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Hat Qualitätsjournalismus im Zeitalter der Digitalisierung eine Chance? Diese Frage hat der Ausschuss für Kultur und Medien am Mittwoch, 10. Juni 2015, in einem öffentlichen Fachgespräch unter Vorsitz von Siegmund Ehrmann (SPD) fünf Medienexperten gestellt. Deren Einschätzung ist einhellig positiv: Vermutlich werde das Medienangebot individualisierter, vielfältiger und interaktiver, so ihre Prognose.
Susann Hoffmann, Geschäftsführerin der Online-Plattform Edition F, die sich mit Business- und Lifestyle-Themen an Frauen zwischen 25 und 45 Jahren richtet, formulierte dazu mehrere Thesen. So werde es in Zukunft um „Nische statt Mainstream“ gehen, die Leser würden immer stärker zu Programmdirektoren, die weniger konsumierten als interagierten und an die Journalisten in gewissem Maße die journalistische Meinungshoheit abgeben würden.
Sie halte es für einen Fehler, so Hoffmann, dass bei den aktuellen Projekten des digitalen Journalismus große Player andere große unterstützen würden: Medienkonzerne und Verlage sollten auch die Kooperation mit kleinen Start-up-Unternehmen suchen und sich auch früher trauen, in deren Finanzierung einzusteigen. Grundsätzlich gebe es derzeit angesichts vieler Gründungen und Investments vor allem eine Feststellung, sagte Hoffmann: „Journalismus lebt.“
Diese Einschätzung teilte auch Dr. Dietrich von Klaeden, Head of Public Affairs bei Axel Springer. Deutschland sei mit 353 verschiedenen Tageszeitungen und ihren rund 1.000 verschiedenen Unterausgaben „das Land der Zeitungsleser“. Er forderte die Politik dazu auf, die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass diese Vielfalt auch in der digitalen Welt erhalten bleibe.
Dafür seien insbesondere gesetzliche Klarstellungen dort nötig, wo es um „marktbeherrschende Plattformen“ wie Google gehe. Die Suchmaschine nutze ihre Stellung bei der Darstellung von Verlagsinhalten in Suchergebnissen aus: Nur diejenigen, die dabei auf eine Vergütung verzichteten, würden umfassend dargestellt.
Springer setze in seiner Digitalstrategie auf die Bereiche zahlende Leser, Anzeigen und das Rubrikengeschäft. Es sei das Ziel, die „Zeitung von analogen Papier zu emanzipieren“; dabei seien Kreativität, Gründergeist, Wagniskapital, Plattformregulierung und Suchmaschinenneutralität wichtige Faktoren. Von Klaeden appellierte an die Abgeordneten, nicht „auf Europa“ zu warten, sondern mit entsprechenden Reformen des Wettbewerbs- und Urheberrechts „schnell tätig zu werden“.
Auch Dr. Susanne Pfab, Generalsekretärin der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), sprach sich für Neu- und Deregulierungen in diesen Bereichen aus. Die ARD setze in ihrer digitalen Strategie vor allem darauf, dort Angebote zu machen, „wo die Nutzer sind“, und auf Personalisierung.
Pfab sagte, sie sehe die Aufgabe der ARD darin, exklusive Qualitätsinhalte anzubieten und so ein „trusted guide“ für die Nutzer zu sein. Für die ARD gehe es dabei anders als andere Anbieter stark auch darum, originäre Inhalte hinsichtlich der deutschen Kultur anzubieten. Das ergebe sich auch aus dem Privileg, solidarisch durch die Gesellschaft finanziert zu werden.
Für Dr. Tobias Schmid, Bereichsleiter Medienpolitik der Mediengruppe RTL Deutschland GmbH, bietet die Digitalisierung viele Vorteile für die Konsumenten: Jeder könne audiovisuelle Inhalte zu jeder Gelegenheit nutzen und Angebote „auf allen möglichen Wegen“ finden.
Für Medienunternehmen werde es deshalb in Zukunft immer wichtiger sein, sich auf ihre Alleinstellungsmerkmale zu konzentrieren. Dies mache ein großes Investment nötig - und dafür sei ein „stabiles Urheberrecht von elementarer Bedeutung“. In Sachen Vermarktung müssten die Unternehmen heute anders denken als in der Vergangenheit.
Von „Nutzern der neuen Generation“ sprach Thomas Schultz-Homberg, Leiter der Abteilung Elektronische Medien bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie würden Inhalte auf unterschiedlichen Kanälen nachfragen, damit sinke die Loyalität zum klassischen Anbieter. Gleichzeitig sei bekanntermaßen die Zahlungsbereitschaft für Inhalte im Netz gering. Für Verlage ergäbe sich daraus, dass sie zum einen „omnipräsent“ auf allen Kanälen sein müssten und zum anderen zunehmend auf den Verkauf von Einzelartikeln setzen müssten.
Die „klassischen Pakete“, mit denen man lange Jahre habe gutes Geld verdienen können, müssten heute in kleinere Einheiten aufgeteilt werden - dies sei Fakt, auch wenn er es „nicht gern“ sage, so Schultz-Homberg. Mit dem zunehmenden Verzicht auf Papier und Auslieferung gestalte sich der Vertrieb zwar kostengünstiger, eine genaue Ansprache der Nutzer aber mache ein aufwendigeres Marketing nötig, um „Teile der Zielgruppe flüchtig zu erwischen“: Die Zielgruppe sei „scheu“. Grundsätzlich sei es für deutsche Verlage und Unternehmen schwieriger, sich im digitalen Zeitalter zu behaupten, weil aufgrund der Sprache der Markt „verengt“ sei. „Flaggschiffe der Digitalisierung“ wie die New York Times profitieren davon, dass ihre Angebote „rund um den Globus“ verstanden würden. (suk/10.06.2015)