherigen Entwicklungen waren“. Die Kompetenzerweiterung des BfV sei „mit dem Kompetenzgefüge des Grundgesetzes nicht vereinbar“. Auch sei weiterhin eine Anwerbung von „erheblich vorbestraften Neonazis“ als V-Leute möglich. Ferner gebe es keine Regelung zu verbesserten Kontrollmöglichkeiten etwa durch das Parlament.
Der frühere Berliner Innensenator Dr. Ehrhart Körting sagte, die Erweiterung der BfV-Befugnisse auf gewaltgeneigte Bestrebungen sei „eigentlich nichts Neues“. Er könne sich kaum gewaltgeneigte Bestrebungen vorstellen, die keinen Bundesbezug haben. Vielmehr werde der Regelfall sein, dass gewaltgeneigte Bestrebungen auch einen Bundesbezug haben. Daher habe er keine Bedenken gegen die im Gesetzentwurf der Regierung vorgesehene Regelung.
BfV-Präsident Dr. Hans-Georg Maaßen betonte, der Gesetzentwurf werde die Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund verbessern, die Zentralstellenfunktion seines Hauses stärken und das „Daten- und Aktenregime verbindlich regeln“. Auch werde die Vorlage die Bestimmungen zu V-Leuten und verdeckten Mitarbeitern „konkretisieren und hier Rechtssicherheit schaffen“. Maaßen unterstrich zugleich, dass dem Staat „der Einsatz von V-Leuten, wie im jetzigen Gesetzentwurf bestimmt, möglich sein“ müsse. Hier sei seines Erachtens nach eine „ausgewogene Balance im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewährleistet“.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Roth sagte, der Gesetzentwurf greife wesentliche Empfehlungen und Erkenntnisse der Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus und des NSU-Untersuchungsausschusses auf. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorgeschlagenen Änderungen habe er nicht. Die Stärkung der Zentralstellenfunktion des BfV begrüßte Roth ebenso wie die „Ergänzung des BfV-Zuständigkeitskataloges um die Beobachtung gewaltbereiter verfassungsfeindlicher Bestrebungen“, die „im Ergebnis nur eine Klarstellung“ sei.
Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff von der Universität Bayreuth unterstrich, der Gesetzentwurf intensiviere die Zusammenarbeit der Inlandsnachrichtendienste, verbessere die rechtlichen Voraussetzungen für ihre Analysen und stärke erheblich die Stellung des BfV. Dessen Befugniserweiterung bilde eine „mögliche, in sich schlüssige Folgerung aus der Aufarbeitung der NSU-Gewaltserie“. Dabei greife der Gesetzgeber „nicht blind intensiver in die Grundrechte der Bürger ein“. Verfassungspolitisch halte er jedoch nicht alle Regelungen des Entwurfs „für glücklich“. So sei ihm die Regelung zu V-Leuten zu großzügig. (sto/08.06.2015)