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Die Delegation der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe mit dem pakistanischen Präsidenten Mamnoon Hussain (Mitte); rechts daneben Niels Annen. © Ali Adnan
Wieder ein Anschlag der radikalislamischen Taliban, wieder gibt es Tote und Verletzte in Afghanistan. Ende Juni ist sogar das Parlament in Kabul Ziel einer Attacke: Eine Autobombe explodiert vor dem Gebäude, Zivilisten werden verletzt. Die Abgeordneten, die sich gerade zu einer Sitzung getroffen haben, müssen in Sicherheit gebracht werden. „Das sind besorgniserregende Nachrichten, die leider das Bild von Afghanistan im Ausland prägen, das ist wahr“, räumt Niels Annen (SPD), Vorsitzender der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe im Bundestag, ein. „Aber es ist nicht das ganze Bild. Trotz aller Sicherheitsprobleme – es gibt in Afghanistan zahlreiche positive Entwicklungen, die es nicht in die Nachrichten schaffen.“
Der außenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten weiß, wovon er spricht. Mehrfach hat er in der Vergangenheit das Land am Hindukusch bereist. Zuletzt war er vom 11. bis 18. April 2015 als Leiter einer Delegation, der auch die Unionsabgeordneten Michael Donth, Thorsten Frei und Prof. Dr. Egon Jüttner sowie Christina Kampmann (SPD), Caren Lay (Die Linke) und Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) angehörten, vor Ort gewesen.
Das Ziel: „Wir wollten uns über die Arbeit unserer pakistanischen und afghanischen Kollegen informieren und die wichtige Funktion der Parlamente in beiden Ländern unterstützen“, erklärt Annen. Gerade Afghanistan befindet sich im Wandel: Mit dem Ende der Isaf-Mission der Nato haben die internationalen Kampfverbände das Land verlassen und die Sicherheitsverantwortung in die Hände der Afghanen übergeben. So ist es nicht verwunderlich, dass die Sicherheitslage und der zivile Aufbau des Landes bei allen Gesprächen, die die Abgeordneten in der Hauptstadt Kabul mit Regierungsvertretern, Parlamentariern sowie zivilgesellschaftliche Akteuren führten, eine zentrale Rolle spielten.
Besonders beeindruckt hat Annen der Austausch mit jungen Afghanen: „Das ist die erste Generation, die in Afghanistan ausgebildet wurde und nicht im Ausland die Universität besucht hat – junge Menschen, die eigene Vorstellungen von ihrem Land haben, die sich engagieren, die Firmen gründen oder für das Parlament kandidieren. Bei allen Rückschlägen, die es zweifelsohne in Afghanistan gibt, ist das etwas sehr Ermutigendes.“ Der Delegationsbesuch sei deshalb auch als ein Signal gedacht gewesen: „Es ging darum, anzuerkennen, dass es Fortschritte gibt.“
Und das gelte ebenso in Afghanistan wie im Nachbarland Pakistan: „In beiden Ländern konnten wir in den letzten Jahren den Übergang von einer zivilen Regierung zu einer anderen zivilen Regierung beobachten.“ In Pakistan habe überhaupt zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1947 eine zivile Regierung eine gesamte Legislaturperiode überstanden und die Macht an demokratisch gewählte Nachfolger übergeben, so Annen. Mit dem Dialog versuchten die Bundestagsabgeordneten die Parlamente gegenüber starken Regierungen und oder gegenüber dem Militär aufzuwerten.
„Das Interesse an Deutschland, an deutscher Politik, Kultur und an wirtschaftlichen Beziehungen mit unserem Land ist enorm“, hat Annen registriert. In beiden Ländern gebe es Freundschaftsgruppen, die die Beziehungen zu deutschen Parlamentariern pflegten.
„Immer wieder äußern sie den Wunsch nach einer Parlamentariergruppe für jedes einzelne Land“, sagt der Abgeordnete im Hinblick darauf, dass die derzeit 16 Mitglieder der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe auch den Kontakt zu Parlamentariern aus Bangladesch, Bhutan, den Malediven, Nepal und Sri Lanka aufrechthalten. „Doch das können wir leider zurzeit nicht leisten.“
Welche Achtung den Deutschen entgegengebracht werde, zeige auch, so Annen, dass die Delegation in Islamabad vom pakistanischen Präsidenten Mamnoon Hussain persönlich empfangen worden sei.
„Das war eine protokollarische Geste, die die hohe Wertschätzung Deutschlands unterstreicht. Gegenüber dem Präsidenten haben wir auch sensible Themen wie etwa das Blasphemiegesetz und die Wiederaufnahme der Vollstreckung der Todesstrafe ansprechen können“, berichtet der Vorsitzende der Gruppe.
Dass es möglich sei, über solche „sensiblen“ Themen zu sprechen, sei ein weiteres Indiz dafür, dass Deutschland als „Freund“ betrachtet werde. Ob Menschenrechte, bestehende Demokratiedefizite oder Probleme bei der Korruptionsbekämpfung: „Wir können offen sprechen, ohne dass uns unterstellt wird, dass wir andere Absichten damit verfolgen.“
In den Mittelpunkt der Gespräche mit pakistanischen Unternehmern und Gewerkschaftern in der Wirtschaftsmetropole Karatschi rückten die Deutschen zudem Arbeitnehmerrechte und bessere Arbeitsbedingungen in der für Pakistans Wirtschaft wichtigen Textilbranche. Der Hintergrund: 2012 starben mehr als 250 Arbeiter bei einem Brand in einer Fabrik, die unter anderem für einen deutschen Textildiscounter produzierte. Retten konnten sich die Menschen nicht, weil Fenster vergittert und Fluchttüren verschlossen waren.
Damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt, musste sich die pakistanische Regierung für die Gewährung des GSP-Plus-Status, der seit Anfang 2014 pakistanischen Produkten einen besseren Marktzugang zur EU ermöglicht, verpflichten, eine Reihe von UN-Konventionen zu ratifizieren. Deren Umsetzung soll Verbesserungen bei Menschenrechten, Arbeitnehmerrechten und Umweltstandards bewirken. „In unseren Gesprächen mit Abgeordneten und Gewerkschaftern“, erläutert Annen, „wollten wir erfahren, wie sie die Fortschritte bei der Umsetzung bewerten.“
Ob internationale Abkommen oder Entwicklungshilfeprogramme – vom Austausch profitierten auch die deutschen Abgeordneten, erklärt Annen: „Weil wir so eine Rückmeldung bekommen, ob unsere Instrumente wirken.“
„Wir sind keine Ersatzregierung“, sagt Annen über die Rolle der Parlamentarier in der Außenpolitik. „Doch der Bundestag kontrolliert die Regierung und stellt die finanziellen Mittel zur Verfügung. Das gilt auch für die traditionell von der Exekutive dominierte Außenpolitik.“ Die Abgeordneten hätten Einfluss, und diesen versuchten sie auch „verantwortungsvoll zu nutzen“. Zum Beispiel, um die Partnerländer in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen. „Wir haben gerade mitgeholfen, dass bald eine Delegation deutscher Unternehmer nach Karatschi fährt“, erzählt Annen. „Das sind so kleine Dinge, die wir bewegen können – auch wenn die es nicht auf die Titelseiten der großen Zeitungen schaffen.“
Annens Hauptaugenmerk ist aber auf Afghanistan gerichtet, für das Deutschland mit seinem militärischen und zivilen Einsatz „Verantwortung“ übernommen habe. Als Vorsitzender der Parlamentariergruppe will er deshalb einen Beitrag leisten, dass „die Akzeptanz für die Aufrechterhaltung unseres Engagements“ bleibt. „Mir ist wichtig, dass wir das Land nicht allein lassen.“ (sas/27.07.2015)