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Bahnstreik – wieder legen die Lokführer den Zugverkehr fast lahm. Millionen Reisende sind von Zugausfällen und Verspätungen betroffen. Eine davon ist Susanna Karawanskij. Die Abgeordnete der Linken aus Nordsachsen will nach der Plenarsitzung schnell für einen Termin nach Leipzig, dann wieder in die Hauptstadt zurück. Mit der Bahn. Nun muss sie umdisponieren und eine andere Fahrgelegenheit suchen. Das allein wäre schon lästig genug, doch Karawanskij hat Geburtstag – und ist hochschwanger. Im Sommer erwartet die nun 35-Jährige ihr erstes Kind. Trotz allem nimmt Karawanskij den Streik gelassen: „Wenn die restlichen 364 Tage des Jahres schön werden, dann ist das nicht so schlimm“, sagt sie und lacht.
Zwei Jahre ist es her, dass Karawanskij erstmals in den Bundestag gewählt wurde – damals begleitet von einigem Medienrummel. Die „Bild“ nominierte die gebürtige Leipzigerin als „Miss Bundestag“, andere Zeitungen sahen in der Parlamentsnovizin ein „neues, schönes Gesicht des Sozialismus“ und damit Konkurrenz für Sahra Wagenknecht, die Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.
Ein hinkender Vergleich: Anders als die frühere Wortführerin der „Kommunistischen Plattform“ steht Karawanskij, die Mitglied im Finanzausschuss und Sprecherin für Kommunalfinanzen ist, den Reformern um Parteivize Dietmar Bartsch nahe.
Die studierte Politik- und Kulturwissenschaftlerin hat einen rasanten Aufstieg in ihrer Partei hinter sich: Obwohl sie schon seit einem Praktikum während ihres Studiums beim offenen Abgeordnetenbüro LinXXnet in Leipzig mit der Linken „sympathisiert“, wird sie erst 2008 Mitglied. Aber ein Jahr später übernimmt sie die Geschäftsführung der Kreistagsfraktion Nordsachsen, 2012 wird sie zur Vorsitzenden des Kreisverbands Nordwestsachsen gewählt.
2013 stellt der Landesverband Sachsen Karawanskij, die seit 2009 selbst zum Vorstand gehört, auf dem sicheren dritten Platz der Landesliste auf, vor prominenten Gesichtern wie Caren Lay und Sabine Zimmermann.
Karawanskijs Trumpf: Sie ist jung, klug, rhetorisch begabt. Vor allem aber steht sie als Vertreterin der „dritten Generation Ost“ für einen Wandel in der Partei: „Pragmatisch und ergebnisoffen diskutierend“, statt ideologisch und dogmatisch. Man traut ihr zu, Jüngere für Die Linke zu gewinnen. Eine bittere Notwendigkeit, denn die Mitgliedschaft der SED-Nachfolgepartei schrumpft und altert. Karawanskijs Gegenmittel: „Ich will zeigen, dass Politik auch Spaß machen kann“, sagt sie.
Im Wahlkampf trägt sie deshalb schon mal pink-schwarze T-Shirts mit der Aufschrift: „Wer sagt eigentlich, dass Politik nicht glitzern darf?“ Hört man sie jedoch argumentieren, klingt oft die analytische Politikwissenschaftlerin durch – etwa, wenn sie die Pläne der Bundesregierung dafür kritisiert, dass private Geldgeber für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten mobilisiert werden sollen und in diesem Zusammenhang vor einem „Paradigmenwechsel in der Auffassung von Staatlichkeit“ warnt.
Kein Wunder, arbeitet Karawanskij doch bis zu ihrem Wechsel in die Politik an der Universität Leipzig in verschiedenen wissenschaftlichen Projekten. So forscht sie unter anderem zu rechten Einstellungen von Jugendlichen. Mit „Push-up und Chutor“ schreibt sie zudem ein Essay über die ukrainische Frau, in dem sie die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Sowjetunion auf das Frauenbild in dem postkommunistischen Land untersucht: „Ein Wertesystem ist zusammengebrochen und hat eine Leerstelle hinterlassen, die vor allem vom Konsum gefüllt wird“, erklärt Karawanskij.
Über das Thema des Essays plant sie eigentlich zu promovieren; es soll der Auftakt zu einer akademischen Laufbahn sein. Doch das ehrenamtliche Engagement für Die Linke beansprucht immer mehr Zeit, sie muss sich entscheiden: Universität oder Partei? „In der Intensität ließen sich Forschung und Politik nicht mehr umfassend gut vereinbaren.“
Gesellschaftliche Umbrüche beschäftigen Karawanskij nicht nur wissenschaftlich, sie sind auch Teil ihrer Biografie: Sie ist neun, als die Mauer fällt. Die gesellschaftlichen Veränderungen der Nachwendezeit erlebt die Tochter einer Lehrerin und eines aus der Ukraine stammenden Geologen in ihrem Stadtviertel, Leipzig-Grünau, bewusst.
Die Plattenbausiedlung, in der sie wohnt, wandelt sich: „Das war ein schleichender Prozess. Plötzlich war das Klima anders.“ Rechtsextreme Jugendliche dominieren die Straße, geben den Ton im Jugendzentrum an. „Ich habe mir gut überlegt, wohin ich gehe und welche Ecken ich besser meide.“ Zum ersten Mal fühlt sich Karawanskij unsicher – auch wegen ihres ausländisch klingenden Nachnamens.
Im Bundestag aber beschert dieser der Nachwuchspolitikerin erneut Aufmerksamkeit: Sie ist eine von 38 Abgeordneten im Parlament, die einen Migrationshintergrund haben. Jetzt, zur Halbzeit der Wahlperiode, hat sich das Medieninteresse wieder gelegt. Karawanskij wirkt erleichtert: „Man möchte ja nicht nur ,die Neue' sein, sondern als Fachpolitikern wahrgenommen werden.“
Das ist ihr gelungen. Ob kommunale Finanzen, Versicherungen, Steuerpolitik, finanzieller Verbraucherschutz oder Finanzmarktregulierung: „Sie musste sehr schnell ihre Frau stehen und sich in viele Themen einarbeiten“, bescheinigt der erfahrene Finanzexperte der Linken, Dr. Axel Troost. Karawanskij habe das souverän gemeistert.
Nun steht die Abgeordnete vor einer neuen Herausforderung: Kind und Mandat zu vereinbaren. Ihr Baby mit in den Bundestag bringen zu können, ist für Karawanskij längst nicht nur eine private Frage: „Wir diskutieren in der Politik so viel darüber, wie es gelingen kann, Beruf und Familie zu vereinbaren. Ich bin gespannt, wie sich dieser Anspruch hier im Parlament einlösen lässt“, sagt sie.
Ob zum Beispiel ein Säugling im Plenarsaal zugelassen ist, muss sie noch klären. (sas/22.06.2015)