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Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy war gewarnt, als Staatsanwälte im vergangenen Jahr am 10. Februar 2014 seine Wohn- und Büroräume nach Kinderpornografie durchsuchten. Da sind sich die Obleute aller Fraktionen des Deutschen Bundestages im 2. Untersuchungsausschuss einig. Vieles andere bleibt Ansichtssache. Auch, welche politischen Schlussfolgerungen nun, nach neun Monaten Vernehmungen mit 57 Zeugen, zu ziehen sind.
Irene Mihalic, Obfrau der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, stellte nach der Vernehmung des letzten Zeugen, des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann, am 1. Juli fest: „Edathy wurde informiert, er wurde über Ermittlungsvorgänge auf dem Laufenden gehalten, und ich bin mir absolut sicher, dass diese Informationen von Michael Hartmann (SPD) gekommen sind. Woher Hartmann aber wiederum seine Informationen hatte, das konnten wir leider nicht abschließend klären.“ Ähnlich formulieren es die Obleute von CDU/CSU und Die Linke, Armin Schuster (CDUCSU) und Frank Tempel (Die Linke).
Dagegen ist für den sozialdemokratischen Obmann Uli Grötsch keineswegs geklärt, dass der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann seinen damaligen Fraktionskollegen Edathy gewarnt hatte. Im Gegenteil: „Wir wissen nach Abschluss der Beweisaufnahme, dass er nicht aus dem politischen Raum heraus gewarnt wurde. Derjenige, der ihn gewarnt hat, muss woanders sitzen.“
Fest steht, dass Hartmann während der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Edathy in regem Kontakt zu ihm stand. Edathy sagt, Hartmann habe ihn gewarnt und dann wiederholt über den Fortgang der Ermittlungen berichtet. Hartmann sagt, Edathy habe ihn angesprochen, weil er sich vor möglichen Ermittlungen im Zusammenhang mit einem kanadischen Kinderporno-Großverfahren fürchtete. Er habe sich um Edathy gekümmert, weil er sich Sorgen um ihn gemacht habe.
Wem man glaubt, hängt hauptsächlich davon ab, für wie glaubwürdig man die Zeugen hält, die Edathys Version stützten. Vor allem für einen Zeugen gilt das, der Edathy privat eng verbunden war, aber auch für Hartmann gearbeitet hatte. Dieser Zeuge sagte aus, Hartmann habe ihm auf dem SPD-Parteitag am 15. November 2013 von dem Verdacht gegen Edathy berichtet, noch bevor er anschließend mit Edathy gesprochen habe.
Wie glaubwürdig dieser Zeuge ist, darüber gehen die Meinungen zwischen Grötsch und den Vertretern der anderen Fraktionen weit auseinander. Unabhängige Beobachter konnten sich keine Meinung bilden, da er aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes in nichtöffentlicher Sitzung vernommen wurde.
Für den Obmann der Unionsfraktion Armin Schuster „spricht fast alles dafür“, dass Hartmann der Informant Edathys war. Die Vermutung, dass Hartmann „im Auftrag gearbeitet hat, und zwar im Auftrag der SPD-Führung“, stehe „im Raum“, habe aber nicht bewiesen werden können.
Allerdings, dass er „ohne Auftrag selbständig gehandelt hat, halte ich für unplausibel. Das Verhältnis Edathy-Hartmann ist nicht so, dass man davon ausgehen kann, dass er ohne weiteres einfach helfen wollte.“
Schuster spricht von „Erinnerungslücken oder Unkenntnis“ vieler Zeugen, die eine Klärung dieser Frage verhindert hätten, die Grüne Irene Mihalic gar von einem „Schweigekartell bei der SPD“. Ansichtssache bleibt auch, woher die Informationen stammten, die, ob über Hartmann oder sonstwie, Edathy erreichten.
Nach Einschätzung des Linke-Obmanns Frank Tempel hat der Ausschuss „nachweisen können, dass diese Informationen, die zu Sebastian Edathy kamen, größtenteils Informationen mit Kenntnisstand des Bundeskriminalamts waren“. Mihalic hält es für möglich, dass „Hartmann die Informationen direkt aus dem Bundeskriminalamt bekommen hat. Es wäre aber ebenso möglich, dass diese Informationsweitergabe mit einem Auftrag von der SPD-Spitze verbunden war“.
SPD-Obmann Grötsch dagegen sieht die Quelle ganz wo anders. In Niedersachsen, Edathys Heimatland, hätten fast 160 Menschen Kenntnis von dem Ermittlungsverfahren gehabt, und nur der niedersächsischen Justiz sei „der Zeitraum der Durchsuchungen bekannt“ gewesen. Die Warnung müsse kurz zuvor erfolgt sein, „sonst hätte er nicht seine Wohnung überstürzt verlassen müssen“. Er könne sich daher „vorstellen, ohne es belegen zu können, dass die Warnung aus der niedersächsischen Justiz heraus kam“, sagt Grötsch.
Der 2. Untersuchungsausschuss hatte die ersten Monate mit dem Zusatz „BKA“ firmiert. Im zweiseitigen Untersuchungsauftrag ist der Fall Edathy nur ein Aspekt neben anderen. Generell geht es darum, das Kinderporno-Großverfahren „Operation Spade“ des Bundeskriminalamts (BKA), in dessen Verlauf der Verdacht gegen Edathy aufgekommen war, auf mögliche Fehler und Versäumnisse abzuklopfen. Allein aus dem BKA sind 24 Zeugen vernommen worden.
Für Uli Grötsch haben deren Vernehmungen ergeben, dass im BKA „einwandfrei, zügig, hochprofessionell und fehlerlos gearbeitet wurde“. Der Ausschuss habe keine Fehler gefunden. „Ganz im Gegenteil, wir sind auf hochprofessionelle Polizeibeamtinnen und -beamte gestoßen, die eine tolle Arbeit geleistet haben.“
Was die Arbeitsebene angeht, sehen das alle Obleute so. Weiter oben aber sehen doch manche das eine oder andere Versäumnis. So sieht es Irene Mihalic als „schwerwiegendes Versäumnis“ der BKA-Spitze, die ermittelnden Staatsanwälte nicht frühzeitig informiert zu haben, dass führende Politiker vom Verdacht gegen Edathy wussten. Dann hätten diese möglicherweise schneller gehandelt.
Dagegen hebt Grötsch vor allem Mängel in der niedersächsischen Justiz hervor, die bei der Vernehmung mehrerer Staatsanwälte und der Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Bündnis 90/Die Grünen) zutage getreten seien. Insbesondere in der Abstimmung zwischen der Staatsanwaltschaft in Hannover und der Generalstaatsanwalt in Celle habe es „offenbar ziemlich große Probleme“ gegeben.
Die Mitglieder des 2. Untersuchungsausschusses müssen nun nach der Sommerpause politische Schlüsse aus den gewonnenen Erkenntnissen ziehen. Nach Ansicht des Linken Frank Tempel muss die Informationsweitergabe von Ermittlungsbehörden an die politische Führung strenger geregelt werden.
Es hätte ausgereicht, wenn das Innenministerium erst Stunden vor der Durchsuchung über den Verdacht gegen Edathy unterrichtet worden wäre und nicht schon drei Monate vorher, argumentiert Tempel. „Wäre diese Information erst im Februar 2014 zum damaligen Innenminister Dr. Thomas de Maizière gekommen, hätten wir die ganze Frage, ob Sebastian Edathy aus der Politik gewarnt wurde, nicht gehabt.“
Grötsch und Schuster sehen, hier ganz in koalitionärer Einigkeit, erste Schlüsse bereits gezogen. Die im November 2014 verabschiedete Verschärfung des Sexualstrafrecht im Bereich der Kinder- und Jugendpornografie, sagt Schuster, „hätte ich ohne diesen Ausschuss nicht gesehen“. Justizminister Heiko Maas (SPD) und die Regierung hätten auf die offenbar gewordenen Probleme der Abgrenzung zwischen strafbaren und harmlosen Nacktbildern „schnell und gut reagiert“, ergänzt Grötsch.
Auch die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in diesem Frühjahr sei „durch viele Aussagen in diesem Ausschuss begünstigt“ worden, schreibt Schuster auf die Positiv-Seite. Die vernommenen Ermittler hatten eindringlich ihre Schwierigkeiten geschildert, Spuren von Kindesmissbrauch im Internet zu verfolgen. (pst/13.07.2015)