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Philipp Graf von und zu Lerchenfeld (CDU/CSU) mit der Schaufel zur Grundsteinlegung des Reichstagsgebäudes im Hintergrund © DBT/Melde
Auf dem Weg zum Plenarsaal kommt Philipp Graf von und zu Lerchenfeld (CDU/CSU) immer an ihr vorbei: der großen Schaufel mit dem gedrechselten Holzgriff, die bei der Grundsteinlegung des Reichstags durch Kaiser Wilhelm I. am 9. Juni 1884 verwendet wurde. Sie steht in einer Vitrine und erinnert zusammen mit einem Schwarz-Weiß-Foto an den Tag, als feierlich mit dem Bau des Gebäudes begonnen wurde, das zunächst den Reichstag des Deutschen Reichs beherbergte, dann den der Weimarer Republik und heute den Bundestag.
Lerchenfeld erinnert beides jedoch vor allem an seinen Urgroßonkel: Hugo Graf von und zu Lerchenfeld auf Köfering und Schönberg war von 1888 bis 1918 bayerischer Gesandter am preußischen Königshof in Berlin und bei der Grundsteinlegung dabei: „Er stand hier beim diplomatischen Corps – ich glaube, er war der Dritte von rechts“, erklärt der Urgroßneffe. Er steht, in dunklem Anzug und weißem Einstecktuch, vor der Vitrine und zeigt auf eine Gruppe von Männern, die mit dem Rücken zum Fotografen am unteren Rand des Bildes stehen. „Er hat dem Kaiser die Kelle gereicht – und der hat sie dann prompt fallengelassen“, erzählt Lerchenfeld amüsiert.
Seit 2013 ist der 63-jährige Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Mitglied des Bundestages und gehört dem Finanzausschuss an. Davor saß er zehn Jahre im Bayerischen Landtag, als Mitglied im Wirtschafts-, dann im Haushalts- und Finanzausschuss. Hier macht sich der politische Seiteneinsteiger, der fünf Jahre finanzpolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion war, einen Namen als sachkundiger und solider Finanzfachmann. Ein Lautsprecher-Typ ist der Mann mit Schnauzbart und auffallend sonorer Stimme nicht.
Politische Gegner früherer Jahre attestieren ihm stattdessen „vornehme Zurückhaltung“. So urteilt etwa Eike Hallitzky (Bündnis 90/Die Grünen), der wie Lerchenfeld im Haushaltsausschuss saß, gegenüber der Zeitung „Die Welt“: „Er ist erzkonservativ, aber respektiert andere Meinungen.“
Lerchenfeld selbst hingegen sagte einmal über sich: „In der Wirtschaftspolitik bin ich ein Anhänger einer liberalen Ordnungspolitik, ansonsten würde ich mich eher der konservativen Richtung in der CSU zurechnen.“ Auch der Kirche steht er als Diözesanvorsitzender im Bistum Regensburg nahe.
Geschichte ist für Lerchenfeld, der zu einem der ältesten deutschen Adelshäuser gehört, oft auch ein Stück Familiengeschichte: So kam beim Attentat von Sarajevo – das 1914 den Ersten Weltkriegs auslöste – nicht nur Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich ums Leben, sondern auch dessen Frau Sophie: „Sie war die Schwester meiner Urgroßmutter“, erklärt Graf Lerchenfeld, wieder in seinem Büro angekommen.
Oder zum Beispiel der Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg: Er war mit Nina Freiin von Lerchenfeld verheiratet, die aus der zweiten heute noch existierenden Linie des bayerischen Adelsgeschlechts stammt. Auch das Wasserschloss in Köfering, seit über 500 Jahren Sitz der Familie, ist Schauplatz historischer Begegnungen gewesen: So soll unter anderem der russische Zar Mitte des 19. Jahrhunderts hier zu Besuch gewesen sein. Napoleon jedoch war nicht gern gesehen: „Den hat einer meiner Vorfahren rausgeschmissen“, erzählt der Graf.
Kein Wunder, dass die Vergangenheit seiner Familie ihn geprägt hat. Von seinen Vorfahren – darunter neben Diplomaten auch ein bayerischer Ministerpräsident – sei ihm das Interesse für Politik sozusagen in die Wiege gelegt worden, sagt Lerchenfeld. In gewissen Sinne als Gesandter und Vertreter bayerischer Interessen fühlt auch er sich im Bundestag – insbesondere wenn es um die anstehende Reform des Länderfinanzausgleichs geht: Er ist einer von neun Unionsvertretern in einer Arbeitsgruppe, die Vorschläge für eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen erarbeiten soll.
Ein Thema, für das sich Lerchenfeld schon als Landtagsabgeordneter stark gemacht hat. „Ziel muss sein, dass jede politische Ebene die Aufgaben, für die sie verantwortlich ist, selbst finanziert. Der Bund kann nicht unendlich in Anspruch genommen werden“, fordert er. Und als Bayer sei ihm wichtig, „dass Bayern nicht auf Dauer der Zahlmeister der Nation sein kann“.
Aufgewachsen sei er in einem „sehr politischen Zuhause“: „Schon mein Vater engagierte sich in der CSU. Regelmäßig kamen politische Freunde zu Besuch – so etwa Hermann Höcherl, der in den 1960er-Jahren Minister in Bonn war. Doch der junge Lerchenfeld hat durchaus eigene Ansichten: „Ich bin links abgedriftet“, räumt er augenzwinkernd ein und erzählt von seinem Protest gegen den Vietnam-Krieg: „Ich lief damals ,Ho-Ho-Ho Chi Minh'-rufend durch Regensburg – ja wirklich!“, setzt er lachend hinzu, als er den ungläubigen Blick seines Gegenübers registriert. „Meine Haare trug ich damals im Afro-Look“, sagt er und deutet mit einer ausladenden Geste die alte Pracht seines heute gebändigten, leicht ergrauten Haupthaars an. „Jimi Hendrix und ich sahen uns ziemlich ähnlich.“
Doch diese Phase jugendlicher „Rebellion gegen die Eltern“ währt nicht lang: Lerchenfeld schneidet sich die Haare, studiert Agrarwissenschaften, heiratet standesgemäß und baut sich eine Existenz als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer auf. Auch politisch sei er bald auf den „richtigen Pfad“ zurückgekehrt, sagt Lerchenfeld, und ein breites Lächeln legt sein Gesicht in Falten. Er geht zur Jungen Union, tritt in die CSU ein. Seit 1990 sitzt er im Köferinger Gemeinderat, seit 2002 im Kreisrat des Landkreises Regensburg. „Ich fand es vernünftig zu kandidieren“, erklärt er, „da es so viele Themen gab, die mich als Bürger, aber auch als Inhaber eines Betriebs berührten.“
Seit Anfang der 1980er-Jahre trägt Lerchenfeld die Verantwortung für das Schloss und den dazugehörenden landwirtschaftlichen Gutsbetrieb. „Mir war die Belastung stets bewusst, ein solches Haus für die Zukunft zu erhalten“, sagt er im Hinblick auf die wiederkehrenden, finanziell aufwendigen Sanierungsarbeiten. „Aber man fühlt sich wie ein Glied in einer Kette. Mehr als Verwalter denn als Eigentümer.“
Und es trifft keinen Unvermögenden: Lerchenfeld gehört zu den 50 Top-Nebenverdienern unter den Bundestagsabgeordneten – unter anderem aufgrund seiner Einkünfte als Landwirt. In einem Ranking, das die Onlineplattform „Abgeordnetenwatch.de“ 2014 veröffentlichte, liegt der Köferinger auf Platz sechs. „Wir bewirtschaften 300 Hektar, wobei 260 Hektar eigenes Land und 40 Hektar gepachtet sind“, erklärt Lerchenfeld. Angebaut würden hauptsächlich Getreide, Zuckerrüben und Kartoffeln, letztere für die Herstellung von Chips. „Denen kann ich, wie grundsätzlich allen salzigen Snacks, leider nicht widerstehen“, gesteht der Graf.
Seine Leidenschaft gilt jedoch der modernen Kunst. In seinem Schloss hat der Graf inzwischen eine kleine Sammlung – Bilder von regionalen Künstlern sind ebenso darunter einige „junge Wilde“.
Sein Büro allerdings schmückt das Porträt eines älteren und wohl auch weniger ungestümen Mannes: „Hugo, der Erste, wie er in unserer Familie genannt wird“, sagt Lerchenfeld und schaut zum Konterfei seines Ahnen hinüber, dem bayerischen Gesandten in Berlin. (sas/22.06.2015)