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Die zwischen Bund und Ländern vereinbarte Krankenhausstrukturreform ist heftig umstritten. Bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs von CDU/CSU und SPD (18/5372) am Donnerstag, 2. Juli 2015, monierte die Opposition im Bundestag, die Reform bleibe weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Die Kliniken litten unter einem gravierenden Mangel an Personal, vor allem an Pflegekräften. Vertreter der Regierungsfraktionen von Union und SPD bekräftigten hingegen, mit dem Gesetz werde sich die Versorgungsqualität in den Kliniken spürbar verbessern. Nötig seien vor allem strukturelle Veränderungen.
Die rund 2.000 Krankenhäuser in Deutschland sollen künftig mehr Behandlungsqualität und Versorgungssicherheit bieten. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte im Dezember 2014 Eckpunkte für eine Reform der Kliniken vorgelegt. Die Vorschläge sollen nun umgesetzt werden. Demnach setzen sich Bund und Länder für eine Weiterentwicklung der Qualitätsstandards und eine nachhaltige Sicherung der Betriebskostenfinanzierung der Kliniken ein.
Qualität wird als zentrales Kriterium bei der Krankenhausplanung eingeführt. Auch die Krankenhausvergütung soll sich künftig an Qualitätsaspekten orientieren. So werden Zuschläge gewährt für gute Qualität, Abschläge drohen hingegen bei Qualitätsmängeln. Die Qualitätsberichte der Kliniken sollen für Patienten zugänglicher und verständlicher werden, damit sie sich selbst ein Urteil bilden können über die Leistungsfähigkeit einer Klinik.
Auch die Pflege in der Klinik soll sich verbessern. Aufgelegt wird ein Förderprogramm für Pflegestellen im Volumen von insgesamt bis zu 660 Millionen Euro in den Jahren 2016 bis 2018. Ab 2019 sollen dauerhaft 330 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Auf diese Weise werden laut Bundesregierung voraussichtlich 6.350 neue Stellen geschaffen, die nur der ,,Pflege am Bett" dienen.
Bei der Krankenhausfinanzierung werden die Bedingungen für die Anwendung von Sicherstellungszuschlägen präzisiert. Kliniken, die an der stationären Notfallversorgung teilnehmen, erhalten Zuschläge, wer nicht daran teilnimmt, muss Abschläge hinnehmen. Zudem wird der Investitionsabschlag für Kliniken bei der ambulanten Vergütung von zehn auf fünf Prozent halbiert. Geplant ist überdies eine verbesserte Mengensteuerung.
Um den für die Krankenhausplanung und Investitionen zuständigen Bundesländern mehr Mittel an die Hand zu geben, wird ein Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen Euro aufgelegt, gespeist aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Die Länder sollen einen Beitrag in gleicher Höhe beisteuern, sodass insgesamt eine Milliarde Euro für Umstrukturierungen zur Verfügung stünden. Die Mittel sollen zum Abbau von Überkapazitäten und zur Konzentration von Versorgungsangeboten genutzt werden und kommen den Krankenhäusern zusätzlich zur Investitionsförderung zugute.
Mehrere Redner wiesen auf die enorme gesundheitspolitische wie volkswirtschaftliche Bedeutung der Kliniken hin, die eine Versorgung rund um die Uhr bieten und zudem nicht selten auch zu den größten Arbeitgebern in bestimmten Regionen gehören. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte, die insgesamt rund 1,2 Millionen Mitarbeiter in den Kliniken absolvierten jedes Jahr mehr als 18 Millionen Behandlungen. Dies sei ein herausragender Beitrag zur Gesundheitsversorgung. Mit dem Reformgesetz würden die Kliniken angesichts des demografischen Wandels fit gemacht für die Zukunft. Qualität und finanzielle Ausstattung der Häuser würden gezielt verbessert.
Die Opposition bemängelte hingegen, von nachhaltigen Verbesserungen sei in dem Entwurf nichts zu erkennen. Harald Weinberg (Die Linke) zählte eine lange Liste von Kritikern aus der Gesundheitsbranche auf, die den Gesetzentwurf für völlig unzureichend hielten. Realität in den Kliniken seien Minutenpflege, Arbeitshetze, Überforderung der Mitarbeiter, Angst vor Fehlern, Verzicht auf Pflege, ständige Arbeitsverdichtung und letztlich Flucht aus dem Beruf. Der Patientendurchlauf habe sich enorm beschleunigt, der Kostendruck werde größer.
Nun wolle die Regierung Kliniken mit vermeintlich schlechter Qualität vom Markt nehmen oder umwidmen. Damit werde die Kliniklandschaft ausgedünnt. Das Pflegeförderprogramm laufe auf drei zusätzliche Stellen pro Krankenhaus hinaus bei 70.000 fehlenden Pflegestellen, die von der Gewerkschaft Verdi errechnet worden seien. Die Linke fordert in einem eigenen Antrag (18/5369), für die Kliniken eine Personalbedarfsermittlung gesetzlich zu verankern. Weinberg sagte, mit dem Gesetzentwurf würden die Probleme nicht gelöst, sondern verschärft. Schlechter gehe es kaum.
Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen) monierte, der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen habe zwar einen beeindruckenden Umfang, aber auch gravierende Mängel. Auch sie sprach die aktuellen Demonstrationen gegen den belastenden Klinikalltag und warnte, es gebe eindeutige Alarmzeichen, dass etwas ganz schief laufe. So seien in den vergangenen Jahren viele Pflegekräfte abgebaut worden. Von diesem Personalabbau hätten sich die Kliniken bis heute nicht erholt. Das Pflegestellenprogramm sei richtig, aber auf Dauer viel zu klein.
Wie auch Die Linke wollen die Grünen eine verbindliche Personalbemessung. In einem Antrag (18/5381) verlangen die Grünen zudem grundsätzliche Veränderungen in der Finanzierung und Ausstattung der Kliniken, zumal die Zahl der Patienten mit Demenz stark steigen werde. Die Kliniken müssten sich dieser Entwicklung stellen. Künftig komme es auf eine engere Verzahnung mit der ambulanten Versorgung an, eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen und eine Aufwertung der Pflege. Nötig seien ferner vor allem im ländlichen Raum flexiblere Versorgungsstrukturen, heißt es in dem Antrag. Scharfenberg mahnte, jetzt sei ein starkes Signal nötig, warme Worte reichten nicht aus.
Redner von Union und SPD wiesen die Vorhaltungen zurück und sprachen von notwendigen Änderungen in der Krankenhausstruktur. Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach (SPD) räumte allerdings ein, dass die SPD sich eine Aufstockung des Pflegeförderprogramms vorstellen könne. Für die Patienten sei ein Qualitätsvergleich der Häuser wichtig. Er wies darauf hin, dass in manchen Kliniken viele Betten leer stünden. Die jetzigen Strukturen seien nicht flexibel genug, es könne nicht jedes Krankenhaus weiter wirtschaftlich betrieben werden. Die Planung müsse sich stärker am medizinischen Bedarf orientieren.
In dieselbe Richtung argumentierte auch Jens Spahn (CDU/CSU), der die Kliniken zugleich als "Rückgrat der medizinischen Versorgung" in Deutschland pries. Allerdings gehe auch jeder dritte Euro, der im Gesundheitswesen ausgegeben wird, in die Krankenhausversorgung. In den Jahren 2008 bis 2014 seien die Ausgaben für Kliniken in der GKV um 30 Prozent gestiegen. Es könne also nicht die Rede davon sein, dass hier zu wenig Geld im Umlauf sei.
Tatsächlich gehe es um die Bereitschaft, Strukturen zu verändern. Finanzielle Probleme hätten vor allem kleine Häuser ohne Spezialisierung in Ballungszentren, die "alles machen" wollten und zu wenige Patienten hätten. In manchen Kliniken gebe es auch nicht genügend Experten für bestimmte Behandlungen, dort sei dann die Sterblichkeit höher. Es sei daher sinnvoll, etwas weitere Entfernungen in Kauf zu nehmen und dafür mehr Versorgungsqualität zu bekommen. Zudem müssten unnötige Operationen effektiver vermieden werden. Spahn betonte, mehr Stellen oder Geld lösten für sich genommen das Kernproblem nicht.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) erinnerte in dem Zusammenhang daran, dass zwei Drittel der Kosten in Krankenhäusern auf das Personal entfielen. Was die Pflege betreffe, übersteige die Zahl der offenen Stellen mitunter die der Bewerber. Geld allein reiche hier also nicht.
Marina Kermer (SPD) sprach sich gleichwohl dafür aus, das Pflegeförderprogramm möglichst zu verdoppeln. Die Pflegekräfte stünden am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Die Reform werde dazu beitragen, die Qualität in den Kliniken zu steigern, die Pfleger zu entlasten und die Patientenzufriedenheit zu erhöhen.
Der Gesetzentwurf und die Anträge der Opposition wurden zur weiteren Beratung in die Fachausschüsse überwiesen. (pk/02.07.2015)