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Die Pläne der Bundesregierung, die Erdgasfördermethode Fracking in Deutschland gesetzlich strenger zu regeln und die Förderung unkonventionellen Erdgases oberhalb von 3.000 Metern Tiefe zu verbieten, sind unter Experten umstritten. In einer dreistündigen öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses unter Vorsitz von Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) am Montag, 8. Juni 2015, begrüßten die Vertreter des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW), der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände sowie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) zwar grundsätzlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie (18/4713), mahnten jedoch Verbesserungen in zahlreichen Punkten an.
Die Sachverständigen vom Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) und der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) forderten ein generelles Verbot des sogenannten unkonventionellen Frackings in Schiefer-, Ton- oder Kohleflözgestein oberhalb von 3.000 Metern sowie deutlich strengere Regelungen für Fracking in konventionellen Lagerstätten. Oliver Kalusch vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e. V. (BBU) forderte demgegenüber ein ausnahmsloses Fracking-Verbot in Deutschland.
„Bei Fracking handelt es sich um eine nicht beherrschbare Risikotechnik mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt“, begründete er die Ablehnung seines Verbandes. Beim Einsatz der Technologie könne es zu erheblichen Grundwasserkontaminationen kommen, außerdem sei die Frage der Entsorgung des Rückflusses beziehungsweise der als Lagerstättenwasser an die Oberfläche gepumpten Flüssigkeit ungelöst.
Fracking erhöhe darüber hinaus deutlich die Erdbebengefahr und stelle eine klimaschädliche Variante der Energiegewinnung und Nutzung dar. Kalusch kritisierte auch die im Gesetzentwurf gezogene Grenze von 3.000 Metern Tiefe, unterhalb der Fracking weiterhin erlaubt sein soll. Dabei gehe es nicht um Sicherheit, sondern es sei vielmehr eine „ökonomische Grenze“, um ab 2018 unterhalb von 3.000 Metern Schiefergas fördern zu können.
Dr. Georg Buchholz vom NABU machte deutlich, dass der Naturschutzbund den Einsatz der Fracking-Technologie aus „energie-, klima-, naturschutz-, umwelt- und gesundheitspolitischen Gründen“ ebenfalls ablehnt. Er bedauerte, dass ein Verbot von Fracking aufgrund der politischen Mehrheitsverhältnisse derzeit nicht durchsetzbar sei.
Zwar werde der Schutz des Trinkwassers mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verbessert, lobte Buchholz, doch müssten die Regeln noch deutlich strenger werden. So müsse das Grundwasser flächendeckend geschützt werden, um künftige Trinkwassernutzungen nicht zu gefährden. Die Verbotszonen müssten ausgeweitet und Erprobungsvorhaben in Schiefergestein auf Bundesebene verboten werden, ebenso die untertägige Ablagerung von Lagerstättenwasser.
Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe bezeichnete die derzeit bestehende Gesetzeslage zum Fracking als unzureichend und begrüßte daher wie seine Vorredner im Grundsatz das Vorhaben der Bundesregierung, Fracking gesetzlich stärker zu reglementieren. Die DHU sehe „eine ganze Reihe von Risiken, deren Beherrschbarkeit aus unserer Sicht noch nicht gewährleistet ist“, betonte er. Ein Einstieg Deutschlands in die Gasförderung per Fracking wäre zudem „energie- und klimapolitisch zum gegenwärtigen Zeitpunkt das falsche Signal“.
Prof. Dr. Rolf Emmermann von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften sprach sich für wissenschaftlich begleitete Pilotprojekte aus, sowohl für die Schiefergasförderung als auch für die petrothermale Geothermie. Beide Energieträger könnten eine „Brückenfunktion“ für die Energiewende übernehmen. Voraussetzung sei jedoch ein lückenloses Sicherheitskonzept, beginnend bei der Vorerkundung des geologischen Untergrundes, über eine kontinuierliche Überwachung des Betriebs bis hin zur Beendigung der Maßnahme. So könnten Beeinträchtigungen des Trinkwassers, Austritte von Methangas sowie induzierte (Mikro-)Erdbeben weitgehend ausgeschlossen werden.
Martin Weyand vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bezeichnete Erdgas ebenfalls als einen „hocheffizienten Energieträger, welcher für die Umsetzung der Energiewende und der Klimaschutzziele der Bundesrepublik Deutschland gebraucht wird“. Die Gewinnung von Erdgas aus konventionellen Lagerstätten müsse daher weiter möglich sein, die aus unkonventionellen ermöglicht werden, „sofern Umwelt- und Sicherheitsfragen dem nicht entgegenstehen“.
Otto Huter von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände sowie Ulrich Peterwitz vom Verband kommunaler Unternehmen bezeichneten den Gesetzentwurf der Bundesregierung als „Schritt in die richtige Richtung“. Beide lobten die Ausweitung der Verbotszonen, in denen Fracking grundsätzlich nicht gestattet sein soll. Jedoch seien weiteren Korrekturen erforderlich, um dem Schutz des Trinkwassers die nötige Priorität einzuräumen und die Beteiligungsmöglichkeiten der Kommunen rechtssicher zu verankern, mahnte Huter.
So sollten potenzielle Trinkwassergewinnungsgebiete über die Instrumente des Raumordnungsgesetzes und der Landesplanung gesichert werden. Peterwitz forderte, Erprobungsmaßnahmen wegen bestehender „erheblicher Wissensdefizite“ strikt von einer kommerziellen Gewinnung zu trennen. „Bevor keine abschließende wissenschaftliche Beurteilung sämtlicher Erprobungsmaßnahmen vorliegt, sollten keinerlei kommerzielle Vorhaben in den entsprechenden Formationen durchgeführt werden“, betonte er. Auch Oliver Kalusch vom BBU forderte die Bundesregierung auf, erst die in- und ausländischen Erkenntnisse zum Fracking auszuwerten, bevor sie „einen Gesetzentwurf zur Ermöglichung von Fracking“ vorantreibe.
Übereinstimmend kritisch werteten die sieben Sachverständigen die vorgesehene sechsköpfige Expertenkommission, die die vorgesehenen Probebohrungen oberhalb von 3.000 Metern wissenschaftlich begleiten soll. Sieht sie keine Gefahren für die Umwelt, könnten ab 2019 kommerzielle Projekte möglich sein. Obwohl der Letztentscheid bei der Genehmigungsbehörde liege, könnten die kommunalen Spitzenverbände eine „präjustizierende Wirkung“ für die Zulassung nicht ausschließen, warnte Otto Huter. Er forderte, den Expertenkreis zu erweitern und eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung einzuführen.
Ulrich Peterwitz urteilte, die Kommission dürfe lediglich eine „Beratungs- und Beurteilungsfunktion“ haben und solle ihre Entscheidungen einstimmig fällen müssen. Professor Emmermann warnte, die Zusammensetzung der Kommission dürfte in der gesellschaftlichen Diskussion wenig Akzeptanz finden, „da ihre Neutralität und damit auch ihre Objektivität nicht anerkannt werden wird“. Vertreten sein sollten daher unbedingt auch unabhängige Fachleute mit nachgewiesener Expertise.
Oliver Kalusch und Sascha Müller-Kraenner werteten die Regelungen zur Expertenkommission gerade rechtlich als äußerst problematisch. Ihrer Ansicht nach würde mit ihr einer Gruppe außerhalb des Gesetzgebers und der Verwaltung zu große Macht zugewiesen. Dies stelle, so Müller-Kraenner, auch eine „unzulässige Vermischung von Bundes- und Landesverwaltung“ dar.
Beide sehen den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber in der Verantwortung, über die Voraussetzungen für eine Erprobung und eine eventuelle kommerzielle Nutzung zu entscheiden. Georg Buchholz ergänzte, solange der Bundestag nicht die Risiken des Frackings in Schiefergestein beurteilt und selbst geregelt habe, dürften kommerzielle Vorhaben nicht zugelassen werden. (joh/08.06.2015)