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Die deutsche Delegation mit der Vorsitzenden Birgit Kömpel (Zweite von rechts) im Büro der stellvertretenden Ministerpräsidentin Joan Burton (Dritte von rechts) © DBT/Klinger
Als das Bundespräsidialamt anrief, war Birgit Kömpel verblüfft: Bundespräsident Joachim Gauck lud die SPD-Abgeordnete in ihrer Funktion als Vorsitzende der Deutsch-Irischen Parlamentariergruppe ein, ihn bei seinem dreitägigen Staatsbesuch in Irland zu begleiten. Keine Frage, dass die 47-Jährige aus dem hessischen Fulda nicht lange zögerte und zusagte, Teil der handverlesenen Delegation zu sein, die Mitte Juli zu Gesprächen mit dem irischen Staatspräsidenten, Premierminister sowie Mitgliedern des irischen Parlamentes zusammentraf.
„Über die Anfrage war ich sehr glücklich“, sagt Kömpel. Die Einladung sei eine Ehre gewesen. „Seit vielen Jahren hege ich ein inniges Verhältnis zu Irland. Der Bundespräsident war ganz überrascht, dass mich zahlreiche irische Politiker so freundlich begrüßten“, so die Abgeordnete. Erst im Mai war sie als Leiterin einer Delegation von Bundestagsabgeordneten in Dublin gewesen und hatte dort Kontakte zu Regierungsvertretern und Parlamentariern geknüpft.
Kömpels Nähe zur grünen Insel ist aber vor allem in ihrer Biografie begründet: Als junge Frau arbeitete die heutige Personalmanagerin und Politikerin zwei Jahre für ein Londoner Hotel und teilte sich während dieser Zeit eine Wohnung mit einer Irin aus Dublin. „Ihre Mutter war Stewardess und hat mich sehr oft eingeladen, mit zu ihrer Tochter nach Hause zu fliegen“, erinnert sich Kömpel. Fast 30 Jahre ist das her, doch den Kontakt nach Irland hat sie nie abreißen lassen. Als Mitglied der Gemeindevertretung Eichenzell initiierte sie 2009 sogar eine Städtepartnerschaft mit dem Ort Wicklow. So versteht es sich von selbst, dass sich Kömpel auch seit ihrem Einzug in den Bundestag 2013 für den Austausch mit Irland einsetzt.
Anfang 2014 übernahm sie zusammen mit den Vizes Axel E. Fischer (CDU/CSU) und Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) den Vorsitz der Deutsch-Irischen Parlamentariergruppe. Insgesamt neun Abgeordnete gehören dieser Gruppe in der laufenden Legislaturperiode an, die seit ihrer ersten Konstituierung 1987 die Beziehungen zwischen deutschen und irischen Parlamentariern pflegt. Doch der Kontakt könnte intensiver sein, findet Kömpel: „Es existiert zwar eine Zentraleuropa-Freundschaftsgruppe, doch ein Pendant zu unserer Parlamentariergruppe gibt es im Dáil Éireann, dem irischen Unterhaus, leider nicht.“ Es gehört daher zu ihren erklärten Zielen, die irischen Kollegen zur Gründung einer Irisch-Deutschen Parlamentariergruppe zu motivieren.
Das Fehlen einer solchen Gruppe ist für die Irland-Kennerin Kömpel auch Ausdruck einer wachsenden antideutschen Stimmung auf der „grünen Insel“. Traditionell sei das Ansehen der Deutschen gut gewesen, doch seit der Euro- und Finanzkrise, auf welche die irische Regierung mit einem strengen Sparprogramm reagieren musste, habe sich das Verhältnis verändert: „Der harte Sparkurs wurde uns Deutschen angelastet, obwohl es natürlich Auflagen im Zusammenhang mit dem europäischen Hilfspaket waren, die die Iren zum Sparen gezwungen haben. Dennoch ist unser Ansehen angekratzt.“ Bewusst setzt Kömpel auf Kontaktpflege: „Es ist wichtig, dass wir die Initiative ergreifen und den Dialog fördern, um Ressentiments abzubauen.“
Deshalb reiste eine Delegation, zu der neben Kömpel und Paus auch Margaret Horb, Ronja Schmitt (beide CDU/CSU) und Martin Rabanus (SPD) gehörten, vom 13. bis 15. Mai nach Dublin. Auf dem Programm des zweitägigen Aufenthalts standen Gespräche mit Parlamentariern, Regierungsmitgliedern und Vertretern der Handelskammer. Der Höhepunkt: „Das Gespräch über Jugendarbeitslosigkeit mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin und Sozialministerin Joan Burton“, antwortet Kömpel, die im Arbeits- und Sozialausschuss sowie im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sitzt, ohne Zögern.
„Als ich hörte, dass viele junge Iren ihre Heimat Richtung USA, Kanada und Australien verlassen, weil sie keinen Ausbildungsplatz finden, da war meine erste Reaktion: Das ist eine Katastrophe, holen wir sie doch nach Deutschland“, erzählt Kömpel. Die irische Regierung sei interessiert am dualen Ausbildungssystem in Deutschland sowie an der Förderung von mittelständischen Unternehmen. Daher habe die Parlamentariergruppe im Gespräch mit Burton Wege einer deutsch-irischen Kooperation im Ausbildungsbereich ausloten wollen. „Das wäre ein Win-Win-Situation: Junge Iren könnten bei uns eine Ausbildung im Handwerk machen. Wir bekämen so die Auszubildenden, die uns fehlen, und Irland die Handwerker, die dort händeringend gesucht werden.“
Doch da das Schul- und Ausbildungssystem in den beiden Ländern sehr unterschiedlich sei, habe man mit Burton vor allem über den Austausch über Traineeships von Unternehmen gesprochen „Sehr gute Ansätze dafür gibt es schon“, lobt die SPD-Politikerin. Der internationale Baumaschinenhersteller Liebherr zum Beispiel, der neben seinem Stammhaus in Deutschland auch in der irischen Grafschaft Kerry eine Niederlassung unterhalte, fördere bereits den Austausch von jungen Arbeitnehmern über Traineeprogramme.
Interesse an einer weitergehenden Kooperation im Ausbildungsbereich hätten irische Politiker derzeit aber leider nicht, so ist Kömpels Eindruck: „Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit über 20 Prozent zwar immer noch hoch in Irland, aber die Wirtschaft wächst.“ Aufgrund der sehr niedrigen Unternehmensbesteuerung ließen sich dort internationale Unternehmen – wie etwa Apple – nieder und schafften die dringend benötigten Jobs und Ausbildungsplätze. So sehr Kömpel diese Entwicklung freut – die niedrige Unternehmensbesteuerung beobachte sie und ihre Kollegen in der Parlamentariergruppe mit „Bauchgrimmen“: „Es kann nicht sein, dass sich die Unternehmen so einen schlanken Fuß machen und einen Großteil ihrer Gewinne nach Irland verlagern, wo sie weniger Steuern zahlen als in Deutschland. Das ist kein fairer Wettbewerb.“
Die Initiative der Europäischen Kommission, die im Juni einen Aktionsplan zu einer grundlegenden Reform der Unternehmensbesteuerung in der EU vorgelegt hat, begrüßt sie deshalb. Dass die Iren ungeachtet dessen an ihrer „Corporation Tax“ festhalten, kann sie dennoch verstehen: „Das ist ihr Pfund, Geld ins Land zu bekommen.“ Wenn die Deutschen das umstrittene Thema anschnitten, sei die Reaktion der irischen Parlamentarier gewesen: „Forget it, da können wir ja gleich wieder Hilfsgelder aus Brüssel beantragen.“ Für deutsche Anliegen werben, aber auch Verständnis für irische Positionen wecken: Kömpel sieht sich und ihre Kollegen in der Parlamentariergruppe als „Vermittler“. „Mir ist wichtig, dass wir auch die andere Seite sehen.“
Die Euro- und Finanzkrise habe das Land hart getroffen: „Noch heute wohnen Menschen in Turnhallen, weil sie nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 ihre Häuser verloren haben“, gibt Kömpel zu bedenken. Irland konnte zwar 2013 als erstes Land den Euro-Rettungsschirm verlassen. Trotzdem sei längst nicht alles wieder gut. „Wir loben die Iren als EU-Musterknaben. Aber was die Sparpolitik den Menschen abverlangt hat, das übersehen wir oft.“ Ob die Gespräche über Jugendarbeitslosigkeit, sozialen Wohnungsbau und die Auswirkungen der Gebietsreform im Zuge der Sparpolitik – die Delegationsreise sei bewusst als ein „Blick hinter die Fassade“ konzipiert gewesen.
Besonders interessant: der Einblick in die parlamentarische Praxis der Gastgeber. „Wir haben die Befragung der Regierung live miterlebt“, erzählt Kömpel. „Wie da die Regierungsmitglieder dem Parlament Rede und Antwort stehen mussten, war sehr beeindruckend – vor allem im Vergleich zur Regierungsbefragung im Bundestag.“
Erst seit einer Reform im letzten Herbst erscheine hier überhaupt regelmäßig ein Regierungsmitglied – und nicht nur als Vertretung der parlamentarische Staatssekretär. Die Kanzlerin jedoch bleibe verschont. Schade, findet Kömpel. „Das hätte die Debatten interessant gemacht.“ (sas/17.08.2015)