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Seine Finger fliegen nur so über die Tasten. Ein paar Takte Schubert, dann ein Chanson von Hildegard Knef: Am Morgen hat Dr. Gerhard Schick als finanzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagsplenum die „Lücken“ im Gesetzentwurf der Regierung zum Kleinanlegerschutz kritisiert. Ein paar Stunden später bringt er behände den blankpolierten Steinway-Flügel im Kaisersaal des ehrwürdigen Reichstagspräsidentenpalais in Berlin, das heute Sitz der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ist, zum Klingen.
Ganz bewusst hat sich der 43-Jährige diesen Ort für das Gespräch ausgewählt: Musik – und gerade das Klavierspielen – ist eine Leidenschaft des promovierten Finanzwissenschaftlers. In seiner schwäbischen Heimatstadt Hechingen absolvierte er neben der Schule eine kirchenmusikalische Ausbildung, verdiente das erste Geld als Organist und tingelte während seines Volkswirtschaftsstudiums mit der A-Capella-Band „Schall und Bauch“ durch Freiburg.
„Ohne Klavier – das geht nicht“, findet Schick. Klar, dass in seinen Wohnungen in Berlin und im Wahlkreis Mannheim, die er mit seinem Partner teilt, ein Piano nicht fehlen darf. Vor dem Fenster tuckern die Ausflugsdampfer durch den Spreebogen, der alte Bismarck mit Pickelhaube und Uniform schaut ihm ernst von einem Ölgemälde herab über die Schulter. Der Abgeordnete singt den Refrain des Knefs-Songs „Illusionen“: „Illusionen, Illusionen sind das Schönste auf der Welt. Illusionen, Illusionen, sie sind das, was uns am Leben hält.“
Sich Illusionen zu machen – dessen kann man Schick wahrlich nicht bezichtigen. Schon früh geißelte der zum linken Parteiflügel zugehörige Politiker in der Euro- und Finanzkrise die Bankenrettung zulasten der Steuerzahler und warnte vor sozialen Verwerfungen als Folgen der Krise. Fachlich versiert, gescheit und rhetorisch geschliffen: So hat sich der Finanzexperte in den bald zehn Jahren seiner Arbeit im Bundestag einen Namen gemacht – nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch unter Lobbyisten und Bankmanagern.
So triezte er etwa auf einer Veranstaltung der Bundesbank den Co-Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, dass dieser in Rage geriet und Schick zu einer Vorstandssitzung einlud. Dann könne er mal sehen, „wie es sei, eine solche Bank zu führen“.
Schick will den Dingen auf den Grund gehen. „Manchmal nerve ich die Kollegen im Finanzausschuss auch, weil ich so viel nachfrage“, sagte er einmal über sich. Solche Beharrlichkeit trägt Früchte: 2008 wird er darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf zur EU-Beteiligungsrichtlinie eine riskante Form fondsgebundener Rentenpolicen, „Variable Annuities“ genannt, in Deutschland zulassen will. Der Grüne macht dies öffentlich und kann so die flächendeckende Einführung verhindern.
Anfang 2013 entdeckt er, dass die schwarz-gelbe Koalition plant, die Beteiligung der Lebensversicherungskunden an den Bewertungsreserven zu senken. Schick läuft gemeinsam mit Verbraucherschützern Sturm. Das Gesetzesvorhaben wird auf Eis gelegt – passiert dann aber als Lebensversicherungsreformgesetz im Sommer 2014 doch den Bundestag. Schick könnte deshalb frustriert sein. Ist er aber nicht, im Gegenteil: „Das Gesetz sah anders aus. Einige meiner Forderungen sind aufgegriffen worden – und das ist mein Erfolg!“, sagt er. Ein anderer: Einsparungen bei der Abwicklung von Risikopositionen der Hypo Real Estate über die Bad Bank FMS-Wertmanagement: „Das waren knapp 300 Millionen Euro – damit kann man viel Sinnvolles machen“. Darum geht es ihm.
Schon als jungen Mann interessieren ihn Wirtschaft und Finanzen – aber vor allem in Verbindung mit Fragen der Ökologie und der Entwicklungszusammenarbeit. Sein erstes politisches Engagement ist die Arbeit in einem Eine-Welt-Laden der Katholischen Hochschulgemeinde in Bamberg, wo er zwei Jahre „europäische Wirtschaft“ studiert. Die klassische Entwicklungshilfe überzeugt ihn nicht: „Spenden reicht mir nicht. Viel zentraler ist zu zeigen, wie es ökonomisch funktionieren kann und wie wir die weltwirtschaftlichen Strukturen dafür ändern müssen. Gerade weil mich ethische Grundüberzeugungen leiten“, sagt er. So unterstützt er unter anderem Fair Trade, wird Genosse der 2003 aufgelösten Ökobank und findet 1996 in Freiburg zu Bündnis 90/Die Grünen.
Dort engagiert er sich in der baden-württembergischen Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen, danach in der entsprechenden Bundesarbeitsgemeinschaft. Der Aufstieg zum „grünen Chefökonomen“, wie ihn die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ tituliert hat, beginnt. Unzufrieden mit der Wirtschaftspolitik unter Rot-Grün, kandidiert er 2005 für den Bundestag: „Ich bin überzeugt, dass man das Ökologische und Soziale nur voranbringen kann, wenn man die ökonomischen Zusammenhänge versteht – und die Wirtschaftswelt verändert“, sagt Schick. Das ist sein Ziel. Seine Triebfeder: „Ohne meinen Glauben gäbe es mein politisches Engagement nicht. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als aus einer moralischen Position heraus Politik zu machen.“
Doch es gibt auch Rückschläge: 2013 fahren Bündnis 90/Die Grünen auch aufgrund ihres umstrittenen Steuerkonzepts, an dem Schick beteiligt war, eine herbe Niederlage bei der Bundestagswahl ein. Ein Jahr später ereilt den sportlichen Politiker, der in seiner Freizeit radelt oder in den Bergen wandert, überraschend ein Herzinfarkt.
Wenig später allerdings meldet sich Schick bereits wieder zurück: Im Frühjahr 2014 erscheint sein Buch „Machtwirtschaft, nein danke! Für eine Wirtschaft, die uns allen dient“. Darin prangert er die wachsende Macht großer Banken und Konzerne an, die, so argumentiert Schick, zulasten der Vielfalt und Qualität der Produkte – und damit zulasten der Verbraucher gehe. Doch damit endet Schicks Kritik nicht: Die Politik, meint der Abgeordnete, setze der Machtkonzentration zu wenig entgegen – mehr noch: sie fördere sie sogar.
Dabei bekennt sich Schick, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Freiburger Walter-Eucken-Institut tätig war, zur Freiburger Schule der Nationalökonomie und deren Konzept des Ordoliberalismus. Der Staat setzt danach einen Ordnungsrahmen für die Wirtschaft, um Wettbewerb und Freiheit der Bürger auf dem Markt zu sichern. „Die Wirtschaft ist für die Menschen da, sie ist kein Selbstzweck“, sagt Schick und fordert, die Macht der Konzerne wie Google oder Amazon zu begrenzen. Fusionen wie etwa in der Wohnungswirtschaft oder im Einzelhandel müssten gebremst werden. Das Buch sei zugleich ein Appell an die Bürger, betont er: „Bitte engagiert euch, verlasst euch nicht auf die Politiker, die Auseinandersetzung mit der Machtwirtschaft zu führen. Wir verlieren, wenn wir nicht unterstützt werden.“
Das Gespräch ist zu Ende. Schicks nächster Termin beginnt in zehn Minuten. Er könnte jetzt früher ins Büro zurückeilen – oder noch unten im Restaurant der Parlamentarischen Gesellschaft ein Stückchen Kuchen essen. Eine „Schwäche“ von Schick, der auch selbst gern backt und kocht. Doch dann entscheidet er sich, noch ein wenig Klavier zu spielen. Die Melodie ist noch draußen auf der Treppe zu hören. (sas/22.06.2015)