Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Marieluise Beck ist eines der bekanntesten Gesichter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie verfügt über eine große parteipolitische und parlamentarische Erfahrung, vor allem aber ist Marieluise Beck eine Politikerin mit sehr viel Herzblut. Sie tritt politischen Gegnern mit Stil und Respekt gegenüber, selbst wenn die Positionen noch so weit auseinander liegen. Marieluise Beck ist seit 35 Jahren Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Sie wurde 1983 erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt und übte zahlreiche verantwortungsvolle Ämter aus.Unter der rot-grünen Regierung von 2002 bis 2005 war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und gleichzeitig Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (1998 bis 2005). Marieluise Beck weiß, welche Verantwortung eine Regierungspartei hat und kennt andererseits die politische Arbeit einer Oppositionspartei. Zurzeit ist sie Obfrau ihrer Fraktion im Auswärtigen Ausschuss.
„In meinem Leben gab es nie eine systematische Entscheidung für oder mit der Politik zu leben. Politikerin zu werden oder ein Parteiamt zu übernehmen, habe ich mir nicht vorgenommen, es hat sich entwickelt“, sagt Marieluise Beck.
Ihre politische Prägung erfuhr sie als Gymnasiastin in der evangelischen Jugend in Osnabrück. „Dort gab es einen sehr aufgeschlossenen und lebendigen Pfarrer, der uns junge Menschen in den Diskussionen immer wieder zur Zivilcourage aufforderte und uns ermutigte, uns engagiert für andere Menschen einzusetzen und vor allem einen Standpunkt zu vertreten“, sagt die Politikerin und fügt an: „Die 1970er-Jahre waren eine sehr politische Zeit, in der die Ostpolitik von Willy Brandt nicht bei allen auf Zustimmung stieß und die Gesellschaft spaltete. Unsere Diskussionen waren aber immer diskursiv und freundlich im Ton und hatten nichts von den harten Auseinandersetzungen, wie sie in vielen Teilen des Landes ausgetragen wurden.“
Nach dem Abitur 1970 ging Marieluise Beck an die Universität Bielefeld, studierte Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde auf Lehramt und engagierte sich im dem für damalige Verhältnisse eher braven Hochschulbund. „Als ich an die Uni nach Heidelberg wechselte, war die politische Stimmung dort weitaus gereizter und die Auseinandersetzungen härter. In meiner WG war das gesamte politische Spektrum versammelt. Trotzkisten, Kommunisten und andere politische Strömungen lieferten sich lange Diskussionen, in denen meist keine Übereinstimmung erzielt werden konnte“, sagt Marieluise Beck.
Selbstverständlich nahm die Studentin auch an Antikriegsdemos gegen den Vietnamkrieg teil, war aber von der hohen Aggressivität, die von solchen Demos oft ausging, eher abgeschreckt. „Politik ist einfach nicht mein Ding, sagte ich mir damals. Ich nahm nach dem Studium eine Lehrerstelle in Baden-Württemberg an, heiratete und führte in Pforzheim mit Mann, Hund und Garten ein angenehmes, unaufgeregtes bürgerliches Leben“, erinnert sich Marieluise Beck.
Als sich die Grünen Ende der 1970er-Jahre zu einer Partei formierten, war Marieluise Beck weit entfernt von Interesse oder gar einer Mitgliedschaft. Sie arbeitete lieber ehrenamtlich in einer Drogenberatungsstelle, das schien ihr sinnvoller. Als im Frühjahr 1980 in Baden-Württemberg Landtagswahlen anstanden, nahm sie aber doch an Anti-Atomkraft-Demos der Grünen teil.
„Dort hatte ich ein Schlüsselerlebnis“, erinnert sich Marieluise Beck und erzählt. „Auf einer solchen Demo traf ich einen jüdischen Überlebenden des Holocaust, der nicht nur den Nationalsozialismus in verschiedenen Konzentrationslagern überlebt hatte, sondern nach dem Krieg in der DDR inhaftiert war. Dieser Mann hatte trotz seines unfassbaren Schicksals seinen Lebensmut nie verloren und demonstrierte nun als Atomkraftgegner an der Seite vieler junger Menschen. Er sagte mir, dass wir nicht nur die Freiheit hätten, gegen etwas zu sein, sondern wir müssten unseren Willen auch politisch ausdrücken. Danach bin ich Mitglied bei den Grünen geworden.“
Warum sie der Überlebende des Holocaust so beeindruckte, erklärt sich Marieluise Beck heute so: „Ich bin das jüngste von sieben Kindern und meine Eltern haben das Dritte Reich und den Nationalsozialismus bewusst erlebt. In meinem Elternhaus wurde aber nie über diese Zeit gesprochen, und die Frage nach der Schuld der Deutschen wurde auch nicht thematisiert. Und dann traf ich einen Mann, der darüber reden konnte, obwohl er so viel Leid erfahren hatte. Das hat mich beeindruckt und überzeugt, mich politisch zu engagieren.“
Die Anfänge der Grünen waren chaotisch, denn die Protestpartei hatte noch keine klaren Parteistrukturen, und vor allem gab es wenige Politiker mit parlamentarischer Erfahrung. Kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg 1980 war der Vorsitz der Grünen vakant, weil Doppelfunktionen nicht erlaubt waren. Winfried Kretschmann sagte damals zu seiner Partei: „In Pforzheim sitzt eine junge Lehrerin, die ist ein Politiktalent.“ So wurde Marieluise Beck nur vier Monate nach ihrem Parteieintritt die Vorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg. „Anfangs hatte ich das Gefühl, dass ich in die großen Schuhe, in die ich gewählt worden war, erst noch hineinwachsen müsse“, erinnert sich die Politikerin.
So rasant wie die Parteikarriere von Marieluise Beck gestartet war, so setzte sie sich fort. Zur Bundestagswahl 1983 schafften die Grünen erstmals die Fünf-Prozent-Hürde. Auch Marieluise Beck wurde gewählt und zog mit 28 weiteren Abgeordneten in den Deutschen Bundestag ein.
Zur ersten Sitzung der Fraktion reisten die Abgeordneten selbstverständlich mit der Bahn nach Bonn. „Als wir im Bundestag ankamen, war den Abgeordneten der etablierten Parteien der Schrecken noch anzusehen, dass dieser ,Unfall der Geschichte' nicht verhindert werden konnte“, sagt die Politikerin.
Den Grünen wurde in der Bundestagsverwaltung ein „Notraum“ zugewiesen, in dem sie ihre ersten Fraktionstagungen abhielten. Viele Parlamentarier demonstrierten ihre Ablehnung gegenüber diesen „Chaoten“ offen. Eine Ausnahme bildete Hildegard Hamm-Brücher, die Grande Dame der FDP. Sie sagte im Plenum sinngemäß. „Wer als Vertreter des Volkes demokratisch gewählt wurde, der ist für mich eine Respektsperson.“
Mehrheitlich stimmte die junge Grünen-Fraktion dafür, dass Marieluise Beck die erste Grünen-Abgeordnete sein sollte, die im Plenum zu den Abgeordneten spricht. Sie setzte damit ein Zeichen für andere Parteien: Gebt Frauen eine Chance! Verlasst die eingefahrenen Strukturen und öffnet Euch für neue Wege.
„Ich selbst wurde von dieser Entscheidung überrascht, hatte ich doch fest damit gerechnet, dass diese Aufgabe Petra Kelly oder Otto Schily übernehmen würden“, sagt Marieluise Beck. Sie meisterte diese erste große Herausforderung mit Bravour, sprach selbstbewusst vor den Abgeordneten des zehnten Deutschen Bundestages und forderte Abrüstung, die Vernichtung von Atomwaffen und ein Ende des „Blockdenkens“.
Heute, mehr als 30 Jahre nach dieser denkwürdigen ersten Rede einer Grünen-Abgeordneten im Deutschen Bundestag, ist die Partei aus der deutschen Parteienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Sie ist nicht nur etabliert, sondern wurde 1998 unter Kanzler Schröder sogar Regierungspartei, was 15 Jahre zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Marieluise Beck, die eigentlich keine Politikkarriere anstrebte, kann inzwischen auf drei Jahrzehnte parlamentarischer Erfahrung zurückblicken. Sie hat sich nie gescheut, Verantwortung zu übernehmen. Marieluise Beck war Landesvorsitzende ihrer Partei, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, Bundestagsabgeordnete von 1983 bis 1987 und von 1994 bis heute. Sie ist Vorsitzende der Deutsch-Bosnischen Parlamentariergruppe, Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarats und vertritt ihre Fraktion als Obfrau im Auswärtigen Ausschuss.
„Dieser Ausschuss war mein Wunschausschuss, weil ich meinen Blick auf Osteuropa richten möchte. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien vor 23 Jahren und seine Auswirkungen auf die Region haben meinen außenpolitischen Blick neu justiert. Ich setze mich heute dafür ein, dass der Westbalkan wieder in den Fokus der europäischen Politik rückt, damit die Länder der Region endlich eine echte Perspektive in Europa erhalten“, erklärt die Politikerin.
Was den Krieg in der Ukraine betrifft, so sieht Marieluise Beck keine kurzfristige Lösung: „In nur einem Jahr hat der Krieg in der Ostukraine mindestens 6.400 Menschen das Leben gekostet, Zehntausende sind verwundet, zwei Millionen haben ihre Heimat verlassen. Immer noch sterben täglich Soldaten und Zivilisten. Minsk war bestenfalls ein Patt, mit ungeklärten Wenn-Dann-Regeln, unklaren Linien, Grenzen, die Ortschaften zerschneiden. Über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim wurde in Minsk gar nicht gesprochen. Im Auswärtigen Ausschuss beraten wir, wie noch mehr Leid vermieden werden kann, welche Unterstützung die Ukraine braucht und wie die Kampfhandlungen eingedämmt werden können.“ (bsl/03.08.2015)